Was Luther angerichtet hat. Bernd Rill

Was Luther angerichtet hat - Bernd Rill


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Luther, nach Paulus, 1. Thessalonicherbrief 5,2 – 3: „Denn ihr selbst wisset gewiss, dass der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.“ Aber er reagierte auf diese Ungewissheit mit Ergebung: „Wenn ich wüsste, dass morgen der Jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll er gesagt haben. Er hat ja auch im Juni 1525 geheiratet, als die Massakrierung der Bauern, deren Krieg man nach damaliger Mentalität als Vorboten des Jüngsten Gerichts auffassen konnte, immer noch andauerte, und damit ein Zeichen gesetzt, auch in apokalyptisch sozusagen verdächtiger Zeit menschliche Demut angesichts des Unerforschlichen zu üben.

      Thomas Müntzer lebte jedoch in dem Glauben, die Menschheit auf das kurz bevorstehende Jüngste Gericht besonders vorbereiten zu müssen. Der Antichrist herrschte, die im Pfuhl der Sünde versunkene Obrigkeit, so Müntzer. Die Herrschaft des Antichristen war nach mittelalterlichen Vorstellungen, die Müntzer teilte, der Vorbote des Jüngsten Tages. Also mussten die Auserwählten Gottes sich vereinigen, um dem Weltenrichter geordnet gegenüberzutreten. Der nur äußerliche Kult der Altgläubigen war dazu ebenso untauglich wie die lutherische Bewegung, denn die klammerte sich an die Worthülsen von Bibel und Predigt.

      Wenn die Obrigkeit, was sie Müntzer gegenüber in der Gestalt des Herzogs Georg von Sachsen ablehnte, am Ziele der Sammlung der Auserwählten, der die Ausrottung der Gottlosen parallel zu laufen hatte, nicht mitwirken wollte, war sie ihrerseits auszurotten. Für Müntzer waren die Thüringer Bauernhaufen die berufenen Werkzeuge Gottes, um die uneinsichtige Obrigkeit rechtzeitig vor dem Weltenende über die Klinge springen zu lassen. Eine schärfere weltliche Instrumentalisierung von Religion zur Gewinnung des apokalyptisch verstandenen Heils lässt sich nicht denken. Müntzer hetzte die militärisch unbedarften Bauern geradezu in den Tod gegen das Heer der Fürsten (Schlacht von Frankenhausen, 15. Mai 1525), weil er in seinem spiritualistisch hochgepeitschten Predigen die Beziehung zur Realität verloren hatte. Das war ein schlimmeres Vergehen als Luthers Invektive gegen die aufrührerischen Bauern.

      Das Schauerdrama des Bauernkriegs gibt Anlass, Luthers Verhältnis zur Obrigkeit vor dem Hintergrund seiner religiösen Überzeugungen, aber auch des Bedürfnisses, seiner Bewegung einen dauerhaften Halt zu geben, eingehender zu erörtern. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es blieb ihm, politisch gesehen, nichts anderes übrig, als sich auf die reale Fürstenmacht im Reich zu stützen, nachdem ausschließlich der sächsische Kurfürst ihn vor dem Ketzertod bewahrt hatte. Um die Territorialfürsten kam in Deutschland noch bis 1918 niemand herum. Den Kaiser konnte Luther nicht als Schutzherrn nehmen, denn der musste in seiner Altgläubigkeit verharren.

      Die Problematik dabei ist, dass Luther wegen seiner Haltung als „Fürstenknecht“ abgestempelt wurde, als ein bleierner Konservativer, wenn nicht gar Reaktionär – als ob er um 1525 schon an die Französische Revolution und an die moderne Demokratie hätte denken können! Hätte Luther sich verschwärmt wie Thomas Müntzer oder andere Anarchoide aus seiner Gefolgschaft, die er im März 1522 in Wittenberg dämpfen musste, z. B. seinen Anhänger Andreas Karlstadt, dann wäre seine Bewegung eine Episode geblieben wie einst diejenige der aggressiven Hussiten.

      1523 brachte Luther die Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ heraus. Die Fürsten kommen, unter dem Zeichen der Gerechtigkeit betrachtet, dabei denkbar schlecht weg. Dann entwickelt der Autor das, was seine Zwei-Reiche-Lehre genannt wird und was aus der „Freiheit eines Christenmenschen“ heraus entwickelt ist, sowie aus des heiligen Augustinus, des Ordenspatrons Luthers, Schema von civitas terrena, civitas Dei und der Schnittmenge beider auf Erden, der civitas permixta. Die wahrhaft Gläubigen gehören zum Reich Gottes, die des weltlichen „Schwertes“ als einer disziplinierenden Zwangsgewalt nicht bedürfen, weil sie ohnehin das Gute tun. Das Reich Gottes besteht aber auf Erden nicht, sondern es besteht aus Menschen, die zum Bösen geneigt sind, die daher „unter das Schwert geworfen“ sind. Das Reich Gottes und das der Welt sind einander zugeordnet, wobei die Welt nicht nach dem Evangelium regiert werden kann, dieses aber den Auftrag des weltlichen Reiches (oder Regiments) bestimmt und auch begrenzt. Indem das weltliche Regiment für Ruhe und Ordnung sorgt, schafft es auch die Bedingungen zur Verkündigung des Evangeliums. Das gemahnt an den alten Gedanken, Gott habe die Bildung des weltumspannenden Römischen Reiches gefördert, damit in diesem Einheitsraum die christliche Botschaft für alle Erdenbewohner desto besser Fuß fassen konnte.

