Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa

Kritik der reinen Verleugnung - Volker Kulessa


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es bestehe hier ein völliger Bruch zwischen der palästinensischen Urgemeinde und dem hellenistischen Christentum, ist eine bloße Konstruktion, die weder den aus der Urgemeinde überlieferten Elementen gerecht wird, noch die Entstehung des hellenistischen Glaubens an den Kyrios Christos erklären kann. Denn es ist doch deutlich, daß

       Paulus überall, wo er das Bekenntnis “Kyrios Christos“ erwähnt, auf eine alte Überlieferung zurückgreift und deren Kenntnis als Grundlage aller Christusverkündigung voraussetzt. Freilich hat nun auf dem Boden des Hellenismus der heidnische Gebrauch des Kyriosnamens, seine Beziehung zum Herrscherkult und vor allem auch seine Verwendung als Gottesname in der LXX dazu beigetragen, daß die Bezeichnung “Kyrios“ geradezu zum Titel für Christus wurde. Aber diese Entwicklung wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht die Urgemeinde schon Christus als den Herrn angerufen hätte. Der Kyriostitel geht auf das gottesdienstliche Erleben zurück - darin hat Bousset recht -, aber auf das gottesdienstliche Erleben der Urgemeinde. Mit E. Lohmeyer speziell nur an Galiläa als Ort der Entstehung des Kyriosnamens für Jesus zu denken (vgl. Galiläa und Jerusalem, 1936, S. 17. 24), liegt keinerlei Anlass vor.“ 164

      „Wie Gott der Vater der Schöpfer des Alls und der Verursacher sowie das Ziel der Erlösung ist: so ist der Kyrios Jesus der, durch den das All geschaffen und die Erlösung heraufgeführt worden ist, also der Schöpfungsmittler und Erlösungsmittler. […] Der Kyrios Jesus ist […] nicht Mittler der Schöpfung und Erlösung als bloßes Instrument Gottes, des Vaters, sondern aufgrund der unlöslichen Einheit mit ihm. […] Präexistenzgedanke und Mittlerschaftsmotiv gehören zu den Grundlagen, auf denen der Kyriostitel steht. Ist Jesus doch nicht der Kyrios, weil die christliche Gemeinde ihn so nennt, sondern sie ruft ihn als den Kyrios an, weil er bereits vor der Schöpfung aufgrund der Einheit mit Gott, dem Vater, war und weil er sich in der durch ihn heraufgeführten neuen Schöpfung – „wir durch ihn“ – als der Kyrios erweist. “165

      Es ist an dieser Stelle und in dieser Arbeit ganz unmöglich, eine umfassende oder auch nur repräsentative Darstellung der „Gottes Sohn“ Aussagen der Bibel und der theologisch wissenschaftlichen Literatur zu geben. Ich beschränke mich auf nur noch wenige, ganz und gar eineindeutige Stimmen, wie den vorhergegangenen, denen ich dadurch hier ganz besonderes Gewicht und einen großen Nachdruck verleihen möchte. Denn, mit der Antwort auf die Frage, ob Jesus Christus Gottes Sohn ist oder nicht, fällt die Vor-, nein, fällt die Entscheidung darüber, ob man das Neue Testament als Evangelium verstehen kann oder nicht. Eine möglicherweise nicht hinreichende, aber eine notwendige166 Bedingung im strengen logischen Sinne. Verneint man die Gottsohnschaft, sind alle Texte des gesamten Neuen Testaments ohne Sinn und Gehalt. Denn diese Texte sprechen über nichts anderes als über das Heilshandeln Gottes in seinem Sohn Jesus Christus. Verleugnet man die Sohnschaft, [wie Bultmann] muss man den Texten des Neuen Testaments konsequenterweise einen anderen Inhalt unterlegen. Das aber genau vollzieht Bultmann dadurch, zu behaupten, das Neue Testament enthielte nichts anderes als den Schlüssel für das (neue) Selbstverständnis des Menschen. Vgl. zum Thema „anderen Inhalt“ auch die Kapitel 6.2 und 6.5 Bultmanns Vorverständnis und Vorannahmen und Kapitel 3, Entleerung und Umdeutung zentraler christlicher Begriffe.

