Tausendfache Vergeltung. Frank Ebert
Medical Center
47. Seoul, Redaktionsbüro der LAN
52. Seoul, Redaktionsbüro der LAN
54. Los Angeles, Chefredaktion der LAN
56. Seoul, Dienstgebäude der ANSP
57. Seoul, Gimpo International Airport
58. Los Angeles, Chefredaktion der LAN
60. Los Angeles, Rowland Heights
1 Los Angeles, International Airport
Lustlos und apathisch hingen sie in der glühenden Mittagshitze vor dem Tom-Bradley-Abflugterminal herum. Das Thermometer zeigte knapp neunzig Fahrenheit-Grade an. Hier war weit und breit der einzige Fleck, an dem sie ungestraft die gleichförmigen Lautsprecherdurchsagen, die sich in kurzen Abständen monoton wiederholten, ignorieren konnten: „Welcome to Los Angeles International Airport. This is a non-smoking airport …“
Und hier war die allerletzte Chance für eine Zigarette vor dem Abflug, auf den die meisten von ihnen noch stundenlang warteten. Diejenigen, die mit amerikanischen Linien flogen, würden sich die nächste Zigarette erst nach der Landung anstecken können. Drinnen liefen überall Klimaanlagen, und die wachsame Flughafenpolizei, der kaum etwas entging, brachte jeden erbarmungslos zur Strecke, der gegen das strikte Rauchverbot verstieß. Man beugte sich dem strengen Reglement, ohne weiter über seinen Sinn nachzudenken.
Al drückte nach einem letzten tiefen und genüsslichen Zug seine Kippe aus. Dann wandte er sich dem Eingang zu. Ein Zollbeamter, dem im Terminal das Rauchen ebenfalls verboten war und der sich eine Fünfminutenpause abgeklemmt hatte, tippte Al auf die Schulter.
„Sie haben etwas vergessen, Sir – Ihre Tasche!“
Der Uniformierte deutete auf das Gepäckstück, das wenige Schritte von Al entfernt scheinbar herrenlos auf dem Betonboden stand.
„Ach ja. Was für ein Glück, dass Sie … – danke, Officer.“
„Sie sollten besser auf Ihr Gepäck achten. Der Lautsprecher weist dauernd darauf hin“, belehrte ihn der Beamte. „Nicht dass noch Bombenalarm ausgelöst wird.“
„Ja, natürlich. Sie haben recht. Vielen Dank nochmals.“
Al griff nach seiner dicken, schwarzen Aktentasche, die er an das Geländer neben dem Eingang gestellt hatte, um die Hände für das Anzünden seiner Zigarette frei zu haben. Er nickte dem Zollbeamten noch einmal freundlich zu, bevor er das Gebäude betrat. Nicht auszudenken, wenn er die Tasche tatsächlich vergessen hätte. Das Ticket nach Seoul, sein Pass, die anderen persönlichen Dokumente und Utensilien. Nur gut, dass die beiden Koffer bereits eingecheckt waren.
Die künstliche Kühle der Luft in dem Abfertigungsgebäude schlug ihm entgegen. Er musste tief durchatmen, als ob er den Rauch, den er draußen inhaliert hatte, wieder loswerden und gegen die klimatisierte Luft austauschen wolle. Mit einem Blick auf seine Uhr stellte er fest, dass er noch über eine Stunde Zeit bis zum Aufruf seines Fluges hatte. Es würde bestimmt noch für eine Zigarette vor dem Terminal reichen.
Gelangweilt schlenderte er zwischen den anderen Passagieren durch die weitläufige Halle, eine Hand lässig in der Tasche seiner ausgebleichten Jeans, vorbei an modischen Boutiquen, überquellenden Zeitungsläden und teuren Souvenirgeschäften, in denen Reisende und Verkaufspersonal emsige Betriebsamkeit verbreiteten. Sollte er jetzt schon den Duty-free-Shop aufsuchen? Auch das hätte noch Zeit, zumal er nur Zigaretten kaufen wollte. Die könnte er aber auch noch später erstehen, im Bordverkauf der Maschine.
Die Zeit wollte nicht verrinnen. Al lauschte in sich hinein. Seltsam war ihm zumute, aber nicht, als würde er die Staaten auf unbestimmte Zeit verlassen. Er verspürte nicht einen Hauch von Heimweh. Die Traurigkeit, die sein Herz vor Wochen überkommen hatte, war ihm inzwischen zum ständigen und ebenso vertrauten wie verhassten Begleiter geworden. Wie ein Schatten folgte sie ihm überall hin. Sie verließ ihn nur, wenn er schlief. Doch beim Aufwachen war sie wieder da, übermächtig und drückend. Er ließ dieses Gefühl einfach zu, weil er nicht wusste, wie er sonst mit ihm fertig werden sollte. Aber es war anders als das Heimweh, das er sonst verspürt hatte, wenn er zu einer langen Reise aufbrach. Die Vergangenheit lag hinter ihm. Wozu sich an Dinge hängen, die vorbei waren? Es ließ sich nicht mehr ändern.
Die Langeweile trieb ihn, sich in einer Schlange anderer Passagiere anzustellen. Nein, er wollte nicht schon wieder rauchen. Er nahm besser einen Kaffee. Mit dem vollen, glühend heißen Becher in der Hand wandte er sich abrupt um.
„Passen Sie doch auf!“
Der spitze Aufschrei der Dame traf Al wie ein Schlag. Die zierliche Person stand – zwei Köpfe kleiner als er – mit weit aufgerissenen Augen und abgespreizten Armen wie erstarrt vor ihm. Der Kaffee, der soeben noch in Al’s Becher gedampft hatte, rann an ihrem hellblauen Kostüm herab. Während sie mühsam um Fassung rang, bildeten sich unter ihren zierlichen Füßen und dem dunkelblauen Bordcase kleine Pfützen. Unablässig triefte der hellbraune, milchige Kaffee hinein.
Al hatte die graziöse Lady schlicht übersehen. Früher wäre ihm das nicht passiert. Er hätte es immer bemerkt, wenn sich jemand hinter ihm anstellte. Schon von Berufs wegen war er neugierig. Aber als er sich jetzt umgedreht hatte, wäre er beinahe über das Bordcase gestolpert. Das Resultat stand nun in Form eines begossenen, zeternden Persönchens