Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa
im Einzelnen
1.2.1 Gottes Sohnschaft Jesu Christi
1.2.1.1 Bultmann
„Dem mythischen Weltbild entspricht die Darstellung des Heilsgeschehens.“105 […]. In der Anmerkung 1, S 15: Gal 4, 4; Phil. 2, 6ff.; 2. Kor. 8,9; Joh. 1, 14 usw. […]„Sofern es nun mythologische Rede ist, ist es >für den Menschen von heute unglaubhaft<. “106
„Die Legende von der Jungfrauengeburt […] begegnet nur vereinzelt. “107
„Es ist nun keine Frage, daß das Neue Testament das Christusgeschehen als ein mythisches Geschehen vorstellt. “108
„Auch die >Inkarnation< ist als eschatologisches Ereignis nicht ein datierbares Ereignis der Vergangenheit, sondern jeweils Ereignis im Ereignis der Verkündigung. “109
„Bultmann befindet […]: “Die Formel 'Christus ist Gott' ist falsch in jedem Sinn, in dem Gott als eine objektivierbare
Größe verstanden wird, mag sie nun arianisch oder nizäisch oder liberal verstanden sein.“ (R. Bultmann, GV II, S 258).“110
‘Mit der Christologie ist uns nichts anderes gegeben als die Explikation des glaubenden Verständnisses des neuen Seins.’111
„Merkwürdigerweise zitiert Bultmann […] widerholt den Satz Joh 1,14: „Das Wort ward Fleisch“, obschon die Negation dieses Satzes der Angelpunkt seiner Theologie ist. Er „interpretieret“ diesen Satz freilich so, daß er einem dem Wortlaut gerade entgegengesetzten Sinn bekommt. Während nach dem Evangelium der, welcher schon Wort war, Fleisch geworden ist, besagt der Satz nach Bultmann, daß Gott gerade nicht Fleisch geworden ist, sondern Wort blieb.“112
„Das Wesentliche [der religionsgeschichtlichen Schule, mit der Bultmann weitgehend übereinstimmt] ist das religiöse Leben, dessen Höhepunkt eine Mystik ist, die sich mit Christus, in dem Gott symbolhaft Gestalt genommen hat, eins weiß.“113
„Allerdings ist Jesus als reiner Mensch aufgetreten wie ein Prophet und Lehrer. Er trägt keine Lehre über seine Person vor,114 […] Seine Lehre ist nicht neu durch ihren Gehalt an Gedanken; denn in ihrem Gehalt ist sie nichts anderes als reines Judentum, reiner Prophetismus.“115
Thielicke interpretiert Bultmann: „Das Wort ward Fleisch bezeichnet […] [bei Bultmann] nicht das historische Faktum im Stall zu Bethlehem, sondern es bezeichnet den Umwandlungsakt meines Selbstverständnisses, der von diesem historischen Ort ausgeht. […] Das geschichtlich Berichtete des N. T. ist […] nicht selber Ereignis, sondern nur Prolegomenon eines Ereignisses: nämlich des Ereignisses meines Bewußtseinswandels.“116
1.2.1.2 Das verleugnete Wort der Sohnschaft im NT
„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. (Gal 4,4+5)
„Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. “
(Phil 2,6ff)
„Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet. “ (2 Kor 8,9)
„Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit:“ (Joh 1,14)
1.2.1.3 Gegenrede: Gottessohnschaft, das Fundament des Christentums
Für keine seiner Behauptungen liefert Bultmann nachvollziehbare, der Sache angemessene Begründungen oder Belege. An diesen unbegründeten Behauptungen werden die Auswirkungen der unhaltbaren Vornahmen und dogmatischen Fehlurteile Bultmanns schon erkennbar. – vgl. vor allem Kapitel 6.2 und 6.5 – Mit diesen dogmatischen Vorannahmen kommt es zu solchen und anderen gravierenden theologischen Fehlurteilen bei Bultmann, denen ich hier ganz entschieden widerspreche. Im Gegensatz zu Bultmanns unbegründeter Behauptung, Jesus trage keine Lehre über seine Person vor,117 verweise ich auf die über 200 „Ich bin“ Aussagen Jesu über sich und den Sinn seines Kommens und seines Wirkens und seiner Person. Ebenso widerspreche ich Bultmanns falscher Behauptung, Jesu Lehre sei nicht neu – das ist die reine Verleugnung des Evangeliums -- sie sei nichts anderes als reines Judentum, reiner Prophetismus [sic]118
