Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane. A. F. Morland
7
„Sind das da hinten nicht Sonja Winter und ihr Schwager Thomas?“, fragte Dr. Kayser.
Solveig Abel, die ihn zum Abendessen eingeladen hatte, erwiderte lächelnd: „Ich beglückwünsche dich zu deinen guten Augen.“
„Nicht wahr? Ich sehe wie ein Falke“, grinste Sven Kayser. Er und die achtunddreißig-jährige Witwe Solveig Abel waren seit geraumer Zeit miteinander verhandelt, und eine Menge Leute fragten sich, warum die beiden nicht heirateten, wo sie doch so wunderbar zusammenpassten.
Die Antwort war einfach: Weil Bigamie nicht erlaubt war. Da Solveig Abel und Dr. Sven Kayser bereits mit ihrem Beruf verheiratet waren, mussten sie auf eine zweite Ehe wohl oder übel verzichten.
Aber sie waren auch ohne Trauschein glücklich miteinander und versuchten, so oft wie möglich zusammen zu sein. Heute hatten sich die Hausbesuche in Grenzen gehalten, sonst hätte Sven Kayser noch nicht hier sein können.
„Wie schmeckt dir das Pfeffersteak?“, erkundigte sich Solveig.
Sven – selbst Hobbykoch – küsste seine Fingerspitzen. „Es zergeht auf der Zunge.“ Er aß mit großem Appetit. „Könnte ich nicht besser machen“, meinte er grinsend.
„Und das will was heißen“, schmunzelte Solveig.
„Allerdings.“ Sven spülte den letzten Bissen mit einem herzhaften Schluck Bier hinunter. „Wohnt Thomas Winter hier?“, erkundigte er sich.
Solveig nickte. „Ja.“
„Seit wann?“
„Seit gestern“, antwortete Solveig.
„Er war mal mein Patient.“ Sven erinnerte sich, dass Thomas Winter bereits in jungen Jahren erhöhte Zuckerwerte gehabt hatte. Er hatte ihm geraten, die Werte zu beobachten. Ob er es getan hatte, war bei einem leichtsinnigen Mann wie ihm mehr als fraglich.
Der Kellner servierte ab. „Nachtisch?“, erkundigte sich Solveig.
Sven schüttelte den Kopf. „Abends soll man nicht so viel essen.“
Der Kellner hatte gewartet. Solveig sah ihn an und schüttelte ebenfalls den Kopf. „Für mich auch nicht, danke. Ich muss auf meine Linie achten.“
Der Kellner entfernte sich. Als er wenig später ein großes Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit mächtig viel Schlagsahne vorbeitrug, meinte die Restaurant und Hotelbesitzerin schmunzelnd: „Zum Glück sind nicht alle so vernünftig wie wir beide. Das wäre nicht gut für mein Geschäft. Und für deines auch nicht.“
„Wieso für meines auch nicht?“
„Es gäbe viel weniger Kranke“, erklärte Solveig Abel.
„Das würde ich mir wünschen“, sagte Sven Kayser ehrlich.
„Obwohl du viel weniger zu tun hättest?“
„Ich hätte dann eben mehr Zeit für die restlichen Patienten“, erwiderte Dr. Kayser.
Sonja und Thomas Winter erhoben sich. Sie kamen an Dr. Kaysers und Solveig Abels Tisch vorbei. Als Thomas seinen früheren Hausarzt erblickte, strahlte er über das ganze Gesicht.
„Herr Dr. Kayser! Freut mich, Sie zu sehen!“, rief er begeistert aus und schüttelte dem Grünwalder Arzt mit überschwänglicher Herzlichkeit die Hand.
„Geht es Ihnen gut?“, erkundigte sich Sven.
„Ich fühle mich ganz ausgezeichnet“, behauptete Thomas Winter.
Sonja erwähnte den Besuch ihrer Mutter in der Grünwalder Arztpraxis.
Sven nickte. „Frau Dietrich kommt leider um eine Operation nicht herum.“
„Ist es ein schwieriger Eingriff?“, erkundigte sich Sonja.
Sven schüttelte den Kopf. „Kaum der Rede wert.“
„Ich glaube, sie hat ein wenig Angst vor der Operation.“
„In ein paar Tagen wird sie wissen, dass sie sich umsonst gefürchtet hat, und sie wird wieder beschwerdefrei laufen können“, sagte Dr. Kayser. Er wandte sich wieder an Thomas Winter. „Sind Sie nur zu Besuch in München oder haben Sie vor, zu bleiben?“, fragte er.
„Ich habe in dieser Stadt meine Wurzeln, deshalb bin ich zurückgekommen, und ich gedenke zu bleiben. Zur Zeit bin ich auf der Suche nach einer geeigneten Unterkunft. Bis ich was Passendes gefunden habe, wohne ich bei Frau Abel.“
Thomas Winter richtete den Blick auf Solveig. „Ich fühl’ mich unheimlich wohl hier.“
„Das freut mich“, erwiderte Solveig Abel.
Thomas Winter grinste pfiffig. „Vielleicht sollten wir mal über Sonderkonditionen für Dauergäste reden, dann brauche ich mich nicht weiter nach einer Wohnung umzusehen. So, und nun wollen wir nicht länger stören. Einen schönen Abend noch. Hat mich wirklich gefreut, Sie wiederzusehen, Dr. Kayser. Vielleicht komme ich demnächst zu einem Checkup in Ihre Praxis.“
„Schwester Gudrun wird Ihnen gern einen Termin geben“, sagte Sven.
„Schwester Gudrun.“ Thomas Winter lachte. „Ist die immer noch bei Ihnen?“
„Natürlich!“
„Wie alt ist die Gute denn schon?“, wollte Thomas Winter wissen.
„Vierundsechzig – und noch kein bisschen leise“, antwortete Dr. Kayser.
8
„Mach es dir bequem“, forderte Thomas Winter seine schöne Schwägerin. auf. „In diesem Sessel. Oder auf dem Bett. Wo du willst.“
Sonja hielt sich vom Bett fern. Sie wollte nichts heraufbeschwören. Sie bereute sogar schon ein wenig, mit hochgekommen zu sein.
Wozu war sie hier? Warum hatte sie sich in diese Gefahr begeben? Ihr gefiel Thomas zwar immer noch sehr, aber sie hatte ganz bestimmt nicht vor, mit ihm zu schlafen.
Nicht deshalb, weil sie verheiratet war – das hatte sie noch nie gestört – sondern weil Joachim Aiger ihr derzeitiger Favorit war. Thomas hatte gesagt, er wolle ihr sein Zimmer zeigen, und sie war dummerweise damit einverstanden gewesen. Thomas hatte eine Flasche Champagner bestellt. Jetzt ließ er den Korken knallen und füllte die Gläser.
„Ich möchte eigentlich nichts mehr trinken“, sagte Sonja gepresst.
„Ach komm, sei kein Frosch“, meinte Thomas gutgelaunt. „Wir müssen unser Wiedersehen doch gebührend begießen!“
„Das haben wir doch schon!“
„Noch nicht genug“, befand Thomas, drängte ihr das Glas auf und stieß mit ihr an. Er trank. „He, wieso bist du auf einmal so verspannt?“
„Bin ich ja gar nicht.“
„Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?“
„Vor