       „Die Christologie ist der Prüfstein aller Gotteserkenntnis im christlichen Sinne, der Prüfstein aller Theologie. […]

       H I E R gehen die Wege auseinander. “167

       „Fragt man nach dem Erkenntnisgrund des Bekenntnisses zu Jesus Christus als dem einzigartigen – d.h. einziggeborenen – „Sohn Gottes“, so kann man die Erscheinungen des Auferstandenen in der Tat als die Geburtsstunde der umfassenden Christuserkenntnis angeben. Erst als der Auferstandene dem – sprichwörtlich – zweifelnden Thomas persönlich begegnet, kann dieser ihn als seinen „Herrn und Gott“ erkennen, anerkennen und bekennen (Joh 20,24-29). Und erst als der Auferstandene selbst den Emmausjüngern die Notwendigkeit seines Weges entfaltet und mit ihnen Tischgemeinschaft hat, kommt es zur umfassenden Christuserkenntnis (Lk 24,13-35).“ 168

       „Entscheidend ist, daß in und mit Jesus Christus das Wort in sein Eigentum gekommen ist, daß in und mit diesem Wort Gott bei uns ist. “ 169

       „Denn viele Verführer sind in die Welt ausgegangen, die nicht bekennen, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist. Das ist der Verführer und der Antichrist“.

      (2 Joh 7)

      Mit der als ketzerisch zu bezeichnender Verleugnung der Gottessohnschaft Jesu Christi, gegen das einhellige Zeugnis des gesamten Neuen Testaments, untergräbt Bultmann das Fundament des gesamten Neuen Testaments, auf dem das Heilswerk Gottes gegründet ist. Er beseitigt auf diese Weise den Grund der Existenz des Neuen Testaments überhaupt, bestreitet seinen Sinn und ignoriert seinen Gehalt, entzieht ihm die alles tragende Substanz. Ob er das selbst erkannt hat? Ich halte seine Aussagen zur Gottessohnschaft für einen Gipfel der Verleugnung, eine unüberbietbare Häresie, gäbe es nicht Bultmann und seine Methode, der, in seinem hier behandelten Aufsatz, darüber hinaus, sich stetig steigernd, die gesamte christliche Botschaft für sinnlos erklärt, wie ich im Verlauf dieser Arbeit weiter nachweisen werde.

      Die Gottessohnschaft aber ist der Grund aller Gründe.

      „Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11).

      Die Gottessohnschaft ist das Fundament des Christentums und gleichzeitig sein alles zusammenhaltender Eckstein. „Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden. Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist. “ (1 Petr 2,6f)

      Ohne die Gottessohnschaft wäre Jesus Christus nur ein Mensch wie jeder von uns, vielleicht einer mit ein paar übernatürlichen Kräften ausgestattet, höchstens ein Lehrerund Prophet, wie Bultmann meint.170 Sein Tod wäre ein Tod, wie der Millionen anderer, ohne jede Bedeutung für die Welt und die Menschen. Seine Auferstehung und seine Erscheinungen wären gespenstisches Mirakel, wie Bultmann meint.171

      Die Menschheit wäre verloren. Denn, kein Mensch kann uns versöhnen mit Gott und uns das ewige Heil schenken.

      Das kann nur Gott. ER tat es in seinem Sohn, Jesus Christus in Person. Alles, wirklich ALLES Christliche hängt hiervon ab: Dass Jesus Christus Gottes Sohn ist. Wer das leugnet, wie Bultmann und andere, verleugnet das gesamte Evangelium, seine Heilsbotschaft für uns Menschen und für die Schöpfung. Diese Leugner haben das Evangelium ganz und gar nicht im Blick. Alle weiteren Verleugnungen sind konsequente Folge dieser Ur-Verleugnung.

      “Auf diesem Glaubensartikel – geboren von der Jungfrau Maria – steht und fällt auch das ganze Versöhnungswerk Gottes in Christo und das daraus hervorgehende Verherrlichungswerk in der ganzen Kreatur.“172

      Karl Barth in unübertrefflicher Klarheit und Eindeutigkeit: „Entweder wir haben es in Jesus Christus mit Gott zu tun oder mit einer Kreatur. […] Wo es um die wichtige Sache geht, da darf man nicht kommen und >Friede, Friede, liebe Kindlein!< rufen, sondern da will der Streit mit aller Unerbittlichkeit zu Ende geführt sein. […]

       Alle die Formeln sagen ja nur das Eine: der Eingeborene, vom Vater vor aller Zeit Gezeugte, der Sohn, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, also nicht Kreatur sondern Gott selbst, g l e i c h e n Wesens mit dem Vater nicht nur ähnlichen Wesens, G O T T i N P E R S O N. […] in diesem Bekenntnis zu Gottes Sohn unterscheidet sich ja der christliche Glaube von allem, was man Religion nennt. Wir haben es mit Gott selbst zu tun.“173

       „Das Christentum […] verbindet mit seinem Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu einen eschatologischen Anspruch, der besagt, daß Gott sich in Jesus von Nazareth ein für alle Mal, einzigartig, unvertauschbar, endgültig und unüberbietbar geoffenbart und mitgeteilt hat. […] Mit dem Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes steht und fällt der christliche Glaube.“ 174

      


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