Tausendfache Vergeltung. Frank Ebert
zu, der Al verriet, dass Bill die Dinge hatte schleifen lassen. Offensichtlich fehlte in dem Büro jegliches Konzept.
„Dann will ich euch einen Vorschlag machen“, bot Al an. „Ich werde nach Nordkorea fahren.“
„Unmöglich“, kommentierte Tom. „Die lassen kaum Ausländer in ihr Land – jetzt, wo die Nahrungsrationen auf wenige hundert Gramm pro Einwohner täglich reduziert sind, schon gar nicht.“
„Und einen amerikanischen Journalisten erst recht nicht“, pflichtete Sandy bei.
„Ihr redet, als wärt ihr schon dort gewesen“, gab Al zurück. „Oder fällt euch etwas Besseres ein?“
„Aber Woods hat Bill erklärt, dass es unmöglich sei …“, setzte Tom nach.
„Für Woods vielleicht. Bei Bill glaube ich das – sofort. Aber so schnell gebe ich, Albert Ventura, nicht auf. Was wissen wir denn wirklich von der Situation jenseits der entmilitarisierten Zone am achtunddreißigsten Breitengrad? Nur wenn ich in Pjöngjang war, kann ich dem Hauptquartier eine Artikelserie präsentieren. Mir schwebt da so etwas vor wie „Die beiden Kims – ungleiche Brüder.“
„Du spielst auf die Namengleichheit der beiden gegnerischen Präsidenten an“, gestand Sandy zu.
„Und wenn du einen nordkoreanischen Überläufer interviewst? Es soll da einen hochinteressanten Mann geben, der im vorigen Jahr von den nordkoreanischen Grenztruppen desertierte“, schlug Tom vor. „Der könnte bestimmt spannende Geschichten erzählen. Ich könnte ihn für dich auftreiben?“
„Kaufst du nur im Secondhandshop ein?“, entgegnete Al. „Was sollen Informationen aus zweiter Hand? Wie willst du überprüfen, ob die Geschichten des Mannes stimmen oder ob sie nicht bloß erfunden sind? Natürlich erzählt der uns seine Geschichten. Je mehr wir ihm zahlen, umso besser werden sie.“
„Gut. Wie wäre es dann mit den Beziehungen zwischen den USA und Südkorea? Wir haben Anfang August“, stellte Tom sachlich fest. „Die heiße Phase des Wahlkampfes um die amerikanische Präsidentschaft für den Herbst liegt noch vor uns.“ „Glaubst du?“, fragte Al skeptisch.
„Das vitale Interesse Südkoreas, US-Truppen bis zu einem dauerhaften Frieden auf der Halbinsel stationiert zu lassen, eignet sich doch gut als Schwerpunktthema. Präsident Clinton hat erst im April die Insel Chejudo besucht.“
„Eins ist doch klar. Der Präsident ist während des Wahlkampfes auf sein außenpolitisches Renommee besonders bedacht. Und was haben seine Bemühungen gebracht? Hat er einen Dialog zwischen Süd- und Nordkorea zustande gebracht? Gespräche mit den Chinesen über Korea?“
„Nein, hat er nicht“, gestand Tom ein.
„Also ist das eine festgefahrene Kiste. Pure Wahlkampfmanöver, weiter nichts. Wir brauchen schon etwas anderes. Einen Reißer! Die Beziehungen USA – Südkorea sind kein schlechtes Thema. Aber es müsste etwas Skandalöses sein, was nur wir enthüllen. Ein richtiger Knaller!“
„Mit etwas Glück und den richtigen Beziehungen könnte es dir gelingen, ein Exklusivinterview mit Kim Young-sam zu führen“, meinte Sandy.
„Wen interessiert das in Amerika? Nein, nein. Wir müssen das anders aufziehen. In zwei Wochen werde ich ins Hauptquartier reisen. Goldmann hat die Redaktionsleiter der Außenstellen zum Erfahrungsaustausch zusammengeholt. Die Kollegen kommen aus aller Welt. Ich will mir bei Goldmann nicht nur Vorstellungen und Leitlinien für unsere Arbeit abholen. Ich will mir von ihm ein Konzept absegnen lassen, das auf unserem Mist gewachsen ist – und das wir durchziehen. Also Kollegen – eure Kreativität ist gefragt, wenn ich bitten darf!“
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