Vergiss mein nicht!. Kasie West

Vergiss mein nicht! - Kasie West


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Ritual gibt, dass diesen Worten normalerweise folgt, aber ich sehe mich trotzdem erwartungsvoll um. Ich werde mit ein paar ausdruckslosen Blicken begrüßt. Fast alle anderen unterhalten sich mit ihren Nachbarn oder checken ihr Handy. Ich bin erleichtert, dass »jemanden willkommen heißen« nicht bedeutet, vor der Klasse drei lustige Details über sich selbst preisgeben zu müssen oder derlei Peinlichkeiten mehr, vor denen ich mich gefürchtet habe. Vielleicht brauchte ich ja am ersten Tag noch nicht einmal meine angebliche Vorgeschichte auszuprobieren.

      »Du kannst dich setzen«, sagt der Lehrer und zeigt auf einen Stuhl in der Mitte der ersten Reihe – der Platz, den alle anderen ganz offensichtlich gemieden haben.

      »Oh, okay.« Ich versuche mir einen anderen freien Platz zu suchen, aber es ist nur ein einziger frei, neben einem Typen, der die Hälfte davon einnimmt, zusätzlich zu seinem eigenen. Während ich mich umschaue, bemerke ich Trevor in der hinteren rechten Ecke. Ich lächle und er nickt mir zu.

      Es sieht so aus, als bliebe mir keine andere Wahl als der gefürchtete Platz in der ersten Reihe; ich mache also die zwei Schritte und setze mich. Mr Buford – laut meines allwissenden Stundenplans – geht an sein Pult und drückt Play auf einem iPod, der in einer Dockingstation steckt. Musik dröhnt durch den Raum und fast alle halten sich die Ohren zu. Ich schwäche den Krach mental ab.

      Er dreht an den Reglern herum, bis die Musik leiser wird. Erst dann erkenne ich die Melodie – die Titelmusik von James Bond.

      Ein befriedigtes Lächeln stiehlt sich über sein rundliches Gesicht, als hätte er gerade die genialste Lehrmethode aller Zeiten angewendet. Ich habe das Gefühl, dass das hier das Aufregendste ist, was ich in diesem Fach erleben werde. Er schaltet die Musik aus und dreht sich dann mit großer Geste zu uns um. »Und unser Thema für die nächsten paar Wochen ist ...« Er legt eine Pause ein und schaut sich um. Niemand meldet sich freiwillig. »Irgendwelche Vermutungen? Justin?«

      Ein Typ mehrere Reihen hinter mir sagt: »Alte Filme?« Die anderen Schüler lachen.

      »Heiße Frauen?«, meldet sich ein anderer freiwillig.

      »Nein, Leute, reißt euch zusammen. Hat irgendjemand eine Idee?«

      Als ich kurz davor bin, ihm die gewünschte Antwort zu geben, um ihn aus seinem Elend zu befreien, meldet sich eine Stimme von hinten: »Ermittlungsbehörden.«

      Das war etwas genauer als die Antwort »Spione«, die ich im Kopf gehabt habe.

      »Ja, danke Trevor.«

      Ich drehe mich um und werfe ihm einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu. Er zuckt bloß mit den Schultern.

      Mr Buford schreibt mehrere Abkürzungen auf ein großes Whiteboard und benutzt dazu einen Stift, den ich von meinem Platz aus riechen kann. Wie schafft er es, von dem Ding nicht high zu werden? Ich bin verblüfft, wie wenige Computer es an dieser Schule gibt.

      »Schaut sie euch näher an und merkt euch die vollen Namen dazu. Das ist Stoff für den Test.« Die letzten Worte sorgen dafür, dass sämtliche Hefte so schnell aufgeschlagen werden, dass ich, wäre ich an meiner alten Schule gewesen, Mr Buford für einen Telekineten gehalten hätte.

      Er lacht. »Ah, das Zauberwort hat für ein bisschen Motivation gesorgt. Gut. Heute werden wir über das FBI sprechen.«

      Als die Stunde zu Ende ist, packe ich langsam mein Heft ein und lasse Trevor jede Menge Zeit, herüberzukommen und mich zu begrüßen. Nachdem ich den Reißverschluss meines Rucksacks zugemacht habe, werfe ich beiläufig einen Blick über die Schulter – er ist verschwunden.

      So viel zu meinem einzigen Freund in Dallas. Und dabei bin ich mit dem Begriff Freund ziemlich großzügig umgegangen. Okay, sehr großzügig. Eigentlich ist er noch nicht mal ein Bekannter. Was immer er auch ist, ich hatte gehofft, dass ich ihn heute irgendwann zufällig treffen würde, um mich nicht zu sehr wie ein einsamer Versager fühlen zu müssen.

      Draußen im Flur schaue ich mich um, vielleicht erhasche ich noch kurz einen Blick auf ihn, aber ich sehe lediglich jede Menge Leute. Kein Trevor weit und breit.

