Colombia Es Pasión!. Matt Rendell

Colombia Es Pasión! - Matt  Rendell


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sage ich.

      »Mein Vater war Zimmermann. Er entschied, dass auch ich einer sein würde, und damit hatte es sich. Ich war viele Jahre lang unglücklich, denn ich mochte meine Arbeit nicht. Ich habe meinen Söhnen stets gesagt: ›Was auch immer ihr im Leben machen wollt, seid gut darin. Aber wenn es euch keine Freude mehr bereitet, sucht euch etwas anderes.‹« Sein Vater arbeitete daheim, und das Radio im Haus lief ständig:

      Es gab damals einen sehr sprachgewandten Radsport-Kommentator aus Argentinien namens Julio Arrastía Brico, der das Renngeschehen und die Landschaften beschrieb. Ich bin sicher, vieles davon dachte er sich aus, aber für mich war es magisch. Ich verliebte mich in den Radsport, als ich fünf war, mit meinem Dreirad herumfuhr, der Vuelta a Colombia lauschte und davon träumte, ich wäre einer der Teilnehmer.

      Mein Vater versprach, mir ein Fahrrad zu kaufen: Er ließ mich sogar arbeiten, um dafür zu bezahlen, dann dachte er sich eine Ausrede nach der anderen aus. Wenn ich das Thema ansprach, sagte er, Radfahren sei etwas für Müßiggänger. Sobald ich 18 war, nahm ich meine erste Lohntüte und kaufte mir mein erstes Rad.

      Erst dann begriff ich, dass die Welt aus mehr bestand als nur den zehn Straßenzügen rund um unser Haus. Wir waren arm, ich war nie irgendwo gewesen, nie irgendwo hingereist, und meine Mutter verbot mir, mich weit von zu Hause zu entfernen.

      Dem Verbot der Mutter mochte die Erinnerung an leibhaftige Bedrohungen zugrunde gelegen haben.

      1953 stürzte der Stabschef der kolumbianischen Streitkräfte, General Gustavo Rojas Pinilla, die Regierung und schlug, durch Gespräche und Amnestien, die Gewalt weitgehend nieder. Die Militärdiktatur endete 1957 mit der Bildung der Nationalen Front, einer Übereinkunft von Liberalen und Konservativen, fortan im Wechsel alle vier Jahre den Präsidenten zu stellen. In einem Plebiszit sprachen sich seinerzeit vier Millionen Wähler dafür aus, nur 300.000 stimmten dagegen. Die gefundene Vereinbarung war keineswegs perfekt und sie bot den Opfern von Gräueltaten auch keinerlei Aussicht auf Wiedergutmachung, aber es gab keine andere Lösung, die mehrheitsfähig gewesen wäre.

      In den Bergen trieben Räuberbanden ihr Unwesen. Manche der bandoleros waren Deserteure der Armee oder der Polizei, andere waren ehemalige Mitglieder von Milizen, die nun, da die politischen Eliten beschlossen hatten, dass bewaffnete Gruppen ihre Schuldigkeit getan hatten, ihrem Schicksal überlassen wurden. Sie mordeten, stahlen Ernten und nahmen Kleinbauernhöfe in Besitz, für sich selbst oder für zahlende Kunden.

      Jairos Mutter kam 1943 in Purificación zur Welt, einer Stadt in der Kaffeeanbau-Provinz Tolima, 200 Kilometer südwestlich von Bogotá. 1957 jedoch musste sich auch ihre Familie den Millionen von Kleinbauern anschließen, die die Flucht vor dem Blutvergießen ergriffen.

      »Sie mussten noch in jener Nacht aufbrechen«, erzählte mir Jairo. »Am nächsten Tag hätte man sie getötet.«

      Die Familie ließ sich im Barrio Simón Bolívar im Nordwesten von Bogotá nieder. Dort war es, dass Jairos Mutter seinem Vater begegnete und sich in ihn verliebte, und dort wuchs auch Jairo auf und begann, die Welt auf seinem Rad zu erkunden. Sie waren nun eine urbane Familie. Von den paar Straßenzügen, in denen Jairo Chaves aufwuchs, ist heute nichts mehr zu sehen. Im Jahr 1983 wurden sie komplett zerstört, als Bulldozer das Gelände planierten, damit dort ein neues Einkaufszentrum namens Metropolis hochgezogen werden konnte.

      Als Jairo 18 war, entschied er, dass er Radprofi werden wollte. »Man stelle sich das mal vor!«, ruft er aus, sich der Abwegigkeit dieses Vorhabens bewusst. »Ich habe mich immer gefragt, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, hätte ich mich damit durchgesetzt. Aber meine Mutter hatte andere Pläne für mich. Im Laufe vieler Jahre hatte sie genug gespart, um mein erstes Semester an der Universität zu bezahlen. Sie sagte, dass ich den Rest selbst aufbringen müsse.«

      Sein kurzer Ausflug in die höhere Bildung hatte weitreichende Folgen.

