Arizona Gunfighter - 10 Western: Sammelband Januar 2018. Pete Hackett
Wort „Tod“, das ihn handeln ließ. Der Selbsterhaltungstrieb, der in jedem Menschen und jedem Tier ist, wurde in ihm lebendig. Die Lähmung, die ihn seit dem Schuss befallen hatte, war plötzlich wie fort gewischt. Jetzt zeigte es sich, dass die, die ihn zum Tode verurteilt hatten, ihn wohl voll verantwortlich machten für seine Tat, ihn aber dennoch nicht als ganzen Mann angesehen hatten und völlig überrascht waren, als er seinen Bewacher mit einem einzigen Faustschlag niederstreckte und sich so einen Weg in die Freiheit bahnte.
Diese Freiheit war teuer erkämpft. Es war nicht die Freiheit, die er sich wünschte. Es war die Freiheit eines gehetzten, steckbrieflich gesuchten jungen Menschen, der ständig damit rechnen musste, dass sie zu Ende war. Aufgebote hatten ihn gesucht, und sein Steckbrief hing an allen Sheriffoffices. Man hatte seinen Vater ohne ihn beerdigt. An dem Tag, an dem die Beerdigung war, lag er angeschossen von einem Mann des Aufgebotes in einem Dornenbusch versteckt, in dem er sich wie ein Tier verkrochen und in Sicherheit gebracht hatte. Er hörte die Häscher, als sie ganz dicht vor seinem Versteck vorbeiritten. Er kämpfte gegen die schier unerträglichen Schmerzen an und biss sich die Lippen blutig, um sich nicht durch ein Stöhnen oder durch einen Schrei zu verraten.
Kaum war die Gefahr vorbei, als er in eine tiefe Ohnmacht sank, aus der er erst Stunden später wieder erwachte. Niemand hatte ihn gefunden, kein barmherziger Samariter hatte ihm Hilfe gebracht. In seiner Not hatte er erkennen müssen, wie sehr ein Mensch allein sein kann. Sein Erwachen glich einem Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Das Bild jenes Mannes, dem er seine Kugel geschickt hatte, war vor ihm wie eine erschreckend bleiche unheimliche Maske. Es war so lebendig, dass er seine Not hätte herausschreien mögen. Doch niemand hätte ihn gehört, niemand wäre gekommen. Eine zweite Ohnmacht bereitete dem unheimlichen Gesicht ein Ende.
Das nächste Erwachen war grauenvoll. Der Notverband, den er sich hatte anlegen können, war von Blut und Erde verkrustet. Als er den Versuch machte, sich zu erheben, drückte ihn eine Schwäche nieder. Dreimal musste er ansetzen und seinen ganzen Willen aufbieten, dann schaffte er es. Als er stand, musste er sich an den Zweigen festhalten, denn die Umgebung drehte sich wie ein Karussell um ihn. Der Regen, der auf ihn niederfiel, hatte auch sein Gutes, er löschte seine Spur und machte sie auch für den Suchhund unbrauchbar, den man auf sie gesetzt hatte, als ein Farmer gemeldet hatte, dass er sich in der Nacht Decken, Proviant und anderes mehr von seiner Farm geholt hatte. Er hatte einen Zettel zurückgelassen, auf dem er alles verzeichnet hatte, was er sich genommen hatte, bevor er seine Flucht weiter fortsetzte. Dieser Zettel trug seine Unterschrift und den Vermerk, dass er alles zurückerstatten würde, was er sich genommen hatte.
Er hatte dem Farmer in der Tat nach Monaten vierzig Dollar geschickt. Das war mehr, als die Sachen wert gewesen waren, die er sich genommen hatte. Was aber waren die Tage und Wochen, die er auf der Flucht zubrachte, für eine Qual für ihn gewesen! Einem Arzt hatte er sich nicht anvertrauen dürfen. Er bekam seinen eigenen Steckbrief zu sehen, als ihn die Not in eine Siedlung hinein trieb. „Gesucht wird Dan Flemming“, so lautete die Überschrift. Es folgte seine Personenbeschreibung und eine Schilderung seiner Tat. Ihm schwindelte, als er seinen Steckbrief sah. So heimlich wie er in die Siedlung gekommen war, so heimlich verschwand er auch wieder, um zu seinem Versteck, das er bei den alten Stollen hatte, zurückzukehren. Hier blieb er, bis er wieder völlig zu Kräften gekommen war. Seine Wachsamkeit und sein Misstrauen blieben in der Folgezeit. Von Rohhäutern, einer starken Menschengruppe, die mit Ross und Wagen nach Zigeunerart das Land durchstreifte, ließ er sich eine lange Wegstrecke mitnehmen. Mit diesen Menschen hatte es eine eigene Bewandtnis. Sie fühlten sich so frei wie die Vögel lebten, fragten nicht, woher er kam und wohin er wollte. Sie nahmen ihn auf, und er lebte bei ihnen wie in einer großen Familie. Die Menschen hatten wildes Blut in den Adern und stammten wohl aus dem Süden. Sie waren arm, aber die Armut bedrückte sie nicht. Niemand hatte Besitz, es gehörte alles der Gemeinschaft. Wer irgendwo etwas stehlen konnte, wurde als Held gefeiert. Schwere Arbeit betrachteten sie als eine Erniedrigung, sie liebten den Wind und die Sonne. Sie waren groß und schlank gewachsen und hatten eine goldbraune Hautfarbe. In ihren schwarzen, staunenden Tieraugen wurde die sanfte Schwermut eines Menschenschlages sichtbar, der mit der strebsamen und alles an sich reißenden Welt, die sich im Westen bemerkbar machte, nichts gemein hatte. Ihren Namen hatten sie nach ihrer Angewohnheit erhalten, rohe Häute für viele Zwecke des täglichen Bedarfs zu verwenden.
