Heidelberger auf der Flucht. Sebastian Klusak

Heidelberger auf der Flucht - Sebastian Klusak


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drei Gestalten waren japanische Soldaten. Am 31. Tag ihrer Flucht war das Unwahrscheinliche geschehen: Magener und Have waren den Engländern entkommen. Allerdings bemerkten Magener und Have relativ schnell, dass sie sich zu früh gefreut hatten. Ihre Flucht erschien den Japanern so unwahrscheinlich, dass sie ihnen keinen Glauben schenkten und sie stattdessen für englische Spione hielten. Zwei Monate34 verbrachten die beiden von da an in japanischen Gefängnissen und Lagern, während die Japaner ihre Angaben überprüften und sie immer wieder verhörten. Danach wurden sie ins Hauptquartier der japanischen Geheimpolizei in Rangun gebracht.35 Dort folgten weitere Verhöre und Untersuchungen. Die Verpflegung war dort so schlecht, dass den beiden die Haare ausfielen und sie schwerhörig wurden.36 Have und Magener erfuhren nie den Grund, aber nach einem weiteren Monat schienen die Japaner zu dem Schluss gekommen zu sein, dass ihre Angaben auf Tatsachen beruhten. Man brachte sie im September 1944 von Rangun mit dem Flugzeug nach Tokio. Dort schenkte man ihnen die Freiheit. Magener und Have fanden Zuflucht in der deutschen Botschaft in Tokio, wo sie als Attaché arbeiten konnten.37 In der Botschaft lernte Magener Doris von Behling kennen. Sie war als Tochter einer Schottin und eines deutschen Offiziers im Ruhestand in London geboren, fühlte sich der englischen Lebensweise ebenso verbunden wie Rolf Magener und arbeitete in der Botschaft als Assistentin des Luftwaffenattachés.38 Rolf Magener nannte sie Dora Thea, was auf Griechisch „das Geschenk der Götter“ bedeutet.39 Die beiden heirateten noch während des Krieges. Die folgende Karte40 zeigt die Fluchtroute von Magener und Have quer durch Asien.

      Am 26. Mai 1945 griffen amerikanische Flugzeuge Tokio an. Dabei machten Magener und Have erneut durch ihre Kaltblütigkeit von sich reden. Als sich die Bevölkerung des Enokizaka-Hügels vor dem durch den Bombenhagel entstandenen Feuer in Sicherheit bringen wollte, riefen die beiden die fliehenden Menschen auf, zu bleiben. Sie bildeten eine Menschenkette, durch die Wassereimer weitergereicht werden konnten, und kommandierten so umsichtig, dass sie eine Gruppe von Einheimischen dazu gewinnen konnten, mit ihnen gegen die Flammen zu kämpfen. Es gelang, den Hügel vor dem Feuer zu retten.41

      Im Jahr 1947 konnten Doris und Rolf Magener nach Deutschland zurückkehren. Nach einem Aufenthalt in einem Auffanglager war Rolf Magener erst bei der Deutschen Commerz GmbH in Frankfurt tätig, ging dann 1955 zur BASF und arbeitete für diese ab 1957 in London. Fünf Jahre später wurde er Finanzvorstand bei der BASF. Als solcher trug er wesentlich zur internationalen Expansion und zum Aufbau neuer Märkte bei.42 Bei der BASF scharte er eine Gruppe junger, dynamischer Manager um sich, deren Karriere er förderte. Die Gruppe ging gelegentlich abends ins klassische Konzert, am Wochenende zum Wandern, traf sich beim Tee in seinem Büro und wurde die „Magener Boys“ genannt.43 Rolf und Doris konnten keine Kinder bekommen. Sie übernahmen aber die Patenschaft von Sylvius Graf von Posadowsky-Wehner, des Sohnes des gleichnamigen Klassenkameraden Rolf Mageners. Im Jahr 1974 wurde Magener pensioniert.

      Zunächst wohnten Doris und Rolf Magener in der Werderstraße in Mannheim, ab 1965 zogen sie in die Wolfsbrunnensteige 20 in Heidelberg. Hier hatten sie sich eine schöne, repräsentative Villa gebaut, die auf dem folgenden Foto aus dem Jahr 1998 zu sehen ist.

      Im Jahr 1980 trafen sich Magener, Have und Harrer in Heidelberg. Davon zeugt dieses Foto.44

