Was Luther angerichtet hat. Bernd Rill
verbunden mit Lucas Cranach dem Älteren, dem langjährigen Hofmaler des Kurfürsten. Cranach hat, neben altgläubigen, mythologischen und allegorischen Sujets, auch das reformationsbewegte Altarbild in der Stadtkirche von Wittenberg geschaffen.
Zwingli unterschied sich weiterhin in zwei wesentlichen Punkten von Luther. Er arbeitete mit den Mitteln obrigkeitlicher Politik dafür, aus seinem Zürich eine vorbildliche christliche Gemeinde zu machen, nur als Ratgeber mitwirkend, aber damit von unvergleichlicher Autorität. Der Kurfürst von Sachsen als maßgeblicher Schutzherr Luthers hätte dies in solcher Direktheit nimmermehr zugelassen. Da auch Zwingli die sakramentale Qualität der Ehe ablehnte, wodurch Scheidungen möglich wurden, installierte der Rat ein besonderes Ehegericht, das bald zu einem allgemeinen Sittengericht wurde – eine Vorahnung zu der juristisch ausgefeilten und theokratisch gemeinten Stadtrepublik von Genf, die der von Luther erweckte Jean Calvin ab 1541 ins Leben rief.
Luther hatte seine Geistkirche und baute im Rahmen seiner Lehre von den zwei Reichen auf die weltliche Institution, die in seinem Kurfürsten verkörpert war, um die Erbsünde der Untertanen in Schranken zu halten. Zwingli forderte eine Identität von Staat und Kirche: „Eine christliche Stadt ist nichts anderes als eine christliche Kirche, ein Christenmensch nichts anderes als ein treuer und guter Bürger.“
Der zweite Punkt des Unterschiedes bestand in der Auffassung über den Charakter des Abendmahles (katholisch Eucharistie bzw. Kommunion). Matthäus 26,26 – 28 lautet: „Nehmet, esset! Das ist mein Leib […] Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Luther folgerte daraus die reale Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl. Zwingli hingegen argumentierte aus Johannes 6,63: „Der Gott ist’s, der da lebendig macht, das Fleisch ist nichts nütze.“ Das Abendmahl war also nur eine symbolische Feier, wodurch das Mysterium verschwand, an dem Luther und auch die Katholiken festhielten. Der sich hier zeigende Rationalismus war Luther ein Gräuel.
Im Oktober 1529 vermittelte Landgraf Philipp von Hessen ein Gespräch der beiden reformatorischen Kontrahenten in Marburg, doch der Dissens blieb, worüber sich die Altgläubigen diebisch freuten. Da zeigte sich einmal mehr, dass Luther in seinem Glaubensfuror aus dem Erfolg der deutschen Reformation einerseits nicht wegzudenken war, andererseits aber keinen entwickelten Sinn für politische Kombinationen hatte. Denn der hessische Landgraf Philipp hatte das Treffen von Marburg angeregt als Voraussetzung für ein umfassendes Bündnis von Hessen, dem Kurfürstentum Sachsen, der reformierten „Orte“ der Eidgenossenschaft (neben Zürich auch Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Appenzell etc.) und der süddeutschen Städte, die zu Zwingli neigten, z. B. Konstanz. Der Landgraf dachte auch an die Mitwirkung Frankreichs und der Republik Venedig, die sich aber heraushielten. Immerhin war das eine der ersten konfessionell geprägten Bündnisideen, wie sie der abendländischen Christenheit in den nächsten Generationen noch viel zu schaffen machen sollten und der Arbeit am friedlichen Ausgleich der Glaubensinteressen das Grab schaufelten.
Da Zwingli den gerechten Krieg befürwortete, stand er auch für dessen Führung zugunsten der Durchsetzung seiner wahren Lehre gegen die altgläubigen Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz und Unterwalden, um deren Angriff zuvorzukommen, nachdem diese mit König Ferdinand, dem Bruder Kaiser Karls V., eine „christliche Vereinigung“ geschlossen hatten. Die Leute vom Vierwaldstätter See waren keine dumpfen Reaktionäre, aber sie bestanden darauf, dass die unbestreitbaren Defekte der Kirche Angelegenheiten des Papstes oder eines Konzils seien. Zwingli als urbaner Zürcher wies darauf hin, dass die „Waldstätte“, die Gründungskantone von 1291, auf der Ebene der gesamt-eidgenössischen Politik einen viel zu großen Einfluss hätten. So kam es im Herbst 1531 zum Krieg, zu dem Zwingli als Vertreter der Einheit von religiösem und staatsbürgerlichem Engagement selbst einrückte, und dabei im Gefecht von Kappel (an der Grenze zwischen den „Orten“ Zürich und Zug, 11. Oktober 1531) den Tod fand.
Das war nicht das Ende seiner Reformation in Zürich, denn die Sieger verstanden sich dazu, im Friedensschluss jedem Ort seinen eigenen Glauben zu konzedieren. Zudem war Zwinglis Gedankengut schon fest eingewurzelt. Die Situation erwies sich insofern als ähnlich der nach dem Sieg Karls V. im „Schmalkaldischen Krieg“ (1546/47) gegen die deutschen Protestanten.
