Indisches Drama. Hilde Link

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      „Was wollen Sie denn mit ihren Erkenntnissen machen?“

      „Ein Buch schreiben“, antwortete ich der Einfachheit halber.

      „Sie trachten also nach Früchten.“

      Meine wissenschaftliche Arbeit im Lichte der Bhagavad Gita kam mir plötzlich unanständig vor, und ich schämte mich. Bestürzt blickte ich zu Boden.

      „Geben Sie mir Ihre Affiliation“, befahl er so laut, als müsste er ein ganzes Regiment zu Kampfhandlungen ermutigen.

      Um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, benötigt man unter anderem das Schreiben einer indischen wissenschaftlichen Institution. Mit der Fingerfertigkeit eines Klaviervirtuosen hatte ich blitzschnell das entsprechende Dokument aus den bestimmt fünfzig Seiten umfassenden Papieren hervorgezaubert.

      Mit einem „Alles dabei“ legte ich nicht ohne Stolz das Schreiben vor den verbeamteten Philosophen.

      „Das ist eine Kopie. Wo ist das Original?“

      „Das ist in München. Aber schauen Sie, hier ist der Original-Stempel vom Konsulat. Die Kopie ist beglaubigt.“ Ich deutete auf die drei etwas verwischten Löwen und die Unterschrift, die wie die Peitsche eines Dompteurs unter den Pfoten der Tiere schwebte.

      „Wessen Unterschrift ist das?“, wollte er als nächstes wissen.

      „Na, die vom zuständigen Beamten, schätze ich mal. Und das hier, das ist die Unterschrift von Herrn Dr. Murugan, vom Leiter des PICA, des Pondicherry Institute of Cultural Anthropology.“ Beflissen beugte ich mich vor, um auf die Unterschrift tippen zu können.

      Herr Patil schlürfte genüsslich seinen Tee. Er schien nachzudenken.

      „Ich brauche eine Beglaubigung dieses Dokuments...“ Seine flache Hand klatschte auf die Affiliation. „...von einem deutschen“, er hob den rechten Zeigefinger, „von einem deutschen! Notar.“

      Wie bitte? Ich soll die Affiliation bei einem deutschen Notar beglaubigen lassen? Obwohl das Indische Generalkonsulat in München dies bereits getan hatte?

      „Lassen Sie die Affiliation vom Direktor des PICA unterschreiben, seine Unterschrift hier ist ja eine Kopie, und legen Sie das Ganze zusammen mit dem Original dem deutschen Notar vor. Er wird das Dokument bestätigen“, wiederholte Herr Patil. Er wollte sichergehen, dass ich auch alles verstanden hatte, nachdem von mir keinerlei Reaktion kam. Sehr wahrscheinlich stand mir der Mund offen.

      „Wo ist Ihre Geburtsurkunde? Geben Sie her!“

      Geburtsurkunde?

      In keinem Informationsblatt zur Antragstellung einer Aufenthaltsgenehmigung stand etwas von Geburtsurkunde. Ich war sprachlos. Normalerweise bin ich nicht auf den Mund gefallen und hätte angefangen zu argumentieren. Aber ich hatte erkannt, dass Herr Patil seinen eigenen Gesetzen folgt, völlig unabhängig von allen Visabestimmungen dieser Welt.

      „Gehen Sie und kommen Sie wieder.“ Sagte er unvermittelt in meine Verwirrung hinein.

      „Ich gehe und komme wieder“, antwortete ich automatisch, packte meinen Kram zusammen und verschwand.

      Wie alle anderen vor mir verließ ich den Raum in gebückter Haltung und mit sorgenvoll-wütendem Gesicht.

      Jetzt brauchte ich erst mal ein anständiges Mittagessen. Mit einem „Ato“, einer Scooter-Riksha mit gelbem Aufbau für die Passagiere, ließ ich mich in eine Ess-Bude fahren, die mir der Fahrer empfohlen hatte. Sie lag gegenüber dem Arbeitsamt, wo gerade Sprechchöre ihre Forderungen nach mehr Rechten in Fabriken in die Gegend schrien. Der Ato-Fahrer kam mit rein und wurde für das Abliefern der Touristin mit einem Tee belohnt. In Pondicherry sind die Fahrer in der Regel nicht unverschämt, weil es da so viele Europäer gibt, die seit Jahren in der Stadt und Umgebung leben und sich mit den Preisen gut auskennen. Man einigt sich ohne große Diskussionen auf einen bestimmten Betrag, und los geht die Fahrt.

