Indisches Drama. Hilde Link

Indisches Drama - Hilde Link


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Durchreiche unter der kugelsicheren Glasscheibe. Im Nachhinein frage ich mich, ob der Schalterbeamte bösartig war, hinterlistig oder schadenfroh. Er muss doch gewusst haben, dass er mich mit „einfach in Indien abstempeln“ in einen Zweikampf ohne jede Gewinnaussicht mit Macht-verliebten Beamten schickt, deren Alltag nicht nur im gnädigen Entgegennehmen von Umschlägen mit pekuniärem Inhalt besteht, sondern vor allem im tagtäglichen Vergnügen, sich Schikanen aller Art für winselnde Antragsteller auszudenken. Vielleicht tue ich dem armen Konsulatsangestellten auch Unrecht. Er kam möglicherweise aus Delhi, wo andere Gesetze herrschen als im Süden Indiens. Das ist ja überall auf der Welt so, dass es im Süden eines Landes anders zugeht als im Norden. Woher kommt die Mafia? Eben.

      „Danke.“ Ich nahm meine Dokumente entgegen und setzte mich auf einen der gepolsterten grauen Stühle, senkte den Blick, um vor den Wartenden mein Glück zu verbergen und mein seliges Lächeln dem Visaeintrag und meiner Aufenthaltsgenehmigung zu schenken. Ich war am Ziel aller Wünsche.

      In aller Bescheidenheit muss ich sagen, dass mein Forschungsantrag zum Straßentheater in Südindien, dem terukkuttu (Tamil: teru = Straße; kuttu = Drama), einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde verdient. Niemals zuvor, das behaupte ich jetzt, ohne dass ich jemals andere Forschungsanträge hätte einsehen können, war in der Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein vergleichbarer Antrag eingereicht worden: geballte Ahnungslosigkeit auf dreißig Seiten. Noch heute grüble ich, wie mein Forschungsvorhaben positiv begutachtet werden konnte. Möglicherweise sagte man sich, zu dem Thema gibt es nur eine einzige Arbeit, und die ist von einem Amerikaner. Höchste Zeit, dass Deutschland bahnbrechende neue Erkenntnisse vorlegt. Tja, unter Blinden ist der Einäugige König

      Ich hatte mir das alles ganz einfach vorgestellt: Fährst nach dem Ausschlafen, so am Vormittag, raus aufs Land, redest gemütlich mit dem einen oder anderen Alten darüber, was man sich in seinem Dorf so für Geschichten erzählt und wie sie szenisch umgesetzt werden, filmst ein wenig, nimmst alles auf Tonband auf, schreibst ein Buch darüber, und schon ist ein Kulturdenkmal der indischen Erzähltradition für immer der Vergessenheit entrissen. Meine Kinder, Johanna, zehn, Lena, sieben, nehme ich mit auf meine Ausflüge, sie würden mal was anderes kennen lernen als immer nur ihren eigenen Namen tanzen im Eurythmieunterricht der Münchener Rudolf-Steiner-Schule. Zurück in Deutschland werden sie dann einen Super-Aufsatz zum Thema „Mein schönstes Ferienerlebnis“ schreiben. Nur blöd, dass es in Waldorfschulen keine Noten gibt. Mit meinem Mann Manuel würde ich mich austauschen und das Leben in Indien in vollen Zügen genießen. Sein Antrag beim Deutschen Akademischen Austauschdienst als Meisterschüler an der Akademie der Bildenden Künste in München war ebenfalls genehmigt worden.

      Im Gegensatz zu dem Sessel im Indischen Generalkonsulat in München war der Stuhl im Immigration Office in Pondicherry weder gepolstert noch grau. Ein paar der in einen Eisenrahmen gefassten Fäden des Plastikgeflechts, Naturmaterial zum Verwechseln ähnlich, versuchten den Sitzenden nicht auf den Boden stürzen zu lassen. In Indien sind eben nicht alle Stühle dafür gemacht, dass man bequem darauf sitzen kann. Nach einiger Zeit fühlte ich mich auf meinem Stuhl wie der Fakir auf seinem Nagelbrett. Obwohl der ja angeblich nichts spürt. Ich machte es mir bequem, nahm die Toilettenhaltung ein und stützte die Ellbogen auf die Knie. So drückte mir wenigstens nur noch der Eisenrahmen in die Oberschenkel. Meine Papiere hielt ich bereit wie Klopapier, um mal im Bild zu bleiben. Der kleine, stickige Raum war schon bei Büroöffnung um zehn Uhr morgens voll von Wartenden. Einer nach dem anderen verschwand durch eine dunkelbraun angestrichene Sperrholztür, auf der in frisch polierten Messingbuchstaben „S. Patil“ stand. In dem Raum saß offensichtlich jemand, der gehässig war. Das schloss ich daraus, dass einer nach dem anderen mit seiner Dokumentenmappe unter dem Arm freudestrahlend und mit federndem Schritt in den Raum ging, als wäre er auf eine Geburtstagsparty eingeladen, jedoch mit finsterer oder gar wütender Miene in den Warteraum zurückkam und eiligst dem Ausgang zustrebte. Frauen hatten Tränen in den Augen. Wer weiß, was die wollten, die Armen. Ich brauchte ja lediglich einen Stempel, weiter nichts. Nach drei Stunden war nur noch ein entmutigt dreinblickender Mann im Warteraum, der sich wacker auf seinem Stuhl hielt. Ich spazierte derweil zwischen den sogenannten Stühlen herum, betrachtete das Muster der verrosteten Gitter am Fenster und machte mir Gedanken darüber, wie schön das Leben im Allgemeinen sein kann und wie schön speziell das meine war und in den nächsten zwei Jahren sein würde. Jedenfalls anders als damals, als Manuel und ich mit unserem 9-PS-Auto, einem Citroën 2CV, dem „Döschöwo“, nach Indien gefahren waren und auch wieder zurück.

