Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane. A. F. Morland
allem Komfort. Möchtest du fernsehen?“
„Nein. Langweilst du dich denn mit mir?“
„Aber keine Spur. Davon kann überhaupt keine Rede sein.“ Er leerte sein Glas und füllte es gleich wieder.
Er trinkt zu viel, dachte Sonja.
Thomas beugte sich zu ihr hinunter und sah ihr tief in die Augen. „Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe, Sonja. Wieso haben wir eigentlich nie miteinander geschlafen?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Sonja mit belegter Stimme.
„ An Gelegenheiten hat es uns doch nie gemangelt. Wir waren sehr oft allein.“
Sonja zuckte die Schultern. „Es hat sich eben nie ergeben.“
„Könnte es sich denn – heute ergeben?“, fragte Thomas leise.
Sonja vibrierte innerlich. „Tut mir leid, Thomas“, sagte sie heiser, „der Zug ist abgefahren.“
Er sah sie überrascht an. „Du nimmst doch nicht etwa Rücksicht auf Patrick?“
„Es gibt zwischen einem Mann und einer Frau so gewisse Augenblicke – entweder funkt es dann, oder es läuft nie mehr etwas zwischen den beiden.“
Thomas richtete sich auf und trank. „Du meinst, ich habe diese gewissen Augenblicke nicht erkannt und dadurch verpasst?“
„Ja“, sagte Sonja. „Das meine ich.“ Sie stellte ihr Glas weg und stand auf. „So, und nun muss ich gehen.“
Er riss verblüfft und enttäuscht die Augen auf. „Jetzt? Wohin denn?“
Sie lächelte. „Dumme Frage. Nach Hause natürlich.“
„Aber dafür ist es doch noch viel zu früh.“
Sie schluckte trocken. „Es ist besser, wenn ich gehe. Wir sehen uns ja sicher wieder – irgendwann. Das lässt sich gar nicht vermeiden, wenn du deine Zelte wieder in München aufschlägst.“ Sie gab ihm einen sehr flüchtigen Kuss auf den Mund. Er wollte sie packen und an sich pressen, doch sie war schneller, entwand sich seinem Griff und war schon bei der Tür.
„Adieu!“, rief sie, und dann war sie auch schon draußen.
Er fluchte, als er allein war, griff sich wütend die Flasche, setzte sie an die Lippen und trank mit gierigen Zügen. Verdammt, er wollte betrunken sein.
Aber der Champagner reichte nicht. Er ließ sich eine Flasche Whisky bringen und trank Glas um Glas. Er wusste, dass er mit dem Alkohol vorsichtig sein musste, dass ihm der viele Whisky nicht gut tat, aber es war ihm egal.
Er behandelte sich wie einen Todfeind, den er vernichten wollte. Es war verrückt, aber er hasste sich. Ja, er konnte diesen Thomas Winter nicht ausstehen. Diesen eingebildeten Gockel, der meinte, jede Frau haben zu können. Diesen leichtsinnigen Abenteurer. Diesen unzuverlässigen Luftikus, der aller Welt – und auch sich selbst – etwas vorspielte. Diesen kranken Mann, der so tat, als könne er Bäume ausreißen. Dabei war sein Herz so schwach, dass ihm jede Aufregung schadete.
Nicht Heimweh hatte ihn nach München zurückgetrieben, sondern Angst. Angst davor, in irgendeiner fremden Stadt zu sterben. Niemand sah es ihm an.
Selbst Dr. Kayser hatte nicht gemerkt, dass er ein todkranker Mann war, der – bei seinem Lebenswandel – nicht mehr lange zu leben hatte.
Sein Herz ... Angina pectoris hatten drei Ärzte unabhängig voneinander diagnostiziert. Einer in Mainz, einer in Bonn und einer in Hamburg.
Striktes Alkoholverbot hatten sie ihm erteilt, doch hielt er sich dran? Nein. Er trank weiter, mehr denn je. Er trank nicht, er soff schon, und er war gespannt, wie lange er das durchhalten würde.
Jetzt, wo er endlich zu Geld gekommen war, ging es ihm gesundheitlich furchtbar schlecht. Er würde das viele Geld, das er während einer lang anhaltenden Glückssträhne gemacht hatte, nicht mehr ausgeben können. War das nicht traurig? Immer, wenn er traurig war, musste er trinken.
„Prost!“, sagte er und trank den nächsten Whisky in einem Zug aus.
