Grünes Gold. Helmut Ginzinger
Schon wieder das Thema »Früh aufstehen«, das ist eh schon arg, aber am Montagmorgen früh aufstehen ist schon noch ärger. Früh ist bei mir alles, was vor acht Uhr ist, also muss ich grundsätzlich an jedem Wochentag zu früh aufstehen.
Den Laden mach ich zwar erst um halb neun auf, aber vor einem Kaffee und einem kleinen Frühstück brauchst mich gar nicht erst anreden am Morgen. Den Wecker lass ich logischerweise mehrfach klingeln, damit der auch seine Arbeit während der Woche hat. Um sieben treibt es mich dann aber wirklich raus.
Einen ordentlichen Kaffee, ein Marmeladebrot oder auch eine Marmeladesemmel und dazu die »Hallertauer Zeitung«. Ohne meine Morgenlektüre bin ich ebenfalls nur ein halber Mensch. In der HZ findest halt alles, was du an Infos brauchst, meistens jedenfalls. Querbeet vom Weltgeschehen bis hin zum Straßenfest in Unterwangenbach. Man glaubt es kaum, wo die überall ihre Schreiberlinge rumschicken. Besonders wichtig sind am Montag logischerweise die Fußballberichte. Wie der FC Bayern gespielt hat, weiß ich natürlich (3:1 gegen den HSV gewonnen); den Bericht les ich aber trotzdem. Manchmal kommt’s mir grad so vor, als hätte der Berichterstatter ein anderes Spiel gesehen als ich – heute passt’s. Die anderen bayerischen Bundesligisten haben am Wochenende ebenfalls gewonnen oder zumindest unentschieden gespielt; passt also auch; da bin ich pragmatisch patriotisch.
Dass es beim TV Meilenhofen und den anderen Stadtvereinen
seit Neuestem fußballerisch wieder besser läuft, rundet das positive Bild ab. Der Wochenstart wäre schon mal geglückt.
Fast pünktlich um dreiviertel neun sperr ich den Laden auf. Er liegt zentral in Mainburg am Benediktplatz, direkt neben der Papstsäule. Wobei, Laden ist eigentlich fast der falsche Ausdruck. Es ist ja eher unsere PC-Werkstatt mit Büro; Laufkundschaft haben wir eher nicht. Wie schon gesagt gibt’s bei uns PCs, Laptops und Drucker mit Zubehör, dann ist auch schon Schluss. Handys bieten wir nicht an. Der Mobilfunkmarkt in unserer beschaulichen Hopfenmetropole ist fest in asiatischer Hand. Da bekommst du alles, ganz legal natürlich!
Kaum bin ich einige Minuten im Büro und hab grad mal meinen PC hochfahren lassen, läutet mein Handy. Die Nummer ist unterdrückt, wie ich das wieder mag. Soll ich überhaupt rangehn? Nun, da die Woche eigentlich akzeptabel angefangen hat, nehme ich den Anruf an.
»Vinzenz Graflinger, Computersysteme«, melde ich mich. Hört sich voll professionell an, oder? Das hab ich bei einer Rhetorikschulung gelernt. Vorname, Nachname und halt, was du machst. Da kann ein simples »Ja« nicht dagegen anstinken.
»Hallo, Herr Graflinger, ich würde mich gerne mit Ihnen treffen, ginge es heute Nachmittag?«
»Aha, ja möchten Sie einen PC oder Laptop kaufen, da kann ich Ihnen Angebote senden oder Sie kommen zu mir in den Laden.«
»Nun, ich bin weniger an einem Computer interessiert. Ich würde eventuell gerne Ihre Dienste als privater Ermittler in Anspruch nehmen.«
»Gut, das ist natürlich etwas anderes. Wann und wo wollen wir uns treffen und, äh, mit wem spreche ich, bitte?«
»Wir treffen uns um sechzehn Uhr im Restaurant am Rasthof Holledau, das kennen Sie bestimmt. Ich trage einen dunklen Anzug und ein dunkelrotes Hemd, keine Krawatte. Wahrscheinlich werde ich Akten studieren oder am Laptop arbeiten. Sie als Profi werden mich sicher schnell finden.« »Wie heißen Sie und ...?« Noch bevor ich weiterreden kann, legt der Kerl einfach auf, ohne mir seinen Namen zu sagen. Der ist ja lustig, ich überleg mir das noch, ob ich da hernach überhaupt hinfahre. Manchmal hab ich es bei meinem Agentenjob schon mit komischen Vögeln zu tun. Man glaubt ja gar nicht, wer sich alles wichtig vorkommt.
Kurze Zeit später kommt die Lena in den Laden und ich wundere mich ein wenig, denn eigentlich hat sie heute frei.