      Endlich war ich dran.

      „So, so“, sagte der überaus gepflegte, auffallend hellhäutige und nach Haarpomade duftende Herr S. Patil hinter seinem grün angestrichenen Eisenschreibtisch. Ein Blechbecher mit Tee stand in einer braunen Pfütze. Die Eselsohren der schmuddeligen Blätter, ordentlich auf die linke Seite des Schreibtisches geschoben und mit einer bunten Glaskugel beschwert, winkten lustig im Luftzug des Ventilators. Meine Aufenthaltsgenehmigung hatte ich Herrn Patil in vorauseilendem Gehorsam so auf den Schreibtisch gelegt, dass er nur noch seinen Stempel nehmen und diesen auf die erste Seite zu drücken brauchte.

      „Sie sind also Ethnologin.“

      „Ja“, antwortete ich sachlich mit einem angedeuteten Lächeln. Nur nicht gleich plump vertraulich werden, nicht dass er noch denkt, ich hätte was zu verbergen. Komisch, dieser Mann gab mir das Gefühl, irgendetwas ausgefressen zu haben. Während der Beamte bedächtig in meinen Papieren blätterte, erforschte ich sorgfältig mein Gewissen in der Rubrik „Visum“. Zwar wurde ich nicht fündig, das Gefühl, ich hätte große Schuld auf mich geladen, verließ mich dennoch nicht.

      „Was wollen Sie denn hier erforschen?“

      Ich legte eine zweiminütige Elevator Speech hin, ohne ein einziges Mal ins Stocken zu geraten, so überzeugt war ich von meiner Mission.

      Seine Miene verfinsterte sich und der schwarze Oberlippenbart zog sich synchron mit seinen Mundwinkeln nach unten.

      „Sie sind doch Indologin, und da gibt man sich nicht mit dem Quatsch ab, den irgendwelche ungebildeten Dörfler von sich geben. Da arbeitet man mit Pandits, mit Gelehrten, in den Bibliotheken und mit vedischen Texten auf Palmblättern.“

      Mein Gegenüber outete sich als Brahmane, als Gelehrter der obersten Schicht im Kastensystem, während ich vorhatte, Dalit, die Unterdrückten in ihren Slums, und Shudra, die untersten in der Hierarchie innerhalb des Kastensystems, zu Wort kommen zu lassen und das, was sie sagten, ernst zu nehmen und zu dokumentieren.

      Vorsichtig versuchte ich eine Richtigstellung meines Berufes.

      „Ich bin keine Indologin, sondern Ethnologin, und als solche...“

      „Papperlapapp!“, unterbrach er mich. „Sie arbeiten in Indien, also sind Sie Indologin.“

      „Ja.“ Ich nickte zustimmend. Jetzt bloß keine Beckmesserei. Gut, dann bin ich eben Indologin. Von mir aus. Hauptsache Stempel.

      Mr. Patil schob seinen Stuhl zurück, zog seinen Bauch ein und holte aus der Schublade ein Buch hervor.

      „Das ist die Bhagavad Gita“, rief er hocherfreut, als hätte er einen Schatz zutage gefördert. Was in gewisser Weise ja auch so war. Seine Miene hellte sich auf, die Sonne schien ihm ins Gesicht und ließ die Schweißtropfen auf seiner Nase in Regenbogenfarben glänzen.

      „Bhagavad Gita!“, rief er wieder. Argwöhnisch blickte er zu mir herab, dem weißen, kastenlosen Dummchen.

      „Sagt Ihnen das was?“

      „Ja.“ Antwortete ich demütig. „Das ist eine der wichtigsten Schriften des Hinduismus.“

      „Und wissen Sie auch, was da drinsteht?“

      Bevor ich untertänigst mit „Ja“ antworten konnte, tippte er schon auf der Stelle herum, die er mir zeigen wollte. Unter dem Sanskrit-Text stand die englische Übersetzung.

      „Lesen Sie!“, befahl er in einem Ton, der gut zu seiner braunen Uniform passte. „Englisch! Ihr Sanskrit tue ich mir nicht an.“ Eine weise Entscheidung.

      Artig wie eine eingeschüchterte Schülerin im Englischunterricht las ich, dass man


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