Führen als Beruf. Boris Kaehler
geriet aber vermutlich vor allem durch die NS-Vergangenheit seines Begründers in Verruf (o. V. 1989; Die Akademie für Führungskräfte 2018).
XIII Modelltheoretisch handelt es sich bei den vier Umsetzungselementen des Komplementären Führungsmodells eigentlich nur um inhaltliche Spezifikationen ausgewählter Führungsaufgaben in Bezug auf die Personalführungsarbeit als berufliche Tätigkeit. Da sie besonders erfolgsrelevant sind, werden sie im Modell aus rein pragmatischen Gründen gesondert herausgestellt (Kaehler 2020).
XIV Bundesarbeitsgericht 11.12.2003; 2 AZR 667/02
3 Unschärfen und persönliche Dimensionen
Führungswunsch und Führungswirklichkeit
Sie haben sich hoffentlich gut überlegt, ob Sie Führungskraft werden wollen. Falls nicht, denken Sie am besten jetzt noch einmal darüber nach. Führen hat zwar auch eine sachlich-fachliche Komponente. Im Wesentlichen beinhaltet sie aber Verantwortung für und Kommunikation mit Menschen. Und diese Menschen sind, wie wir schon festgestellt hatten, nicht perfekt. Der Job der Führungskraft bezieht seine Berechtigung letztlich primär aus diesem Umstand. Das impliziert: Als Führungskraft beschäftigen Sie sich tagein tagaus mit Ihren Mitarbeitern, deren Arbeitsleistungen und Selbstführungsdefiziten. Nicht jedem liegt das. Die mit Managementpositionen verbundenen Gehalts-, Ausstattungs-, Gestaltungs- und Statusprivilegien gefallen dagegen fast allen. Organisationen sollten daher unbedingt attraktive Alternativen zur Führungslaufbahn anbieten, z. B. gut dotierte Projekt- und Expertenlaufbahnen. Sonst werden auch solche Leute in die Personalverantwortung gelockt und gezwungen, die gar keine Neigung dazu haben. Selbst wenn man die völlig Untauglichen durch Auswahlmaßnahmen aussortiert, klafft bei ihnen doch oft eine Lücke zwischen dem, was sie tun sollen (insb. Personalführung) und dem, was sie gern tun (Sachaufgaben, Selbstoptimierung). Bringt man sie, z. B. durch wirksame Feedbacksysteme, zur Erfüllung ihres Jobprofils, so bekommt das Ganze den Beigeschmack des Erzwungenen. Als Führungskraft sollten Sie sich diesbezüglich selbst hinterfragen und reflektieren, warum Sie überhaupt führen wollen. Sie haben auch andere Optionen! Hält Ihre Organisation keine solche Angebote bereit, orientieren Sie sich eben auf dem Markt. Viele Investmentbanker verdienen mehr als Vorstände, Softwareingenieure werden überall gesucht und teils fürstlich vergütet, als gefragter Berater haben Sie große Handlungsspielräume und Verdienstchancen. Andere Felder bieten vielleicht nicht ganz so attraktive Rahmenbedingungen, dafür aber ggf. die Arbeit, die Ihnen wirklich liegt. Alles ist besser, als seinen Beruf zu verfehlen.
Reflektieren Sie Ihre Neigung und Eignung.
Was den Beruf der Führungskraft ausmacht, ist nicht nur Ordnung, sondern vor allem auch Durcheinander. Henry Mintzberg ist als Managementexperte damit berühmt geworden, den Alltag von Managern, der in der Literatur immer so schön geordnet klingt, zu beobachten und wirklichkeitsgetreu zu beschreiben. Nach seiner Feststellung ist er eben nicht primär durch Strategie und Systematik geprägt, sondern durch ständigen Zeitdruck, Unterbrechungen und Kriseninterventionen33. Tatsächlich ist die Führungswirklichkeit ein ziemliches Gestrampel. Den Beruf der Führungskraft zu verstehen ist recht einfach, ihn zu leben aber schwer. Denn: „Beim Fußball verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit des Gegners“ (Jean-Paul Sartre34). Es gibt Fehlpässe, parteiische Schiedsrichter und unfaire Fans. Ein Kontrahent zieht Sie am Arm, Ihr Mitspieler ist im entscheidenden Moment nicht anspielbar, am Kopf trifft Sie eine Banane und der nackte Spielfeldflitzer bekommt mehr Applaus als Sie für Ihr Tor. Solche Metaphern darf man nicht überstrapazieren – der Mitarbeiter ist kein Gegner und Führen kein sportlicher Wettkampf. Das Fußball-Zitat veranschaulicht aber doch recht gut, dass Führung Umsetzung und Umsetzung Unordnung bedeutet. Manch einer geht darin unter, erschreckend viele Führungskräfte verbringen ihr ganzes Berufsleben im Zustand des Kontrollverlustes. Das ist aber nicht erstrebenswert und es gibt durchaus Möglichkeiten, den Führungsalltag strukturierter anzugehen. Am Anfang steht ein gutes Verständnis des eigenen Berufs. Sie müssen wissen, was Führung ist und soll, um sie wirksam zu praktizieren. Am Ende dieses Buches sollten Sie eine recht brauchbare Vorstellung davon entwickelt haben. Sodann arrangieren Sie sich mit den faktischen Strukturen der Umwelt. Die Mitarbeitenden und Kollegen sind zunächst einmal wie sie sind, Gleiches gilt für die Ressourcen und Hilfsmittel, die Sie als Führungskraft zur Verfügung haben sowie für die Anforderungen, die an Sie gestellt werden. Mit all dem müssen Sie sich arrangieren, indem Sie sich passende Strukturen dafür entwickeln. Sind Ansprechpartner weit weg, benötigt man entsprechende Medien und Reisepläne. Ertrinkt man in Anrufen und E-Mails, muss man diesen Strom mit alternativen Informationsangeboten und Erreichbarkeitsregeln kanalisieren und reduzieren. Den einen oder anderen anstrengenden Zeitgenossen hält man sich durch gezielte Schnittstellenminimierung vom Hals. Was nach solchen und anderen strukturierenden Maßnahmen bleibt, ist Ihr Job, und er wird oft nicht einfach sein. Wäre er es, bräuchte man Sie nicht.
