Grünes Gold. Helmut Ginzinger
Gegensatz zu den anderen Wochentagen immer ein paar Leute mehr beim Bräu, und der Stammtisch ist schon ziemlich voll. Solange es geht, werden Stühle dazugestellt, und nur im äußersten Notfall wird vor dem Schafkopfen ein zweiter Tisch aufgemacht. Ich quetsch mich also noch dazu, und wie so oft in der letzten Zeit wird lebhaft über den Euro und die EU diskutiert.
Es gibt weiß Gott genug zu schimpfen über die EU, und der einzige Vorteil scheint zu sein, dass wir beim Urlaub im Zillertal oder in Rimini in Euro zahlen können und nicht immer in Schilling umrechnen oder die dicken Bündel Lire rumschleppen müssen.
Nach einer Stunde »Informationsaustausch« setzen wir uns an einen Nebentisch zum Schafkopfen.
Meistens spielen wir so bis um zwölf, kann aber durchaus auch mal eins oder zwei werden. Das hängt ganz davon ab, wie groß unser Durst ist und wie lange der Bräu gewillt ist, uns mit seinem Gerstensaft zu versorgen.
Unser Bräu, der Brauereibesitzer Anderl Stein, der macht am Donnerstag immer selbst den Ausschank und so gibt’s mit Arbeitszeitregelung und Gewerkschaften eher keine Probleme.
Zu späterer Stunde, wenn ein Teil der aufgenommenen Flüssigkeit seinen natürlichen Ausgang sucht, kommt der Anderl beim Schafkopfen öfter als Ersatzspieler zum Einsatz. Einen Ersatzspieler brauchst, damit, wenn mal einer aufs Klo muss, die anderen nicht unnötig warten müssen und gleich weiterspielen können.
Freilich gibt’s für den Ersatzspieler noch einige treffende bayerische Bezeichnungen, aber das würde jetzt zu weit führen.
Wie’s halb zwei wird und die Konzentration etwas nachlässt, spielen wir noch eine Runde und hören dann auf. Der Anderl ist eh schon am Tisch eingeschlafen, und wir wecken ihn, damit wir bezahlen können.
Fahren braucht glücklicherweise keiner von uns, und so geht jeder mehr oder minder geradewegs heimwärts.
Zu Hause sehe ich, dass zwei Anrufe auf meinem Handy eingegangen sind, was mich allerdings heut nicht mehr besonders beeindruckt. Der eine Anruf ist von der Franzi, das wird angezeigt, weil ich ihre Telefonnummer bei meinen Kontakten eingespeichert hab. Die andere Nummer ist mir unbekannt, der wird sich schon wieder melden.
Mir ist das heut auch wurstegal, ich geh jetzt ins Bett und hoff, dass ich morgen fit bin. Zum Schluss hätt ich fast eine Halbe Bier zu viel getrunken. Könnt’ leicht sein, dass ich morgen ein paar Startschwierigkeiten hab.
Kapitel 3
Mein Typ ist gefragt
Der Raum, in dem ich mich bewege, ist vertraut und zugleich befremdend. Unwohlsein macht sich breit und der Versuch, die Augen vollständig zu öffnen, scheitert. Ich kann mich nicht wehren, kann nicht zurück. Durch den kleinen Sehschlitz erscheint alles verschwommen und ich gehe wie auf einem schmalen Steg ohne Halt und ohne Orientierung. Es ist beklemmend heiß. Plötzlich ein Knacken hinter mir in der Dunkelheit, ich erschreck zu Tode. Ich will weglaufen. Eine unsichtbare Kraft hindert mich jedoch daran und ich komme nicht von der Stelle. Der Boden beginnt zu schwingen und ich verliere das Gleichgewicht. Keine Chance mehr, das war’s, mein Gott, tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Jetzt geht’s dahin, ich kipp nach vornüber und falle. Ich stürze, endlos, immer tiefer. Mir wird schwarz vor den Augen. Dann bin ich weg. Stille um mich herum. Wer sind die beiden? Ein Mann liegt blutverschmiert auf dem Boden, und eine Frau schwebt leichenblass in einem weißen großen Raum.
Verdammt noch mal, was war das denn? Schweißgebadet wache ich auf und zittere am ganzen Körper. Mein Herz rast wie eine Nähmaschine. Ich hechle wie nach einem Tausendmetersprint. Eine gewisse Erleichterung macht sich erst breit, als ich feststelle, dass um mich herum alles an seinem gewohnten Platz ist. Ich sitze in meinem weichen Bett. Die Schlafzimmermöbel stehen genau dort, wo sie immer standen. Mein Atem wird langsam wieder ruhiger. Von Albträumen bin ich normalerweise nicht geplagt, das war allerdings einer vom Feinsten. So was möchtest du nicht wirklich erleben.
