Was Luther angerichtet hat. Bernd Rill

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und dem osmanischen Sultan. Frankreich kämpfte gegen die Umklammerung durch habsburgische Territorien, die Sultane waren sich tendenziell die Welteroberung schuldig, und neben der Wahrung der Glaubenseinheit bestand die heiligste Pflicht des Kaisers darin, die Christenheit gegen den Ansturm der „Ungläubigen“ zu schützen. Karl trug über alle drei Siege davon, aber sie blieben stark genug, um die Revanche nicht aufzugeben und ihn dadurch zu hindern, die Idee von der Universalherrschaft mit praktischem Leben zu erfüllen.

      Der Reichstag zu Worms 1521 war ein Musterbeispiel dafür, wie sich damals im Reich Politik und Religion gegenseitig konditionierten. Karl hatte ein gewisses Interesse daran, die von Luther ausgehende Bewegung, die bereits begonnen hatte, Massencharakter anzunehmen, nicht von vornherein zu verdammen. Nach dem Vorbild kaiserlicher Ketzergesetzgebung, die auf Friedrich II. von Hohenstaufen zurückging, hätte er eigentlich die Wittenberger Neuerer nach erfolgter päpstlicher Exkommunikation dem Scheiterhaufen übergeben oder ihnen ihre blasphemische Zunge herausreißen lassen, zumindest die Reichsacht aussprechen müssen. Es war keine Frage, dass er sich als Verteidiger der Kirche fühlte und das ganze Wittenberger Wesen verabscheute – weniger aus theologischen Gründen, von denen er nichts verstand, als infolge seines herrschaftlichen Auftrages zur Wahrung der Einheit der Glaubensgemeinschaft.

      Aber Kurfürst Friedrich stellte ihm vor Augen, dass dieser Luther zuerst einmal angehört werden müsse. Er dürfte ihm gesagt haben, hier sei § 22 seiner Wahlkapitulation von 1519 einschlägig, eines Instruments, mit dem die Kurfürsten versucht hatten, dem von ihnen gewählten Kandidaten die ihnen genehmen Beschränkungen für sein Handeln im Reich aufzuerlegen: „Wir sollen […] keins wegs gestatten, daß nu hinfüro jemants hoch oder nider Stands, Churfürst, Fürst oder ander on Ursach, auch unverhort in Acht und Aberacht gethan […] werde […].“ Karl brauchte aber Friedrich den Weisen, da er ihm als besondere Vertrauensfigur für die Einrichtung eines aus deutschen Autoritäten bestehenden „Reichsregiments“ galt, das gemäß der Wahlkapitulation von 1519 zu bestellen war. Denn Karl musste bald nach Spanien zurückeilen, und das auf zunächst unbestimmte Zeit.

      Des Kurfürsten Stellungnahme für Luther akzeptierte Karl auch deshalb, weil er damit den Papst unter Druck zu setzen gedachte. Der nämlich hatte in dem sich abzeichnenden Konflikt Karls mit dem französischen König Franz I. über den Besitz von Mailand und die Vorherrschaft in Italien Sympathien für Frankreich gezeigt. Denn wie Frankreich sich ringsum bedroht fühlte, so auch der Papst in seinem Kirchenstaat in der Mitte Italiens, sobald die Kaiserlichen im Norden Mailand und im Süden Neapel kontrollierten. Zudem war Luther in Deutschland inzwischen so populär geworden, dass die Stimmen nicht fehlten, die dem Kaiser einen Bürgerkrieg an die Wand malten, wenn er gegen Luther scharf vorginge.

      Karl versprach Luther also freies Geleit, wenn er nach Worms komme, ausgedehnt auf drei Wochen nach seiner Abreise, und kam auch nicht in die Verlegenheit, es brechen zu müssen oder es fürstlichen Heißspornen aufzuopfern, obwohl er am Ende des Reichstags dann doch die Reichsacht über ihn aussprach. Er hatte eine Menge anderer Sorgen in Italien und Spanien, worunter anschließend der Nachdruck, den er auf die Vollstreckung der Reichsacht legte, sehr litt. Mit der Reichsacht hatte er dem Papst eine Konzession gemacht und ihn auf seine Seite gegen Frankreich geschoben. Das kostete ihn aber bekanntlich nichts, da Kurfürst Friedrich Luther bei dessen Rückreise aus Worms auf die sichere Wartburg entführen ließ.

      Es kam für Luther nur zu einer Anhörung. Man fragte ihn, ob er diese und jene Schriften verfasst habe und ob er noch zu den darin enthaltenen Auffassungen stehe. Luther erklärte, er könne nur das widerrufen, was man ihm als im Gegensatz zur Heiligen Schrift behauptet nachweisen würde. Dabei soll er abschließend gesagt haben: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Es war eine der Charakterleistungen, mit denen er sich als wichtigste Figur des religiösen Umbruchs etablierte, sozusagen eine historisch fruchtbare Sturheit.