»Griaß di, Vinzenz, wollt dir nur kurz sagen, dass der Liachtl für morgen Vormittag mit dem Rektor von der Hauptschule ausgemacht hat, dass ihr dort die PCs aufstellt.«
»Des is perfekt, dann sind die Schachteln endlich weg und die paar Euro können wir gut brauchen.«
»Hast denn die Franzi noch getroffen am Freitag?«
Aha. Jetzt kommt sie mit dem wahren Grund ihres Besuchs daher.
»Natürlich hab ich sie getroffen. Und sie hat mich auch gleich das ganze Wochenende durch die Gegend gescheucht.«
»Ihr beide wart das ganze Wochenende zusammen? Schööön!«
»Schmarrn, wir hatten am Freitag eben eine geschäftliche Besprechung beim Italiener am Hofberg.«
»Ein romantisches Dinner bei Kerzenschein und dann hast du bei ihr übernachtet! Ich wusst es doch.«
»Nein, ich bin nach Hause gefahren und hab Samstag und Sonntag ermittelt. Wieso erzähl ich dir das überhaupt alles? Lena, danke, dass du mich wegen des morgigen Hauptschultermins informiert hast. Du musst jetzt bestimmt noch was einkaufen, also Pfüati.«
»Ja sicher, Vinzenz, und hab ich’s doch gewusst, da läuft wieder was zwischen dir und der Franzi!«, sagt sie und verschwindet mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Gut, dass es jetzt wieder was zum Tratschen gibt.
Da sonst heute Morgen wenig los ist, bleibt mir genügend Zeit, den üblichen Bürokram zu erledigen und diverse Neuigkeiten aus den Computerzeitungen zu erforschen, da kommt Freude auf.
Zwischendurch brauch ich zwei Leberkässemmeln, um meinen Cholesterinspiegel konstant zu halten. Ein Gwasch, also ein Spezi, gehört da natürlich nicht unbedingt dazu, ein Helles Stoandl wär mir schon lieber, aber ich bin ja im Dienst.
Um halb vier fahr ich dann doch los, um Mister Unbekannt zu treffen. Bis zum Dreieck Holledau sind es grad mal fünfzehn Minuten, und da ausnahmsweise kein Stau auf der A9 ist, bin ich nach weiteren drei Minuten am Rasthof.
Schon erstaunlich, wie viele Leute ständig unterwegs sind, und grad heute scheinen sich jede Menge Krawattenträger das Restaurant als »Meeting Point« ausgesucht zu haben.
Ich find meinen Mandanten ziemlich schnell, da die meisten anderen zu zweit am Tisch sitzen, steife Krawatten tragen oder verloren in der Gegend rumschauen.
»Grüß Gott, ich bin der Vinzenz Graflinger, sind Sie der Anrufer?«
»Ja, Grüß Gott, Martin Treikert, Doktor Martin Treikert. Wir können gleich gehen, ich bezahl nur noch schnell. Wenn Sie nichts dagegen haben, fahren wir ein paar Kilometer mit meinem Wagen und ich erzähle Ihnen, wieso ich gerne Ihre Dienste in Anspruch nehmen würde.«
Oha, Treikert! Den Namen hab ich schon mal gehört. Die Katrin, meine Dozentin, heißt mit Nachnamen so. Was will der von mir? Hoffentlich macht der keine Probleme wegen Katrin und so! Einige Fragezeichen tun sich vor mir auf.
Wie dem auch sei, mir soll das vorerst wurstegal sein, da er mir auf dem Weg zu seinem Auto sagt, er würde zweihundertfünfzig Euro am Tag zahlen, plus Spesen. Angesichts dieser Perspektive werde ich mir seine Geschichte zumindest mal anhören.
Wir fahren los, Richtung München. Bei der nächsten Ausfahrt verlassen wir gleich wieder die Autobahn. Er sei sich ziemlich sicher, dass uns gerade niemand folgt, sagt er. Nach ein paar Minuten auf der Landstraße biegt er rechts in einen Waldweg ab und hält an. Wir steigen aus, gehen ein paar Meter und er beginnt zu erzählen.
»Herr Graflinger, eines gleich vorweg. Falls Sie sich die Frage stellen, wie ich gerade auf Sie gekommen bin: reiner Zufall. Ich hatte am Freitag einen kurzen Termin mit meiner baldigen Exfrau und unseren beiden Anwälten. Meiner Noch-Ehefrau ist Ihre Visitenkarte aus der Handtasche gefallen. Sie sind vermutlich einer ihrer Kursteilnehmer gewesen, oder sonst noch was, das interessiert mich aber nicht.«
Nun, ein bisserl pikant ist die Situation schon. Auf diese Art und Weise hab ich auch noch keinen Auftrag bekommen. Auf der anderen Seite scheint ihm seine Ex wirklich egal zu sein, also mach ich mir keinen Kopf.
Der Doktor wird konkreter und sagt, was er von mir will.
»Ich brauche jemanden, der sich in ausreichendem Abstand in meiner Nähe unauffällig bewegt und die