      In dem kleinen Lokal mit seinen drei nicht ganz sauberen Tischen verdrückte ich ein Masala Dossai, das ist eine Art Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl mit Kartoffelfüllung, vom Bananenblatt. Mein Hirn befand sich in Schockstarre, und ich war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Daran änderten selbst drei Gläser Tee nichts. Alles, was ich wusste, war, dass ich nicht wusste, was zu tun war. Trotz Mittagshitze ging ich zu Fuß den kurzen Weg die Uferpromenade am Meer entlang zum Ashram-Gästehaus. Am selben Morgen hatte ich mich, frisch aus Deutschland angekommen, dort einquartiert. Mein Zimmer war spartanisch möbliert, die beiden Betten waren durch ein fest in die Wand einzementiertes Nachtkästchen getrennt. Dadurch wird konsequent verhindert, dass es bei einem Paar zum Letzten kommt. Sri Aurobindos Vision, dass Kinder durch reine Lichtenergie gezeugt werden, würde erst in naher Zukunft Wirklichkeit werden. Bis dahin musste man das Zusammenschieben von Betten verhindern.

      Ich trat auf den Balkon und schaute kurz aufs Meer, das mich so grell blendete, dass ich für einen Moment nur silber-gleißende Sternchen sah. Das dunkle Grün des Rasens im Park vor dem Gästehaus gab mir die Sicht zurück, so dass ich die Mäuerchen, die Bänkchen, die künstlich aufgeschütteten Hügelchen, die weißen Figürchen, die Blümchen, die Brünnchen und Kanälchen mehr und mehr ausmachen konnte. Mir hat mal eine Ashramitin erzählt, dass man bei der Aufnahme in den Ashram von einem Komitee gefragt wird, wie man sich vorstellt, für die spirituelle Gemeinschaft tätig werden zu wollen. Man darf seine Interessen, Fähigkeiten und Neigungen darlegen und sagen, was man am liebsten tun würde, jetzt, wo einem alle Möglichkeiten offenstehen. Was einem auch immer vorschwebt in seiner großen Zukunftsvision für das neue Leben, genau das darf man dann nicht machen. So lernt man Demut und Gehorsam. Derjenige, der dazu verdonnert worden war, den Gästehaus-Park zu gestalten, wäre vielleicht lieber Bäcker geworden oder Schneider. Der Park jedenfalls ist Ausdruck der Demut eines zutiefst gekränkten Menschen, dem seine nicht ganz unterdrückte Rachsucht all die Geschmacklosigkeiten eingegeben hat, die den Betrachter ästhetische Qualen erleiden lassen. Ich stellte mir einen verzweifelt „Alles, nur nicht den Park gestalten!!!“ rufenden Aspiranten vor und wohlwollend blickende Ashramitinnen und Ashramiten, die maskenhaft lächelnd mit leiser und freundlicher Stimme säuseln: „Du bist der Richtige für den Park, Du musst noch viel Demut in dein Herz einkehren lassen, mein Bruder.“ Und der Demut-gelernt- Habende macht sich an die Arbeit. Tag und Nacht gibt er sich die allergrößte Mühe mit der Gestaltung des Parks, indem er einen Entwurf nach dem anderen ersinnt und schließlich sich für den erbärmlichsten entscheidet. Aus lauter frustriert-boshafter Demut.

      Der Jetlag überkam mich, und ich legte mich auf eines der Betten. Der verklärt-alkoholselig dreinblickende Sri Aurobindo und die uralte Mira Alfassa, die Insider „die Mutter“ nennen, blickten über allem wachend auf mich herab. Diese Übergriffigkeit beendete ich, indem ich das Leintuch vom Nachbarbett über die fenstergroßen Fotorahmen der Portraits hängte. Die Mutter kam dabei zu Fall, blieb jedoch unverletzt. Ich legte das Bild mit dem Gesicht nach unten auf den Schreibtisch und wünschte mir inständig, der Himmel oder mein Schöpfer oder wer das alles hier lenkt, möge verhüten, dass ich je so alt werde wie die Mutter und dann auch so aussehen muss. Bevor ich einschlief, dachte ich an Manuel und die Kinder. Es war geplant, dass sie in einer Woche nachkommen. In der Zwischenzeit sollte ich, das Organisationsgenie, ein wohliges und heimeliges Nestchen für meine Familie bauen, alle bürokratischen Hindernisse aus dem Weg räumen und ansonsten dafür sorgen, dass Indien unser aller Traumland bleibt.

      Die kurze Rast im Gästehaus brachte meine Lebensgeister wieder in Schwung, und ich wusste, was ich als nächstes tun musste: um vier Uhr zum PICA fahren und Dr. Murugan bitten, die beglaubigte Kopie der Affiliation zu unterschreiben, die er ja sowieso schon auf dem Original, das in München war, unterschrieben hatte. Eine Angelegenheit von einer, meinen Dank mitgerechnet, maximal zehn Sekunden. Ich rechnete mir beim Immigration Office doch noch eine Chance aus, wenn ich mit einem Dokument antanzte, auf dem jetzt also die Original(!)-Bestätigung des Generalkonsulats in München und obendrein die Original(!)-Unterschrift des PICA-Leiters standen. Vielleicht ließe Herr Patil ja morgen bei besserer Laune mit sich reden, so dass ich die Geburtsurkunde nachreichen und das Ganze von einem indischen Notar bestätigen lassen könnte. Kurz zog ich sogar in Erwägung, Mr. Patil einen


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