Führen als Beruf. Boris Kaehler

Führen als Beruf - Boris Kaehler


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ist, lernt im Laufe der Führungsjahre, diesbezüglich eine gewisse Gelassenheit an den Tag zu legen. Oft kann man durch die eigene Kommunikation auch dazu beitragen, mittelfristig ein für alle besseres Betriebsklima zu schaffen. Dass es aber immer nett zugeht und bei der Arbeit keinerlei Beziehungsstress aufkommt, wäre eine eher unrealistische Erwartung.

      Unternehmen beschäftigen Mitarbeiter nicht als Selbstzweck, sondern als „Human Resources“XVI, mittels derer sie ihre jeweiligen Leistungen für die Außenwelt erbringen. Nichts anderes gilt für Behörden und die meisten nichtkommerziellen Institutionen, wenn sie ihren Organisationszweck nicht verfehlen wollen. Dabei stehen zunächst einmal die betriebswirtschaftlichen Kategorien von Nutzen und Aufwand im Vordergrund. Auch die Belegschaftsinteressen haben aber ihren Platz: Erstens sind Organisationen und Führungskräfte gut beraten, ihre Mitarbeitenden als Stakeholder zu betrachten und deren Belange in die o. g. „sonstigen Ziele“ einfließen zu lassen. Menschen haben schließlich eine menschliche Würde und menschliche Bedürfnisse. Stärker als je zuvor fordern auch Kunden, Investoren etc. soziale Standards ein. Zweitens sind Führungskräfte zwar Arbeitgebervertreter, ihrem betriebswirtschaftlichen Streben sind aber äußere Grenzen gesetzt. So gleicht das deutsche Arbeitsrecht die strukturelle Überlegenheit des Arbeitgebers in vielen Punkten aus – es wird nicht umsonst als „Schutzrecht des Arbeitnehmers“ definiert. Auch bilden Gewerkschaften und Betriebsräte bzw. Personalräte als Arbeitnehmervertretungen einen schlagkräftigen Gegenpol. Zudem sorgt der Arbeitsmarkt, jedenfalls in guten Zeiten, für Konkurrenzangebote und eine starke individuelle Verhandlungsposition der Mitarbeiter. Es gibt natürlich Interessengegensätze zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Unsere Rechts- und Wirtschaftsordnung hält aber durchaus Mechanismen bereit, um sie zum Ausgleich zu bringen. Führungskräfte können und dürfen daher also keinen Manchesterkapitalismus betreiben. Drittens nähern sich die Interessen der Arbeitsvertragsparteien unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bei langfristiger Perspektive wieder an. Wer nicht nur in in den kommenden Monaten, sondern auf Jahre hinaus optimale Arbeitsleistungen erzeugen will, kommt aus reinem Eigeninteresse gar nicht umhin, sich Gedanken um Gesunderhaltung, Entwicklung und Bindung seiner Mitarbeiter zu machen und diese anständig zu behandeln. Fakt ist aber: Führungskräfte sind Arbeitgebervertreter. Faire und menschliche Arbeitsbedingungen entstehen aus den o. g. Nutzenerwägungen heraus sowie aus der regulierenden Einwirkung des Gesetzgebers, des Arbeitsmarktes und der gewählten Arbeitnehmervertretungen. Im Interesse der Menschen sollte unsere Gesellschaft diese Mechanismen pflegen und fortentwickeln. Führungskräfte mit moralischem Unterton zu obersten Repräsentanten der Mitarbeiterinteressen zu erklären, wäre schlicht unredlich.

      Mitarbeiterinteressen zu vernachlässigen, ist unklug.

      Überhaupt sind wenige Debatten so verlogen wie die um Ethik im Wirtschaftsleben. Vor einigen Jahren las ich in einer Fachzeitschrift den Artikel eines Ethikfunktionärs über Führungsethik, der ein bekanntes Kommunikationsmodell auf den Führungskontext übertrug – ohne Zitat, d. h. plagiierend. Wie schrieb doch Mark Twain? „Gut sein ist edel, aber andere lehren, gut zu sein, ist noch edler. Und leichter“40. Wo explizit über ethisches Verhalten gesprochen wird, sollte man meiner Meinung nach misstrauisch werden. Wir alle haben nämlich eine klare, überindividuelle ethische Richtschnur für unser Verhalten: Recht und Gesetz. Diese verbindlichen externen Vorgaben werden ergänzt durch organisationsinterne Anweisungen und kulturprägende Wertvorgaben, die ebenfalls normativ wirken. Sie zu definieren ist eine Führungsaufgabe, wir kommen in Kapitel 15 noch ausführlich darauf zurück. Der Spielraum für solche internen Verhaltensstandards ist jedoch, wie wir sehen werden, sehr klein – und das ist auch gut so. Bei den heute meist hoch diversen Belegschaften können Sie eben gerade nicht davon ausgehen, dass z. B. Ihre eigene Definition von Fairness auch von allen Kolleginnen und Kollegen geteilt wird. Diese sind vielleicht sozial ganz anders gestellt, haben andere weltanschauliche Vorstellungen und sind in völlig anderen Kulturen aufgewachsen. Wer behauptet, bestimmte Dinge seien zwar legal, aber ethisch nicht vertretbar, argumentiert entweder ego- bzw. ethnozentristisch oder hat eine Regelungslücke gefunden, die der Gesetzgeber und/oder die Organisation schnellstens schließen sollte. Natürlich hat jeder halbwegs anständige Mensch seine eigenen moralischen Maßstäbe und versucht, sein eigenes Verhalten daran auszurichten. Nicht umsonst wird Integrität in der Führungsforschung auch als Übereinstimmung des Führungshandelns mit den behaupteten eigenen Werten, dem Einhalten von Versprechen und der Nutzung ethischer Überlegungen als Richtschnur der Entscheidungs- und Handlungsfindung verstanden41. Dies aber ist ein individueller Maßstab. Ethik berechtigt niemanden, anderen seine ganz persönlichen Werthaltungen aufzudrücken. Wenn in Hollywood vergewaltigt und in Wolfsburg betrogen wurde, waren dies keine abstrakten Ethikprobleme, sondern kriminelle Gesetzesbrüche. Möglichweise laufen in vielen Organisationen auch deshalb immer noch so viele – aber ja doch – Grapscher, Diebe und Faulenzer herum, weil die Verantwortlichen lieber Sonntagspredigten halten, als das geltende Recht durchzusetzen.