Führen ist mitunter anstrengend.
Führung in verschiedene Richtungen
Führung findet nicht nur in Richtung der eigenen Mitarbeiter statt, sondern „in alle Richtungen“35. Es geht beim Beruf der Führungskraft also nicht nur darum, unterstellte Mitarbeiter zu führen, sondern ähnlichen Einfluss auch auf Kollegen, externe Kräfte und den eigenen Chef zu nehmen. Dies freilich erwartet man auch von jedem Mitarbeiter. Er soll schließlich nicht nur die Führungsaufgabe der Beziehungspflege und Konfliktlösung (Kapitel 10) weitgehend selbst übernehmen, sondern ganz generell als Selbstführender am Führungsgeschehen mitwirken. Diesem Prinzip folgend muss natürlich auch die Führungskraft – hier in ihrer Rolle als Selbstmanagerin oder Selbstmanager – alle Schnittstellen und Einzelbeziehungen, die die Tätigkeit nun einmal mit sich bringt, systematisch pflegen. Auch sie ist ja der Einflussnahme von allen Seiten ausgesetzt und soll diese nicht passiv erdulden, sondern sich proaktiv einbringen. Insofern ist das Führen in verschiedene Richtungen (Abbildung 8) ein wichtiges, aber keineswegs auf die Führungskraft beschränktes Prinzip. Entsprechend unserer Führungsdefinition (Kapitel 1) lässt sich vielleicht auch nicht bei allen von Führung im engeren Sinne sprechen. In jedem Falle wird man den Kreis hier auf diejenigen beschränken, die Mitglieder oder jedenfalls Mitwirkende der Organisationseinheit sind. Mit externen Stakeholdern wie Kunden, Wettbewerbern, Zulieferern, Investoren, Öffentlichkeit, Gesetzgebern oder Gerichten muss man zwar ebenfalls zielgerichtet interagieren. Diese Form der Einflussnahme ist aber unspezifischer und deshalb keine Führung. Wo auch immer man die Grenze zieht, entscheidend ist die Erkenntnis, dass das Führungsmandat mehr umfasst als nur die Steuerung direkt unterstellter Mitarbeiter.
Führungskraft werden und bleiben
Wer Führungskraft sein will, muss eine Organisation dazu bringen, ihm eine Führungsposition anzuvertrauen. Wenn Sie eine solche Führungsposition bekleiden, führen Sie arbeitende Menschen und sind eine FührungskraftXV. Das ist ein völlig anderer Job als der eines Fachspezialisten. Dennoch werden in vielen Organisationen immer noch bevorzugt solche Leute in Führungsverantwortung gebracht, die sich zuvor durch exzellente fachliche Arbeit und besonders professionelles Auftreten hervorgetan haben. Als Führungsaspirant sind Sie also im Allgemeinen gut beraten, sich durch solches zu empfehlen. Im Kontext professioneller Personalmanagementstrukturen von Großunternehmen sollte es aber eigentlich auch spezielle Instrumente zur Identifikation und Entwicklung von Führungstalenten geben. Sofern diese keine Selbstnominierungen vorsehen, ist es an Ihnen, Ihre Chefin oder Ihren Chef von der Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme zu überzeugen. Alternativ kann man sich natürlich auch gezielt auf dem internen oder externen Arbeitsmarkt um entsprechende Stellen bewerben. In diesem Fall tun Sie gut daran, Ihre Führungsausbildung gleich mit zu verhandeln oder diese bereits im Vorfeld zu absolvieren. Für Berufseinsteiger werden oft auch Traineeprogramme und ähnliche Fördermaßnahmen angeboten, die von vornherein als Vorbereitung für eine Führungslaufbahn gedacht sind. Wenn es gut läuft, ist Ihnen Ihre Führungsposition damit schon fast sicher.
Mit einer Führungsposition geht Positionsmacht einher. Sie als Positionsinhaber bestimmen maßgeblich mit über die Gehälter, Arbeitsaufgaben, Ressourcen und Arbeitsverhältnisse Ihrer Mitarbeitenden. Grundlage dafür, dass es all dies überhaupt gibt, ist das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis, das beide Seiten freiwillig eingegangen sind. Manche Führungstheorien und Trainer wollen