Dan war nicht der einzige, der bei den sonderbaren Menschen Unterschlupf gefunden hatte. Er war allerdings der jüngste der Gäste der Rohhäuter. Die beiden anderen waren hünenhafte Männer mit weißblonden Haaren. Die Brüder hätten gut zu jedem Wikingeraufgebot gehören können. Sie hatten harte Gesichter, in die tiefe Linien hineingegraben waren.
Dan Flemming erfuhr bald, dass die beiden keine Dauergäste waren, aber in gewissen Zeitabständen immer wieder bei den Rohhäutern auftauchten.
Auch diese beiden Männer fragten Dan nichts und drängten sich nicht auf.
Texas lag bald weit zurück und damit der Staat, in dem Dan so bittere Erfahrungen gesammelt hatte. Er zog weiter mit den Rohhäutern und mit Paul und Lee Millard. New Mexiko, Colorado, Wyoming und Montana waren weitere Länder, die er kennenlernte. Von dort ging es nach Dakota, wo Dan zum ersten mal den Missouri zu sehen bekam. Nord und Süddakota blieben zurück, es folgten Iowa, Missouri, Arkansas und Oklahoma, der Nachbarstaat von Texas.
Zwei Jahre waren auf diesem gewaltigen Trail vergangen, zwei Jahre, in denen Dan Flemming viel gesehen und gelernt hatte, in denen er viel erlebt hatte. In diesen zwei Jahren war er ein Mann geworden. Er hatte jetzt seine ersten Kämpfe hinter sich, er hatte die Menschen kennengelernt und zwei Freunde gewonnen, die beiden Brüder Paul und Lee Millard.
Bei Nacht und Nebel musste er die Rohhäuter verlassen, denn die ganze Sippe war hinter ihm her. Ohne die beiden blonden Hünen hätte er der Welt so long sagen müssen. Schuld daran war die Frau des Rohhäuterführers. Nicht, dass Dan sich ihr genähert hätte, nein, sie war es, die sich in ihn verliebte, bis zur Leidenschaftlichkeit in den jungen Mann vernarrt hatte. Wo er sich auch immer aufhielt, ihre dunklen, mandelförmig geschnittenen Augen folgten ihm. Das musste auch ihrem um viele Jahre älteren Mann, der fast schon ein Greis war, auffallen. Gewiss hätte der Alte es auch ohne die Stammesangehörigen gemerkt, die ihm rieten, sehr wachsam zu sein.
Nun, Dan hatte sich einen Namen bei den Rohhäutern gemacht. Selbst die Anführer mussten das anerkennen, denn er gehörte zu den Leuten, die dafür sorgten, dass es immer etwas zu essen gab. Das war nicht leicht, denn es mussten viele Mäuler gestopft werden. Niemand verstand es so gut wie er, die besten Schlachtrinder aus den Herden herauszutreiben und zu schlachten. Wenn seine beiden schweigsamen Freunde ihn begleiteten, war die Beute meist sehr groß. Niemals hatte man besondere Schwierigkeiten, denn Fleisch war immer zu besorgen. Das Dutzend Rinder, das man dann und wann aus den großen Herden holte, zählte kaum. Aber nicht immer ging es glatt ab, einige Male gab es auch Kampf, doch nie einen Toten. Lieber verließen sie sich auf ihre schnellen Pferde. Als sie wieder einmal verfolgt wurden, mussten sie alle drei für einige Zeit von den Rohhäutern fernbleiben. Während dieses Fernbleibens war Dan für drei Monate mit seinen beiden Freunden in wilden, offenen Rinderstädten gewesen. Mehrmals mussten sie sich ihrer Haut erwehren. Als man wieder zu den Rohhäutern stieß und die Frau des Anführers mit Erstaunen erkannt hatte, dass die wenigen Monate genügt hatten, aus dem schlaksigen Jungen einen Mann zu machen, an dem eine Frau nicht vorbeisehen konnte.
„Unser Benjamin hatte Glück“, hatte Paul Millard bei der Rückkehr zu den Rohhäutern gesagt. „Mehrere harte Jungens haben es mit ihm versucht, doch er schlug sie alle. Die neuen Kerben an seinem Colt bedeuten das Ende einiger hartgesottener Burschen, die eines Tages von einem Ranger oder Staatenreiter sowieso geholt worden wären. Das Gesetz müsste unserem Benjamin eigentlich einen Orden verleihen.“
Dan hatte ganz verlegen dagestanden und von diesem Tage an war die Leidenschaftlichkeit einer üppig schönen Frau auf ihn gefallen. Vielleicht war sie gefesselt von dem Geheimnisvollen und Undurchsichtigen, das Dan umgab, ohne dass er sich selbst dessen bewusst wurde. Vielleicht sah die Frau in dem um zwei Jahre jüngeren Mann das Traumbild des Mannes, nach dem sie sich innerlich verzehrte. Nur der Himmel oder die Hölle mochten indes wissen, was in dieser leidenschaftlichen Frau tatsächlich vor sich ging. War es das Besondere und Gefährliche, das diese Frau