Das genaue Gegenteil ist der Fall. Jesu Person, Werk und Lehre sind analogielos. Es ist hier nicht der Ort, ausführlich über die große Fülle, insbesondere der soteriologischen Differenzen zwischen dem Judentum und dem Christentum einzugehen. Es kann hier wegen der Komplexität und des Umfangs der Differenzen nicht gezeigt werden, daß das Kommen und Wirken Jesu Christi in jeder Hinsicht die Überbietung der jüdischen Erwartungen darstellt. Deshalb nur ein einziges Beispiel aus der Fülle neutestamentlicher Aussagen der Lehre Jesu. Gegen Bultmann: Nie zuvor konnte jemand von sich sagen, oder hat von sich gesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.
Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer so lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. (Joh 11,25;26)
„An der Sohnschaft Christi im Sinne eines Gegenüber Christi zum Vater scheitert Bultmanns >Christologie des letzten Propheten< (Wiesner).“119 „ Gal 4,4-5120 ist wie Phil 2,6-11121 und 2. Kor 8,9122 [von Bultmann allesamt als „erledigt“ bezeichnet] ein Schriftbeleg für die Zusammengehörigkeit von christologischem und soteriologischem Zeugnis. Die Grundbestandteile dieses Christuszeugnisses sind von Anfang an gegeben: Die Einheit Gottes mit seinem Sohn, der diesen aus der Gemeinschaft mit sich entsendet. “123
„Die Titel „Sohn Gottes“, Christus“, “Kyrios“ gebraucht Paulus absolut oder stellt sie – zumeist zwei von ihnen – nebeneinander. Wie in Röm 1,3-4 finden sich in 1. Kor 1,9 alle drei Titel.“124
„R. Bultmann, ruft falsche Assoziationen hervor, wenn er bei der Exegese von Joh 1,14 auf gnostische „Gottwesen“ hinweist, die vorübergehend Menschengestalt annahmen und sich in Fleisch und Blut „kleideten“ Darin liegt nicht nur keine Sachparallele zu Joh 1,14 vor, damit wird vielmehr das Gegenteil dessen beleuchtet, was im Johannesprolog gemeint ist. Denn nach dem Prolog wie nach dem Evangelium trug der Fleischgewordene die Menschengestalt nicht als Verkleidung, die er auch wieder hätte ablegen können, sondern sie war Bestandteil seiner Identität und hat ihm schließlich den Tod am Kreuz eingebracht.“125
„>Das Wort ward Fleisch<. Dies Wort, in dem die Welt geschaffen ist, das bei Gott ist und selbst Gott ist. Ist mitten unter uns, bekommt sein (eigene) Geschichte. […] Es ist sich und durch sich, was es ist: Wahrheit, Weg und Leben. […] nur das Wort kann uns Eingang in diese Geschichte vermitteln.[…] >Das Wort ward Fleisch< […] heißt […] daß dieses Wort, hinter das zurückzugehen hieße, hinter Gott selbst zurückzugehen, das Subjekt der Geschichte ist, daß also diese Geschichte nur als A und O aller Geschichten gehört, begriffen und ausgelegt werden kann.“ 126
Bultmanns Einlassungen zur Gottes-Sohnschaft Jesu Christi verkennen in eklatanter Weise, daß mit der Inkarnation die Weltenwende vollzogen ist. Dort wird die Identifikation Gottes mit den Menschen sichtbar und wirksam.127
„So sehen wir fur augen, das der herr Christus, der das ewige Leben