Die Giftmischerin. Bettina Szrama

Die Giftmischerin - Bettina Szrama


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Lider zu öffnen. Als er einige Sekunden später mit weit aufgerissenen Augen verwirrt um sich starrte, war ihr Gefühl für ihn nur noch von Ekel und Selbstmitleid geprägt. Dieser fremde Körper aus Haaren, weißem Fleisch und Pusteln sollte fortan als ihr Ehemann neben ihr liegen? Strafte sie der Herrgott jetzt etwa auf diese Weise für die kleinen Diebereien der Kinderzeit, indem er ihr Verfall und Siechtum in das Bett legte? Verzweifelt schlug sie die Hände vor das Gesicht und begann, leise mit dem Schicksal zu hadern. Erst als Gerhard, bemüht, die Blöße vor ihr zu bedecken, vor ihr stand, sah sie zu ihm auf.

      Verwirrt fuhr er sich mit den Händen durch das zerwühlte blonde Haar: »Ich hatte Gott gebeten, es vor dir zu verbergen. Aber er hat mein Beten nicht erhört.« Als sie keine Antwort gab, ließ er sich zu ihren Füßen nieder. Mit einer hilflosen Bewegung legte er ihr ein weißes Taschentuch in den Schoß und umfasste zaghaft ihre Knie. Unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, kniete er vor ihr auf dem Boden und bettelte mit den Augen um einen Blick von ihr.

      »Wenn du meine Hand ausgeschlagen hättest, oh Gesche, dann hätte ich Bremen für immer verlassen und wäre in die Fremde gezogen. Denn dir dann jemals wieder zu begegnen, hätte mir furchtbare Schmerzen bereitet. Dein Jawort hat mich so glücklich gemacht, dass ich darauf vor Freude dem bei meinem Oheim versammelten Sattleramt gleich zwei Bohlen Punsch zum Besten gegeben habe. Verachte mich nicht und bleib bei mir, Gesche«, bat er. »Auch wenn der Herrgott mich nun für mein liederliches Leben mit einer Lustkrankheit bestraft hat. Ich schwöre dir, ich werde mein Versprechen halten und es dir nie an etwas fehlen lassen und dich in meine Welt als eine Dame einführen.«

      Noch verwirrt von der rohen Begierde und geschmeichelt von der plötzlichen liebevollen Anbetung, überwand Gesche ihren Ekel. Bei dem Gedanken an ihr bisheriges Leben streckte sie die Arme nach ihm aus und zog ihn mit einem neu gewonnenen Gefühl der Macht über ihn an ihre Brust.

      *

      Einige Wochen später.

      Margarethe trat hilflos von einem Fuß auf den anderen. Sie stand hinter der Stuhllehne und schaute unschlüssig auf die Tochter herab. Gesche saß vor ihr über den Tisch gebeugt und hatte das Gesicht in der Armbeuge vergraben. Leise schluchzte sie vor sich hin. Hilflos musste Margarethe zusehen, wie die schmalen Schultern unter dem Seidentuch auf und nieder zuckten. Dabei hätte sie die Tochter zu gern in die Arme genommen und sie getröstet. Doch Gesche hatte sich in den wenigen Wochen ihrer Ehe verändert. Sie schien zurückhaltender in ihrer Liebe zu den Eltern geworden zu sein. Schon seit Längerem hegte Margarethe den Verdacht, dass ihr geliebtes Kind wenig Freude in der Ehe fand, und machte sich deshalb die heftigsten Vorwürfe. Immer wenn sie Gesche besuchten und sie freudestrahlend von ihr durch das Miltenberg’sche Haus geführt wurden, dann vergaßen sie bei all ihrem Stolz auf die junge Hausfrau, welche das neue Hauswesen mit Geschick und Klugheit führte, dass sie heimlich leiden könnte. Denn Miltenberg, glücklich über die neue Haus- und Küchenordnung, überhäufte sein Weib in ihrer Nähe mit teuren Geschenken und ließ es nie an verliebten Schmeicheleien fehlen. »Wie sollen wir dir helfen, liebes Kind, wenn du mir nicht sagst, was dein Herz bedrückt?«, unternahm sie einen erneuten Versuch, Gesche zum Reden zu bewegen. Sanft berührte sie dabei ihre Schulter und überlegte, womit sie sie erfreuen könnte. »Soll ich dir eine heiße Schokolade bringen lassen?«, fragte sie und ließ sich nun auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder. Die Beine machten schon lange nicht mehr mit und schmerzten beim längeren Stehen. »Du mochtest doch immer so gern heiße Schokolade?«

      Das Angebot verfehlte die Wirkung nicht, und Gesche hob den Kopf. Blinzelnd, mit roten Augen schaute sie die Mutter an. Die vom Weinen angeschwollenen Augen mit den verwischten Tränenspuren auf der durchsichtigen Haut berührten das Mutterherz. Doch geschickt wusste sie ihr Mitgefühl über das veränderte Aussehen vor der Tochter zu verbergen. Tröstend, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, sagte sie: »Na, siehst du. Ich bin doch deine Mutter und weiß, was dich aufheitert.«