      Luther geht von einer Trennung des weltlichen und des religiösen Bereichs aus, bei Inpflichtnahme des weltlichen. Daher hat Luther sich die Freiheit genommen, seinen zeitgenössischen Fürsten auch mal ins Gewissen zu reden, und die evangelische Amtskirche tut das der aktuellen „Obrigkeit“ gegenüber mitunter noch heute.

      Der Vorwurf, die Zwei-Reiche-Lehre diene der Abkoppelung der Politik von der Moral, tut also den Intentionen ihres Urhebers Unrecht an. Sofern aber die evangelischen Amtskirchen sich nach Luther in der Praxis als obrigkeitshörig gezeigt haben, wird behauptet, dieser habe schließlich den Weg dazu gewiesen. Denn auf der einen Seite stand die sich immer mehr konsolidierende Macht des neuzeitlichen Staates, der seine Zwecke autonom setzte, und zwar recht weit über das quasi nur defensive „Schwert“ gegen die der Erbsünde entsprossene Bosheit seiner Untertanen hinaus – und auf der anderen Seite nur der wohlmeinende Pastor auf der Kanzel. So mussten Luthers Vermahnungen an die Obrigkeit der unvorhersehbaren Machtsteigerung dieser Obrigkeit gegenüber einen schweren Stand haben. Wer daraus herauskonstruiert, dass Luther am Beginn der typisch deutschen Untertanen-Mentalität stehe, die schließlich im „Dritten Reich“ ihre schlimmste Konsequenz gefunden habe (willkürliche historische Zwischenglieder: Friedrich II. und Bismarck), der ideologisiert. Er vergewaltigt schlicht und einfach die Wirklichkeit, treibt Agitation. Denn der Kausalitäten in der deutschen Geschichte, die sich zwischen Luther und Hitler zusätzlich einschieben, sind so viele und so gewichtige, dass deren bruchlose Verknüpfung auf nichts als auf einen Denkfehler hinausläuft.

      Luther hat keine Soziallehre ins Auge gefasst, sonst hätte ihn die Thematik des Bauernkrieges nach 1525 zu weiteren Reflexionen angeregt; er lebte eben in einer Ständegesellschaft, die noch Jahrhunderte von der Idee des Sozialstaates entfernt war. Es ist sinnlos, ihm das Fehlen eines Bewusstseins vorzuwerfen, das er unmöglich haben konnte. Die Vergangenheit ist nicht bloß der Misthaufen, der zur Düngung zeitgenössischer Vortrefflichkeit aufgeschüttet worden ist.

      Luther ist auch vorgeworfen worden, er glaube, dass seine subjektive Auffassung von religiösen Dingen zutreffender sei als all die Weisheit, die die Kirche in mehr als einem Jahrtausend angesammelt hatte. Außerdem: War es nicht eine Illusion, zu glauben, das Wort Gottes in der Bibel bedürfe keiner weiteren Interpretation, eine Vorstellung, die hinter den zeitgenössischen Forderungen zu stehen scheint, wenn dort von der „lauteren“ und „klaren“ Verkündigung „ohne menschlichen Zusatz“ die Rede ist? Die Juristen wussten damals schon lange, dass so gut wie jeder Gesetzestext eines Kommentars bedarf. Die Evangelischen würden nicht lange ohne das Element auskommen, das sie bei den Altgläubigen als „Tradition“ ablehnten.

      Das Stichwort der subjektiven Auffassung, der Lokalisierung der Rechtfertigung im höchstpersönlichen Gewissen (mit unverzichtbarer göttlicher Hilfe!), leitet über zur positiven Wertung Luthers als eines kulturgeschichtlich mächtigen Bringers von Freiheit, als eines Vorläufers der abendländischen Aufklärung. Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel war Luthers Subjektivismus eine Weichenstellung: „Das Geschäft der Geschichte ist nur, dass die Religion als menschliche Vernunft erscheine, dass das religiöse Prinzip, das den Herzen der Menschen innewohnt, auch als weltliche Freiheit hervorgebracht werde.“ Nach Hegel’scher Auffassung ist die Geschichte eine dialektisch zu verstehende Entfaltung Gottes als des „Weltgeistes“, die mit dem Zielpunkt des Endes der Geschichte als einer endgültigen Ausfaltung der Harmonie in Gott (bzw. dem Weltgeist) versehen ist. Der Geist erkennt auf diesem Weg sich selbst immer besser, um es simpel auszudrücken. Da war das von Luther installierte Selbstbewusstsein, das keine Rücksicht mehr auf die überpersönlichen Vorgaben der etablierten Kirche nahm, ein wichtiger Schritt in der Selbsterkenntnis des von den Päpsten geknechteten Weltgeistes, der nach Hegels optimistischer Auffassung nicht


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