      »Ich war auf dem Weg zur Universität, Carolina war auf dem Weg zur Schule. Sie schien sehr hübsch, also sagte ich hallo.«

      Carolina erinnert sich: »Jairos Zimmer war mit Postern von Radrennfahrern übersät. Es war die Zeit von Lucho Herrera. Mein Vater nahm mich seinerzeit immer mit zur Vuelta a Colombia. Man stand vier Stunden herum, dann rauschte das Feld innerhalb von zehn Sekunden vorbei, aber ich mochte es. Als ich Jairo kennenlemte, dachte ich daher: ›Toll, er mag Radsport.‹«

      Viele Jahre später, als ihre Söhne Esteban und Brayan ihr Potenzial andeuteten, sagte Jairo zu ihnen: »Ich gehe bis ans Ende der Welt und zurück, um euch zu unterstützen, aber ich gebe euch Zeit, bis ihr 23 seid. Wenn ihr bis dahin kein Auskommen im Radsport habt, müsst ihr studieren gehen.«

      Sie kehrten nie zu ihren Büchern zurück.

      Jairo versuchte, die Fehler zu korrigieren, die seine eigene Kindheit zerstört hatten: »Mein Vater ließ sich mit uns in Teilen der Stadt nieder, in denen die Verhältnisse nicht die besten waren. Ich wurde groß damit, aber meine Mutter sagte immer: ›Versuche, es besser zu machen.‹

      Ich nahm mir vor, meine Familie nie so leben zu lassen, wie ich gelebt hatte. Ich schlug mich irgendwie durch: hier eine Anzahlung, dort die Miete, aber ich wollte, dass meine Familie gut lebte. Wenn ich also Geld hatte, gab ich es aus: Wir unternahmen etwas Besonderes, kauften Kleider oder zogen in eine bessere Gegend um.«

      Kolumbianische Barrios sind in Klassen eingeteilt, nach denen sich die Kosten für soziale Dienstleistungen bemessen. Die wohlhabendsten Wohngegenden gehören zur Kategorie 6; ihre Bewohner zahlen höhere Gebühren für Wasser, Strom und andere Leistungen der Daseinsfürsorge. Die ärmsten Barrios werden mit einer »1« bewertet: Die Dienste der öffentlichen Versorgungsbetriebe sind billig, aber die Lebensbedingungen sind primitiv. Als Jairos und Carolinas erstes Kind zur Welt kam, Jhoan Esteban, wohnten sie in einem einzigen Zimmer im Barrio Minuto de Dios, einem Viertel der unteren Mittelklasse, das mit einer »3« bewertet wurde. Er kam am 17. Januar 1990 zur Welt, einen Monat nach dem errechneten Geburtstermin, und war zunächst auf Sauerstoff und Inkubation angewiesen. Sobald Carolina sich von der Geburt erholt hatte, zog die Familie in ein Barrio der Kategorie 2 um: nach París Gaitán, zwischen Calle 83 und Calle 89, östlich der Avenida Ciudad de Cali. Der Abstieg um eine Stufe bedeutete, dass sie sich zwei Schlafzimmer, ein Esszimmer, Küche, Bad und Terrasse leisten konnten, mit einem kleinen Supermarkt nahebei und einer großen Einkaufsstraße acht Blocks weiter in der Carrera 92 im Barrio Quirigua.

      Der 12. Mai 1990, ein Samstag, war der Tag vor Muttertag und die Carrera 92 war voller Familien, die Geschenke kauften. Carolina erzählt mir: »Wir hatten nicht viel Geld für Geschenke.«

      Das hat ihnen möglicherweise das Leben gerettet. Um 16:15 Uhr an diesem Nachmittag gab es eine gewaltige Explosion. Das Baby fing an zu weinen. Carolina hob Esteban aus seinem Bett. Er war erst 16 Wochen alt und es dauerte einen Moment, um ihn zu beruhigen.

      Mutter und Kind gesellten sich zu Jairo auf die Veranda. Eine Rauchwolke stieg von dem Ort auf, wo 17 Tote, sieben davon Kinder, und 150 Verletzte lagen. Ein Fiat 147, vollgepackt mit hunderten Kilo Dynamit, war vor einem Haushaltswarengeschäft namens Bombazo abgestellt worden. Das Wort hat eine doppelte Bedeutung: »Preisnachlass« und »Bombenexplosion«.

      Ein zweiter Sprengsatz explodierte drei Kilometer entfernt vor einem Supermarkt und riss vier weitere Menschen in den Tod. Ein dritter ging abends um 20:50 Uhr in Cali hoch, ebenfalls vor einem Supermarkt, forderte neun Todesopfer und 50 Verletzte. In Medellín wurden an diesem Tag außerdem zwölf Morde verübt.

      Sämtliche Anschläge waren Teil einer Terrorkampagne des Medellín-Kokainkartells, um die Regierung dazu zu bringen, die Auslieferung von Drogendealern in die USA einzustellen. Zwischen August 1989 und Mai 1990 gingen in Kolumbien 18 Autobomben hoch. Zwischen dem 21. und 25. Mai explodierten drei weitere Sprengsätze in Bogotá und Medellín. Die Kampfansage der »Extraditables« richtete sich gegen die, wie sie es nannten, Oligarchie von Bogotá; das Barrio Quirigua war jedoch eine Arbeitergegend.

      Carolina erzählte mir: »So nah dran waren wir noch nie.«

      Pablo Escobars Tod am 2. Dezember 1993 beendete den Alptraum innerstädtischer Gewalt zwar nicht, aber er brachte ein Kapitel in der kolumbianischen Geschichte zum Abschluss.


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