Wie schon gestern Abend vermutet, braucht’s heut Morgen etwas mehr Zeit, bis ich so richtig auf Normaldrehzahl komme. Albtraum oder nicht, ich muss mal mit dem Anderl sprechen, dass er mir nach jeder zweiten Halbe Bier ein Spezi oder ein Wasser bringt, zwecks Abwechslung und so. Eigentlich möcht ich heute gar nicht aufstehen, aber überwinde mich schließlich doch. Auf dem Weg in den Laden schau ich beim Hubert, unserem Bäcker, vorbei und gönn mir einen Kaffee und eine Butterbrezen.
»Na Vinzenz, du alter Bazi, wie geht’s dir heut Morgen? Ich bin letzte Nacht grad in die Backstuben, wie du vom Stoandl hoam bist; hast dich wahrscheinlich auf den Weg konzentrieren müssen und mich nicht gesehen, oder?«
»Hast’s gut, du alter Brezensalzer, dass du heut nicht meinen Schädel spürst«, sag ich ihm und frag nach einem Aspirin.
Im Stehen genieß ich die Butterbrezen und den Kaffee samt Aspirin. Kurze Zeit drauf bin ich auch schon wieder weg. Mir ist heut noch nicht so recht nach umfangreicher Konversation.
Im Büro fängt das Aspirin endlich zu wirken an und ich leb langsam wieder auf. Die Lena sitzt an ihrem Schreibtisch und macht den allgemeinen Bürokram.
Freitags ist es normalerweise etwas ruhiger im Laden und falls während des Tages beim Wolkenstein nicht gerade das ganze EDV-System abraucht, bleibt es das auch.
»Lena, kannst du bitte das Angebot für den Wolkenstein anpassen? Wir geben denen noch mal drei Prozent, dann ist Schluss. Schick es bitte heute noch weg, damit sie es am Montag auf dem Schreibtisch haben.«
»Geht klar, Chef - und die Franzi hat grad vorhin wieder angerufen, du sollst dich endlich bei ihr melden.«
»Das mach ich schon noch.« Dass die immer so hetzen muss!
Für ein Gespräch mit der Franzi muss ich mir Zeit nehmen, das kann sich mitunter in die Länge ziehen. Also verzieh ich mich in mein Büro, mach es mir gemütlich und rufe sie an. Ausnahmsweise ist sie recht kurz angebunden, will mich aber unbedingt noch heut am späten Nachmittag treffen, am besten in Landshut. Sie hätt einen Auftrag für mich.
Na wenn’s sein muss, fahr ich halt los und verbinde das Ganze mit einer kleinen Shoppingtour. Ab August findest du in den Läden bereits die neue Herbst- und Winterkollektion. Die beste Zeit also, um die aktuellen Modetrends zu checken und mit dem ein oder anderen Teil die Garderobe zu aktualisieren.
Meine Klamotten muss ich mir selber und alleine kaufen. Als zeitweiliger Profisingle hab ich da überhaupt keine andere Wahl.
Manche Männer in verheiratetem Zustand machen sich die Sache mit der Mode und Einkauferei ziemlich einfach. Die warten, bis ihre Ehefrau die alten Klamotten, die sie täglich tragen, nicht mehr sehen kann und ihnen dann schon ein paar Hosen, Hemden und Schuhe zum Aussuchen mit nach Hause bringen wird.
Noch besser, wenn sie nur eine Hose, ein Hemd und ein Paar Schuhe mitbringt, da muss er nicht lange rumprobieren und weiß von vorneherein, dass es der Gattin gefällt.
Bei mir läuft so was nicht, auch nicht, wenn ich in einer Beziehung bin oder irgendwann wieder sein sollte.
Selber Einkaufen - macht den Mann stark und unabhängig!
Ich bin mir auch meist ziemlich sicher, dass ich trendmäßig richtig liege und die Farben und Formen der Teile, die ich auswähle, zu mir passen.
Und sollte ich wirklich mal kleine Zweifel hegen, wende ich zur finalen Bestätigung meiner Einkaufsleistung einen Trick an. Natürlich frag ich nicht die Verkäuferin, ob mir das neue Outfit steht. Die würde es aus Umsatzgründen keinesfalls wagen, mir was Negatives zu bescheinigen. Ich suche mir meine »Jury« gezielt aus. Möglichst eine Frau in ungefähr meinem Alter oder etwas jünger, die eventuell auch in mein Beuteschema passen würde. Auf eine höfliche Frage, ob dir die gerade ausgesuchten Klamotten stehen oder nicht, sagt sie dir viel eher ihre wahre Meinung als die Verkäuferin.
Sie hat keine Umsatzzahlen im Kopf und wird auch keinesfalls denken, dass du sie anbaggern willst. Sie denkt jetzt nur an eins, ans Einkaufen und dass sie für sich oder ihre Herde Klamotten mit nach Hause bringt. Sie ist im Kaufrausch und somit völlig bagger-resistent.
Gegen fünf