Es bringt mich um!, dachte er, während er das Glas abermals füllte. Wenn schon! Niemand wird Thomas Winter eine Träne nachweinen. Ich befreie die Welt von einem Übel. Herrgott, wie lange dauert das denn, bis ich so betrunken bin, dass ich nicht mehr denken kann?
Ihm war heiß, er riss den Kragenknopf auf und öffnete den Hemdkragen. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Kalter Schweiß! Er trank, ließ die Ewigkeit hochleben.
O ja, er war ein übler Zyniker, und nichts war ihm heilig. Er machte sich über alles lustig. Sogar über seinen eigenen Gesundheitszustand.
Und über den Tod, der seine Knochenfüße bereits an die Startklötze gestemmt hatte, der ihn jedoch nicht einschüchtern konnte.
Alle Menschen müssen sterben, die einen früher, die anderen später. Übrig bleibt am Ende keiner. Das ist nun mal der Lauf der Welt, der Zyklus des Lebens, ein ständiges Kommen und Gehen. Je früher man sich damit abfindet, desto leichter fällt es einem, zu gehen, wenn man an der Reihe ist. Das war jedenfalls Thomas’ Meinung.
Zweimal hatte er bereits einen Blick ins Jenseits geworfen. Man hatte ihn gerade noch retten können. Nun, vielleicht klappte es diesmal. Aller guten Dinge sind drei.
Er trank und trank in selbstzerstörerischer Wut.
Und dann – endlich – packte der Schmerz zu. Mit glühenden Krallen wühlte er sich durch seinen Brustkorb. Der Startschuss war gefallen. Der Sensenmann stieß sich von den Klötzen ab und stürmte los, um sich Thomas Winter zu holen. Wer würde diesmal schneller sein? Wieder die Ärzte?
Thomas bäumte sich auf, schrie, ließ das Glas fallen und torkelte durch den Raum. Er stieß die Nachttischlampe um und stürzte aufs Bett. O Gott, warum war es so verdammt schwer, zu sterben? Warum musste es so höllisch weh tun? Vom Rücken her stach der Schmerz gnadenlos in die Brust.
Thomas Winter krümmte sich und röchelte. Sein Gesicht war schmerzlich verzerrt.
„Neeeiiin!“, schrie er verzweifelt. Etwas in ihm entfaltete plötzlich einen unbegreiflichen Lebenswillen. Er wollte auf einmal nicht mehr Sterben. Feigling! Feigling!, brüllte sein zerrissenes Ego. Und der Tod war auf der Bahn schneller als die beiden anderen Male. Diesmal konnte er es schaffen.
Ein zweiter Stich attackierte ihn – brutaler und schmerzhafter als der erste.
Das überlebst du nicht!, durchfuhr Thomas. Der Tod ist die größte Erfahrung im Leben eines Menschen. Heute machst du sie.
Der Sensenmann jagte heran. Thomas’ Leben war die heißbegehrte Trophäe, die er sich um jeden Preis holen wollte. Nitro ... hallte es in Thomas’ Kopf. Das Nitropräparat ... Dr. Binder, der Arzt, bei dem er zuletzt gewesen war, hatte ihm geraten, das Röhrchen mit den rettenden Kapseln bei sich zu tragen. Sobald er einen Anfall habe, müsse er so eine Kapsel zerbeißen – und vielleicht auch noch eine zweite, hatte Dr. Binder ihm eingeschärft. Thomas suchte das Röhrchen.
Er grub mit zitternden Händen seine Hosentaschen um. Das Röhrchen! Wo ist es? Wo ... ist ... es ... Da! Er bekam es zwischen die kraftlosen Finger, holte es heraus, hatte unendliche Mühe, es zu öffnen.
Wertvolle Zeit vertickte. Schmerzhafte Zeit. Jede weitere Sekunde schlug beim Sensenmann zu Buche. Thomas’ schmerzverzerrtes Gesicht war wächsern, die Lippen hatten sich violett verfärbt. Riesige Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.
Endlich bekam er das Röhrchen auf. Hastig schüttelte er eine Kapsel in seine hohle Hand, warf sie sich in den Mund und zerbiß sie.
Bitterer Geschmack verteilte sich in seinem Mund. Widerlich. Thomas’ Zähne schlugen hart aufeinander. Er hatte Probleme, die zerbissene Kapsel zu schlucken.
Patrick, wenn das Nitropräparat nicht wirkt, kriegst du deine