      Ich schaffe es bis zum Mittagessen, ohne irgendwelche lustigen Details aus meinem Privatleben preisgeben zu müssen, außer Name, Alter und wo ich herkomme. Obwohl ich mit meinem Dad im Voraus geübt habe, rutscht mir einfach so Kalifornien raus und dabei muss ich dann bleiben. Aus lauter Nervosität, das Wort Sektor zu vermeiden, ist ein ganz anderer Staat daraus geworden. Was soll’s, sowohl die eine wie auch die andere Geschichte ist eine Lüge. So werde ich wenigstens nicht die halbe Wahrheit sagen müssen und dabei riskieren, die andere Hälfte gleich mit herauszuposaunen. Zu Hause werde ich an meiner eigenen Vorgeschichte arbeiten. Die werde ich mir dann auch einfacher merken können.

      Der Pausenhof an dieser Schule ist eine Rasenfläche mit ein paar vereinzelten Bäumen, umgeben von Steinbänken. Solange ich zurückdenken kann, sind Laila und ich Freundinnen gewesen – seit unserem ersten Tag im Kindergarten, an dem sie sich vor mich gestellt hat. Seit damals bin ich in der Schule nie alleine gewesen. Jetzt bin ich furchtbar einsam und das ist ein grässliches Gefühl. Anstatt mein Mittagessen allein vor Zeugen einzunehmen, kundschafte ich lieber die Bücherei aus.

      Der Geruch nach Büchern, ein Gemisch aus Staub und Leder, empfängt mich, als ich durch die Tür komme. Ich lächle. An der Lincoln High besteht die Bücherei aus drei Reihen von Computern, von denen wir uns Informationen auf unsere Karten runterladen können. Ich beziehe alle meine Bücher aus dem einzigen verbliebenen Buchladen in der Stadt, der ohne mich jetzt wahrscheinlich Pleite machen wird. Aber der Buchladen ist nichts im Vergleich zu dem hier. Diese Bücherei streckt sich über zwei Stockwerke mit einer breiten Treppe, die nach oben ins zweite Geschoss führt. Fenster umgeben zu allen Seiten den oberen Bereich, der Boden ist mit Licht überflutet. Wäre ich alleine, würde ich meine Arme ausbreiten und mich im Kreis drehen. Stattdessen gehe ich die Treppe hoch und streiche im Vorübergehen mit meiner Hand über die Bücher.

      Ich suche mir die Abteilung mit den Klassikern, und nachdem ich mich ein bisschen umgesehen habe, ziehe ich den Titel Eine Geschichte aus zwei Städten aus dem Regal. Gerade passend. Ich fange an zu lesen. Als mir langsam klar wird, dass Dickens »schlechteste aller Zeiten« sehr viel schlechter war als alles, was ich bisher durchgemacht habe, höre ich das Fußgetrappel von vielen Leuten im Eingangsbereich, der mit Fliesen ausgelegt ist.

      Mist. Ich muss das Klingelzeichen am Ende der Mittagspause überhört haben. Offensichtlich findet heute in der Bibliothek eine Unterrichtsstunde statt. Ich ziehe meinen Stundenplan aus dem vorderen Fach meines Rucksacks und hoffe, dass dort ein anderes Fach steht als das, was aufgedruckt ist. Sport. Das kurze unschuldige Wort jagt mir einen Schauer über den Rücken. Niemand sollte zu Sport an einem Montag gezwungen werden. Ist morgen nicht ein viel besserer Tag, mit Sport anzufangen? Die Entscheidung, gleich am ersten Schultag zu schwänzen, löst ein stechendes Schuldgefühl in meinem Bauch aus. Aber weil ich weiß, dass ich mich mindestens die erste Woche mit meinem »Neue Schülerin«-Status entschuldigen kann, schlucke ich es herunter.

      Ich ziehe mich tiefer zwischen die Regale zurück und bin mir sicher, dass mich hier niemand findet. Warum auch? Das sind die Klassiker. Es muss einer der am seltensten besuchten Bereiche einer Highschool-Bibliothek sein. Als dann Schritte zu hören sind, bin ich ehrlich verblüfft.

      Ich schaue auf und sehe Trevor, der sich eingehend mit einer Buchreihe auf der linken Seite befasst. Er streicht mit den Fingern die Buchrücken entlang und dann bleibt er stehen und schiebt das Buch, das er in der Hand hält, zwischen zwei andere.

      »Hi«, sage ich, als er sich umdreht.

      Erschrocken zuckt er zusammen, bevor sich in seinem Gesicht volles Erkennen widerspiegelt. »Oh, hi Addison. Was machst du denn hier?«

      »Allem Anschein nach Sport schwänzen.«

      »Ich war überrascht, dich heute Morgen in Regierungskunde zu sehen. Ich dachte, du hättest gesagt, du gehst in die elfte Klasse.«

      »Ich ... äh ...« Panik steigt in meiner Brust auf. Hat mein Dad mich in einen Collegevorkurs gesteckt? Was soll ich bloß sagen? Tja, mein Gehirn arbeitet mindestens zehnmal schneller als das eines


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