      Trauen Sie keinem, der über Ethik schwadroniert.

      Natürlich ist nicht jede Rechtsfrage gerichtlich ausgeurteilt. Vieles aber ist geklärt, und für den Rest gibt es doch zumindest auslegbare Generalklauseln. Die Maßstäbe der Arbeitsgerichtbarkeit sind ein wunderbarer ethischer Maßstab für Führungsverhalten, denn immer sind Verhältnismäßigkeit und Schutzbedürfnis zu wahrenXVII. Ein Manager, der für sich ein unanständig hohes Gehalt beansprucht, das ihm vertraglich zugestanden und gesetzlich nicht gedeckelt wurde, nimmt seine legitimen Rechte war (was nicht heißt, dass er es tun sollte). Eine Führungskraft, die bei hohem Arbeitsanfall regelwidrig Nachtarbeit anordnet oder Bewerberinnen nach einer Schwangerschaft fragt, mag ihren eigenen Maßstäben treu bleiben, handelt aber rechtswidrig. Maßstab für beides ist das geltende Recht. Organisationen und Führungskräfte, die Worthülsen wie Respekt, Toleranz und Mut als übergesetzliche ethische Maßstäbe propagieren, schaffen de facto ein Willkürregime, in denen unliebsamen Mitarbeitenden – und natürlich immer nur diesen – jederzeit ein Verstoß vorgeworfen werden kann. Meine Empfehlung: Orientieren Sie sich in Ihrem Führungshandeln vor allem am geltenden Recht. Reflektieren Sie ferner Ihre ganz persönlichen ethischen Werthaltungen. Sind diese mit Ihrem Führungsjob (der mitunter auch harte Entscheidungen beinhaltet) und Ihrer Organisation (die mitunter vielleicht auch Dinge verlangt, die Sie selbst anders entscheiden würden) kompatibel? Und bedenken Sie, das unanständiges, aber nicht justitiables Verhalten – wie z. B. ein Wortbruch – Ihnen später mit großer Wahrscheinlichkeit als Retourkutsche oder Reputationsverlust wieder auf die Füße fällt.

      Halten Sie sich an geltendes Recht und bleiben Sie sich treu.

      XV Zur Erinnerung: Unter einer Führungskraft (engl. „manager“) verstehe ich eine Person, die beruflich disziplinarische Verantwortung für eine Organisationseinheit mit mindestens drei unterstellten Mitarbeitern im festen Arbeitsverhältnis trägt. Wenn jemand heimlicher Anführer einer losen Gruppe ist oder nur einen einzigen unterstellten Mitarbeitenden hat, führt er oder sie natürlich auch. Damit gehen aber ganz andere Anforderungen einher, die nicht Gegenstand dieses Buches sind.

      XVI Begriffe wie Humanressourcen oder Humankapital (zu Unrecht das Unwort des Jahres 2004) sind übrigens keine Abwertung, sondern stehen für eine nüchterne Fachperspektive auf den Faktor Mensch. Jeder Museumsdirektor denkt über seine Gemäldesammlung ebenso ressourcenorientiert nach, was weder ihn noch andere daran hindert, sich bei anderer Gelegenheit dem Kunstgenuss hinzugeben. Ebenso wenig spricht es den Menschen ihre individuelle Würde und persönliche Einzigartigkeit ab, wenn Fachleute sie als Passagiere, Patienten oder eben Humanressourcen bezeichnen.

      XVII So erklärte z. B. das BAG im Fall „Emily“ eine Kündigung wegen Bagatelldiebstahls von Flaschenbons – die wegen Vertrauensverlust grundsätzlich möglich ist – nach Interessenabwägung im Lichte der 30-jährigen Zusammenarbeit für unverhältnismäßig und damit für unwirksam (10.6.2010, 2 AZR 541/09).

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