      Menschen, die sie noch erlebt haben, erzählten dem Verfasser, dass sie sehr zurückgezogen lebten, oft nach England fuhren und auch oft englisch miteinander sprachen. Das Haus und der große Garten in der Wolfsbrunnensteige sei Doris und Rolf Mageners Paradies gewesen. Weil beide eine Liebe zu Japan entwickelt hätten, habe es dort eine Abteilung mit japanischen Pflanzen gegeben, die beide gepflegt hätten. Gelegentlich sei Rolf nach Ladenburg gefahren, um in der dortigen Baumschule Nachwuchs für seinen Garten zu kaufen; aber auch Doris hätte aufgrund ihrer englischen Herkunft Gärten gemocht. Manchmal habe er am Hauptbahnhof auch eine russische Zeitung gekauft. Rolf Magener habe eine große Büchersammlung besessen. Zu seinen vielen Interessen hätten u. a. die Belletristik und (in späteren Jahren) die Philosophie gezählt. Einmal habe er sich mit dem in Heidelberg lebenden Philosophen Hans Gadamer getroffen und ihm vorbereitete Fragen zu philosophischen Themen gestellt, die ihn beschäftigt hätten. Gadamer habe ihn aber wie einen Unwissenden behandelt, was Magener sehr enttäuscht habe.45 Des Öfteren habe man Magener auch in der Universitätsbibliothek gesehen. Doris und Rolf Magener hätten 2- bis 3-mal pro Jahr das Restaurant im Europäischen Hof in Heidelberg besucht.46 Rolf Magener starb kurz vor seinem 90. Geburtstag im Jahr 2000, seine Frau Doris zehn Jahre später. Da sie keine Kinder hatten, erbte der Sohn eines Freundes große Teile ihres Vermögens. Ihr Haus wurde inzwischen abgerissen. Das folgende Bild zeigt Doris und Rolf Magener im Jahr 1999.47

      10 Bild: Sebastian Klusak, EEB Heidelberg

      11 Salomon, I. (1997, 03.11.). Heimkehrer kam zurück. Rhein-Neckar-Zeitung, S. o. A.

      12 Bild: Sebastian Klusak, EEB Heidelberg

      13 Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges/Verluste unter den deutschen Kriegsgefangenen (2020). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen am 15.07.2020 von https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsgefangene_des_Zweiten_Weltkrieges#Verluste_unter_den_deutschen_Kriegsgefangenen

      14 Hofmann, U. (2000, 05.08.). Vom Gefangenen Nummer 1775 zum Finanzchef. Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. o. A.

      15 Telefonische Mitteilung von Sylvius Graf von Posadowsky-Wehner an den Verfasser, Mai 2020

      16 Rolf Magener in jungen Jahren. Bild: Sylvius Graf von Posadowsky-Wehner

      17 Magener, R. (1963). Die Chance war Null. Frankfurt/Berlin: Ullstein, S. 6

      18 Schäfer, H. (Datum o. A.). Das Internierungslager Dhera Dun im II. Weltkrieg. Abgerufen am 15.07.2020 von http://www.gaebler.info/2016/08/schaefer/#anlage

      19 Messerschmidt, E. (1943). Karte von Dhera Dun. Bildkopie von Walter Buelle (2013). Abgerufen am 15.07.2020 von www.gaebler.info

      20 Speck-Rosenbaum (2013). Lager-Karte vom Internierungslager Dehra Dun. Abgerufen am 15.07.2020 von www.gaebler.info/2013/09/speck

      21 Bild: Autor o. A. In: Buelle, W. (2013). Gerhard Buelle in the internment camps Ahmednagar and Dehra Dun. Abgerufen am 15.07.2020 von https://www.gaebler.info/2013/03/buelle

      22 Lüdtke, N. (1995). Flucht. Reisen in Zeiten von Not und Gefahr. Abgerufen am 15.07.2020 von https://fernreisemobiltreffen.de/willys-treffen/dokuwiki/doku.php?id=wiki: flucht

      23 Magener, R. (1963). Die Chance war Null. Frankfurt/Berlin: Ullstein, S. 7

      24 Lüdtke, N. (1995). Flucht. Reisen in Zeiten von Not und Gefahr. Abgerufen am 15.07.2020 von https://fernreisemobiltreffen.de/willys-treffen/dokuwiki/doku.php?id=wiki: flucht

      25 Autor o. A. (1950, 09.09. und 16.09.). Ein Salzburger im geheimnisvollen Tibet. Salzburger Volksblatt, S. o. A. Abgerufen am 15.07.2020 von http://www.gaebler.info/india/flucht.htm

      26 Autor o. A. (1955, 29.06.). Der große Bluff. Der Spiegel, S. 35–36

      27 Autor o. A. (Jahr o. A.). Die Flucht. Solidarität und Erfolg. Abgerufen am 15.07.2020 von www.gaebler.info/india/flucht.htm

      28 Autor o. A. (1955, 29.06.). Der große Bluff. Der Spiegel, S. 35–36

      29 Bild: Clyde Waddell, gemeinfrei (Wikipedia )

      30 Magener, R. (1963). Die Chance war Null. Frankfurt/Berlin: Ullstein, S. 59

      31 Lüdtke, N. (1995). Flucht. Reisen in Zeiten von Not und Gefahr. Abgerufen am 15.07.2020 von https://fernreisemobiltreffen.de/willys-treffen/dokuwiki/doku.php?id=wiki: flucht

      32 Bild: Bundesarchiv (Nr. B 145 Bild-P022073 Frankl, A.) Gemeinfrei, CC-BY-SA 3.0 (Wikipedia)


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