      Am Tag nach Luthers Anhörung, dem 19. April 1521, verlas Karl vor den Fürsten eine von ihm selbst verfasste Erklärung. Darin sprach er von der ihn verpflichtenden Kraft der kaiserlichen Tradition. Man müsse der Tradition auch in Sachen des Glaubens folgen „und besonders dem, was angeordnet wurde durch meine besagten Vorfahren, sowohl auf dem Konzil von Konstanz als auch auf anderen“. Karl nahm für sich, für die weltliche Gewalt, in Anspruch, auch in geistlichen Dingen mitzureden, da er diese Materie seinem übergreifenden kaiserlichen Ordnungsauftrag unterwarf. Indem er als Kaiser religiöse Fragen nicht der Kirche überließ, sondern seiner Politik zu unterwerfen versuchte, trug auch er in großem historischem Zusammenhang zu dem Säkularisierungs-Schub der Neuzeit bei, der gerade aus der nun beginnenden Spaltung der Christenheit heraus entstand.

      Um die Jahreswende 1522/23 fand in Nürnberg ein Reichstag statt. Auf dem sprach Francesco Chieregati, der Nuntius des als Nachfolger Leos X. gewählten Papstes Hadrian VI., vor den Fürsten eindringliche Worte. Weniger erstaunlich war, dass er die Vollziehung der Acht gegen Luther nachdrücklich einforderte, mit der Rhetorik, die dem Entsetzen vor der drohenden Spaltung der Christenheit entsprach. Diese Lutheraner wollten die weltliche Autorität zerstören, nachdem sie die geistliche zerstört hatten.

      Aber, und das war aufsehenerregend, und entsprang dem unerhörten Eifer Hadrians VI.: Die aktuelle Verwirrung entspringe hauptsächlich den Sünden der Priester und Prälaten. Beim Heiligen Stuhl seien schlimme Missstände eingerissen, und so sei die Krankheit vom Haupte zu den Gliedern herabgestiegen. Dagegen wolle der Papst mit allen Mitteln ankämpfen, damit der römische Hof sich reformiere, was er desto eher tun würde, als er sehe, dass alle Welt dies so eifrig ersehne.

      Die Antwort der Fürsten zeigte, dass zwischen ihnen und der Kurie kein Vertrauen bestand. Hatte der Nuntius gedacht, mit dem Versprechen auf kuriale Besserung dem Kampf gegen die beginnende Reformation Nachdruck verleihen zu können, denn damit würden die verlorenen deutschen Schafe wieder in die päpstliche Herde zurückgeführt, so drehten die Fürsten den Spieß um: Wenn die römische Verderbnis zugegeben werde, dann könne man ja wohl nicht diejenigen verfolgen, die den Finger darauf gelegt hätten. Zu einer Verpflichtung, die Reichsacht nun endlich auszuführen, kam es also nicht.

      Der folgende weitere Nürnberger Reichstag von 1524 befand auch nur, die Reichsacht sei zu vollstrecken, „soweit möglich“. Gleichzeitig erhob er die schon länger vorhandene Forderung, ein Konzil einzuberufen, durch den Papst mit kaiserlicher Bewilligung, und zwar in Deutschland.

      Ein Konzil, das war für den neuen Papst Clemens VII. (1523 – 1534) geradezu die Pest. Die Deutschen verlangten dabei auch die Teilnahme von Laien, wie es in Konstanz 1414 und in Basel 1431 gewesen war. Dazu noch die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf dem Konzil reformatorische Standpunkte geltend machten!

      Der Kaiser im fernen Spanien untersagte es aufs Schärfste. Er hatte sich nicht zu einem „Reichsregiment“ für seine Abwesenheit herbeigelassen, damit dieses ihm seine wesentliche Aufgabe entwand, die Einheit der Christenheit zu wahren. Der Vorschlag zeugte aber immerhin von nationalem Selbstbewusstsein, wie es bei den Tschechen im Unterschied dazu erst nach der Einberufung des Konzils von Konstanz an Kraft gewonnen hatte. Karl V. war seinerseits nicht in der Lage, dem Papst ein Konzil aufzuzwingen, da er im Krieg mit Frankreich befangen war. Ob damit eine Chance vertan wurde, die drohende Kirchenspaltung in den Griff zu bekommen, muss der Spekulation überlassen werden.

      Hinter diesen Gefechten in der hohen Politik stand die Dynamik einer anscheinend unaufhaltbaren religiösen Bewegung, die natürlicherweise auf die Politik zurückwirkte. War die Autorität der Kirche infrage gestellt, dann stand auch die weltliche Ordnung, angesichts der herkömmlichen Verzahnung beider, zur Disposition. Nuntius Chieregati hatte recht gehabt. Es dient zur Erklärung der Durchschlagskraft der lutherischen Bewegung, dass ihre Opposition gegen eine der beiden etablierten Mächte, die Kirche, auch das Kaisertum, obwohl Luther denkbar weit davon entfernt war, es infrage zu stellen, neue Herausforderungen stellte. Karl V. hat sich dieser deutschen Thematik zu Beginn der Reformation überhaupt nicht ernsthaft angenommen; doch so fraglos monarchisch waren damals die Zeiten, dass ihn das keinesfalls das Amt kostete.


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