Die Eidgenossenschaft hätte an ihren religiösen Gegensätzen zerbrechen können; das war fürs Erste abgewendet. Aber die reformationsgeneigten oberdeutschen Städte, deren Affinität zu den für Freiheit gegenüber fürstlicher Unterdrückung stehenden Schweizern Tradition hatte und die bis 1531 zwischen Luthertum und Zwinglianismus geschwankt hatten, zumal außer der Abendmahlslehre die religiös und innenpolitisch möglichen Punkte der Kontroverse noch nicht definitiv abgegrenzt waren, zogen es nun doch vor, nach Wittenberg anstatt nach Zürich zu schauen.
Des Kaisers große Politik
An dieser Stelle ist etwas an großer und an Reichspolitik nachzuholen, denn der geistlich-geistig-kulturelle Erfolg der Reformation war ohne diese weltlichen Gegebenheiten nicht möglich, siehe wenige Jahre vorher den Schutz des Kurfürsten Friedrich für den Ketzermönch.
Kaiser Karl V. hatte die Franzosen im Februar 1525 bei Pavia besiegen lassen und dabei sogar König Franz I. gefangen genommen. Er nötigte ihm einen demütigenden Friedensvertrag ab, den dieser sofort als abgepresst aufkündigte, sobald er wieder in Freiheit war, und mit Venedig, der Republik Florenz und dem Papst, dem das kaiserliche Übergewicht in Italien nun erst recht lästig war, schnell ein Bündnis zur Wiederaufnahme des Krieges schloss (Liga von Cognac, Mai 1526).
Hatte der Kaiser 1521 Luther in die Reichsacht getan, um den damaligen Papst zum Verbündeten zu gewinnen, so war er nun dieser Rücksichtnahme frei. In solcher Situation war auch der 1526 zu Speyer abgehaltene Reichstag nicht dazu angetan, die Vollstreckung der Reichsacht voranzubringen. Gerade, dass der Kaiser sie nicht aufhob, da er die katholischen Reichsfürsten nicht verprellen wollte. Er brauchte auch diejenigen, die zur neuen Lehre hinneigten neben Philipp von Hessen und dem neuen Kurfürsten Johann von Sachsen den Neffen des alten Kurfürsten, Herzog Ernst von Lüneburg, und den Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Hohenzollern, der der starken reformatorischen Bewegung in Ostpreußen (damals minus Ermland) nachgegeben und sich auf Luthers eigens erbetenen Rat hin zum weltlichen Herzog erklärt hatte, in dieser Eigenschaft als Lehensmann des Königs von Polen. Karl brauchte die Reichsfürsten auch, da der osmanische Sultan Süleyman „der Prächtige“ gerade seine Heeresmassen gegen das Königreich Ungarn heranwälzte und des Kaisers Bruder Ferdinand, der Österreich verwaltete, Unterstützung anforderte.
Die Reichstage von Speyer 1526 und 1529
So kam es zu Karls Konzession in Speyer, dass der Reichstagsabschied (Karl selbst weilte in Spanien) jedem Stand bezüglich des Wormser Edikts bis zu der weiterhin erhofften, allgemeinen oder nationalen Kirchenversammlung erlaubte, „so zu leben, zu regieren und es zu halten, wie er es gegen Gott und Kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue“.
Damit hatten die der neuen Lehre zuneigenden Landesherren einen Freibrief erhalten, bei sich neugläubige Landeskirchen einzurichten. Wie provisorisch die bleiben würden, hing von der Realisierungsmöglichkeit der angesprochenen Kirchenversammlung ab, die man sich ohne Teilnahme der Neugläubigen noch nicht vorstellen wollte.
Karls Nachgiebigkeit zahlte sich aus, da die Fürsten militärische Hilfe für Ungarn versprachen. Doch zwei Tage darauf, am 29. August 1526, verlor der ungarische König bei Mohacs gegen Süleyman Schlacht und Leben. Damit waren die bestehenden habsburgischen Erbansprüche auf Ungarn bedroht, auch Österreich selbst geriet in Gefahr.
Im Oktober 1526 hielt Landgraf Philipp zu Homberg eine Versammlung ab, die die Kirche des Landes neu ordnen sollte. Man verkündete die Einteilung in Pfarrbezirke, von denen ihr Pastor frei gewählt und auch bezahlt werden sollte, und die jährliche Abhaltung einer Synode, wo diese Pastoren mit Nicht-Pastoren aus jedem Pfarrbezirk zur Beschlussfassung zusammenkamen. Philipp mischte sich nicht ein und hieß das gut, denn damit war ein Kirchenaufbau von unten festgelegt, mit der Gemeinde als Keimzelle, wie man es für Luthers Auffassung hielt. 1527 wurde zu Marburg als Ergebnis des in Homberg verabschiedeten Bildungsprogramms eine Universität gegründet.
Luther