      »Nichts weißt du, Mutter«, schluchzte Gesche, »überhaupt nichts.«

      Zumindest hatte sie nicht verlernt zu widersprechen, stellte Margarethe nun ernüchtert fest. Sie erwartete eine Erklärung und suchte in ihrem Ledertäschchen nach einem Taschentuch. Als sie es gefunden hatte, reichte sie es der Tochter mit den Worten: »Nun wische dir erst einmal die verlaufene Schminke vom Gesicht, Kind. Du siehst ja aus, wie eine aus diesen Häusern …«

      »Ja, sprich es ruhig aus. Ich sehe aus wie eine seiner Huren, und es ist mir sogar egal«, jammerte Gesche. Sie zerfloss weiterhin vor Selbstmitleid und gab ihr das bestickte Taschentuch zurück. »Seit Wochen meidet Miltenberg das Alleinsein mit mir. Bis spätabends ist er außer Haus und sucht sein Vergnügen bei Spiel und Trank in anrüchigen Etablissements. Vor ein paar Tagen erst hat ihn die Schwiegermutter, die er angeblich hasst, gebeten, ihn bei ihrer Abreise nach Braunschweig zu begleiten. Und Miltenberg hat nichts Eiligeres zu tun gehabt, als ihr zu folgen. Stell dir vor, der Mutter, jener Frau, die ihn einst fast ruiniert hat. Daraufhin habe ich voller Sehnsucht auf seine Rückkehr gewartet, in der Hoffnung, die kurze Trennung würde ihm vielleicht guttun und in meine Arme zurückführen. Aber Miltenberg hat sich nicht geändert. Er treibt es jetzt nur noch schlimmer als zuvor«, schluchzte sie hörbar.

      »Du bist ihm doch eine gute Ehefrau? Ist er vielleicht krank, dein Ehemann?«, fragte Margarethe, neugierig geworden, und nahm der Magd das Tablett mit der Schokolade aus den Händen. Mit einem kleinen Silberlöffel rührte sie das dampfende Getränk um und reichte es Gesche. »Das Servieren ist Aufgabe der Mägde«, rügte Gesche die Mutter und wurde dadurch für einen Augenblick von ihrem Kummer abgelenkt.

      »Ich kann mich schlecht an solchen Luxus gewöhnen. Musst Geduld mit mir alter Frau haben«, antwortete Margarethe und rückte vertraulich näher. Schon seit langer Zeit brannte ihr diese eine Frage auf den Lippen. »Vielleicht liegt es daran, dass du noch nicht schwanger von ihm bist?«

      »Wie soll ich denn schwanger von ihm werden, wenn er nicht in meinem Bett schläft.«

      »Dann ist er doch krank. Eine so hübsche Frau wie dich, mein Kind, lässt ein Mann nicht so kurz nach der Hochzeit allein.«

      »Möglich«, überlegte Gesche und erfand eine Notlüge. »Er hat es jetzt öfter an den Augen und ist sehr in sich gekehrt. Ich glaube, er leidet an Depressionen.«

      »Ja, es ist bestimmt seine erste Ehe, die ihm noch immer zu schaffen macht«, entschuldigte Margarethe den Schwiegersohn und pries seine Vorteile. »Dafür bekommst du doch aber alles, was du dir nur wünschst von ihm. Denk nur an die schönen Kleider, von denen du früher immer so geträumt hast, den kostbaren Schmuck und die vielen gesellschaftlichen Vergnügungen, bei denen du als große Dame auftrittst.«

      »Ach ja.« Gesche seufzte. »An meinen Kleidern habe ich schon meine eitle Freude und an dem Stand der vornehm gebietenden Dame auch. Aber bei all dem fühle ich mich so leer und einsam.«

      »Das liegt sicher daran, dass du dabei gänzlich in Gottesvergessenheit geraten bist. Du gehst nicht mehr zur Beichte, und selbst sonntags sieht man dich nicht in der Kirche.«

      »Ohne Miltenberg gehe ich nirgendwo allein hin, nicht einmal in die Kirche. Ich bin eine tugendhafte Ehefrau«, antwortete Gesche, ärgerlich über die Mutter, die sie nicht verstehen wollte.

      »Nun ist aber genug«, beendete Margarethe das Gespräch und überlegte, wie sie der Tochter helfen konnte. Gleich darauf kam ihr eine Idee. Sie ergriff Gesches Hände.

      »Sinchen«, liebevoll gebrauchte sie den Kosenamen aus der Kinderzeit, »stell dir vor, im nächsten Monat, im Juli, finden wieder die Korporals-Mahlzeiten statt. Vater und ich werden diesmal hingehen, und es wäre reizend, wenn ihr beide, dein Ehemann und du, uns auf diese Festlichkeiten begleiten würdet. Du weißt, wie lustig es auf diesem Gelage zugeht. Es bietet euch vielleicht ein wenig Abwechslung.«

      Sofort war Gesche wie umgewandelt. Der Vorschlag zauberte wieder Farbe und ein Lächeln in ihr Gesicht. Die Aussicht eines Ballbesuchs wirkte Wunder und vertrieb sofort jeden Kummer.

      »Oh, Mutter, du erfüllst mir damit einen Herzenswunsch!«, jubelte sie und schloss Margarethe stürmisch in die Arme. »Wie wird Miltenberg sich erst freuen.«

      Vor Freude völlig


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