Die Giftmischerin. Bettina Szrama
auch bekannt, was für ein unseliger Ruf dem Herrn Miltenberg vorausgeht.«
»Ach, alle die üblen Nachreden über den geschätzten Herrn Miltenberg sind nur infame Lügen der neidischen Nachbarn«, versuchte sie die Bedenken der Mutter zu entkräften. Dabei war ihr nicht wohl, wusste sie doch genau, dass die Mutter recht hatte. Aber ihre Gedanken kreisten immer wieder zu den vielen schönen Kleidern und dem großen Haus zurück, in dem sie künftig leben würde, und diesen Traum wollte sie sich nicht zerreden lassen.
In den nächsten Tagen geschah es ab und an, dass Gerhard Miltenberg der Jungfer Gesche ausgerechnet dann begegnete, wenn sie gerade vor dem Haus die Straße fegte. Jedes Mal grüßte er freundlich und stieg vom Wagen. Er fragte interessiert nach ihrem Befinden, und wenn sie ihm mit geröteten Wangen schlau antwortete: »Gut, Herr Miltenberg. Jetzt geht es mir noch besser«, lobte er ihre Arbeit und äußerte sich artig über ihre Schönheit und ihre Tugend. Dabei verschlang er sie mit den Augen und konnte sich manchmal kleinerer frivoler Bemerkungen, wie sie unter Verliebten üblich sind, nicht enthalten. Seit der Begegnung in der Komödie hatte die schöne Gesche seine Sinne so weit berauscht, dass er, die Hölle seiner Ehe allmählich vergessend, allen Ausschweifungen entsagte und nur noch mit ihrem Bild im Herzen lebte und sich nichts sehnlichster wünschte, als ihren holden Körper endlich in seinen Armen halten zu können.
An einem Sonntag, morgens um zehn Uhr, wurde dann der folgenschwere Gang des Freiwerbers von Post nach dem Haus des Schneidermeisters angetreten. Gerhard Miltenberg lief derweil ungeduldig vor dem Haus auf und ab, während der Magister den Vater Timm zu sprechen wünschte. Gesche stand in der Küche und wusch die Schüsseln. Beim Anblick des ganz in Schwarz gekleideten Magisters lief sie rasch zum Vater und sagte: »Vater, komm doch mal, da ist ein Herr, ich glaube, es ist ein junger Prediger, ganz schwarz gekleidet und von feinem Aussehen.« In ihrer Aufregung lief sie auf zitternden Beinen hinauf in ihr Zimmer, setzte sich mit klopfendem Herzen auf das Bett und faltete die Hände zum Gebet. »Bitte, Herrgott«, flehte sie mit feuchten Augen, »mach, dass alles gut wird und der Vater einer Hochzeit zustimmt.« Dann lauschte sie mit einem Ohr an der Wand, wie der Vater den Brautwerber in die Stube bat und die Mutter rief, sie sollte doch für den Herrn von Post aus der Küche ein wenig Gänseleberpastete und eine Flasche vom besten Wein aus dem Keller bringen. Bei so viel Freigebigkeit wusste sie, dass der Vater den Brautwerber mit allen Ehren empfing. Sie lächelte vor sich hin. Als der große Zeiger der Küchenuhr sich über den kleinen schob, war es zwölf Uhr, und Gesche wurde vom Vater in die Wohnstube gerufen. Am Tisch vor den halb gefüllten Gläsern und dem Porzellangeschirr, das nur sonntags aus dem Schrank geholt wurde, saßen der Herr von Post, der Vater und Mutter Timm mit einem gewissen Ernst auf den Gesichtern, blickten aber auch wohlwollend, als sie Gesches Unsicherheit bemerkten. Vater Timm wies auf den freien Stuhl ihm gegenüber und forderte sie feierlich auf: »Setz dich, mein Kind! Falte deine Hände, wie es bei Tisch schicklich ist, und vernimm, was wir dir zu sagen haben. Der Herr von Post ist gekommen und hat für den einzigen Sohn und Erben des Hauses Miltenberg, Gerhard, bei mir um deine Hand angehalten. Für diese große Ehre solltest du zehn Vaterunser beten und dem Herrgott danken. Der junge Herr, dein zukünftiger Ehemann, ist nämlich der Erbe des größten Hauses in der Pelzerstraße, einschließlich der sieben Nebenhäuser zur Rechten und zur Linken mit einem Wert von 20.000 Talern.« Ergriffen von seinen eigenen Worten, wischte er sich verstohlen eine Träne aus den Augen. »Obendrein erbt er das gesamte köstliche Mobiliar und die wertvolle Gemäldesammlung, worunter sich Stücke von 300 Taler Wert befinden. Also bedenke gut, mein Kind, welches Glück dich in diesem Moment trifft und welche Antwort du dem Herrn Magister gibst.«
Gesche sah die leuchtenden Augen des Vaters und die Mutter, wie sie vor Ergriffenheit in das Taschentuch schnupfte. Längst hatte sie die Entscheidung in den Augen des Vaters gelesen. Niemals würde sie es wagen, diese anzuzweifeln. Als sie mit zitternden Lippen zu einem ›Ja‹ ansetzte, ergänzte von Post, dessen Blicke während der Rede des Vaters ruhig auf ihrem Gesicht gelegen hatten: »Nicht zu vergessen allerdings wäre eine kleine Hypothek von 1.000 Talern, welche das Haus belastet. Dass deine Eltern, wie sie vorhin ängstlich sagten, dir kein Vermögen mitgeben können, sollte dich nicht betrüben, mein Kind. Deine Schönheit und Tugend sind für unseren geschätzten Gerhard Miltenberg mehr wert als alle Taler auf dieser Welt. Denn dieser junge Mann will einzig und allein dich, mein Kind.« Er hoffte, damit ihre Entscheidung zu würdigen, um nicht den Eindruck zu hinterlassen, es ginge ihm nur um das Geschäftliche.
Gesche erhob sich, umarmte den Vater und verbeugte sich manierlich vor dem Advokaten. »Monsieur von Post, ich empfinde es als eine Ehre.« Ein Strom von Tränen hinderte sie am Weitersprechen. Von Post, auf diese Art von ihrer Jungfräulichkeit überzeugt, wertete es als Erfolg seiner Mission. Denn Gesche hauchte mit letzter Beherrschung einen Kuss auf seinen Handschuh. Dann stürzte sie, vom Glück übermannt, zur Tür hinaus, rannte die Stufen zu ihrer Kammer hinauf und warf sich bäuchlings auf das Bett. Gleich darauf floss ein Strom Tränen aus ihr heraus und benetzte ihre Kissen. Die folgende Nacht verbrachte sie schlaflos in ihrem Bett, mit Träumen und Beten, unterbrochen von immer wiederkehrenden heftigen Tränenausbrüchen.
Die Leiden einer Ehe
»Es war ein so wunderschönes Fest, Kind. Noch nie habe ich vor Glück so geweint wie auf deiner Hochzeit«, wisperte Margarethe, die Nadel zwischen den Lippen, mit der sie geschickt Gesches Haar vom Knoten löste. Seit einer Stunde war sie bei der Tochter, um ihr beim Auskleiden zu helfen. Auf den Samtbezügen der Stühle lagen die Mieder und Unterröcke, während die Mägde geschäftig im Zimmer umherliefen, um die übrigen Hochzeitskleider in den Schränken und Truhen zu verstauen.
»Was geschieht zwischen einem Mann und seiner Ehefrau?«, fragte Gesche leise die Mutter. Sie fühlte sich nicht wohl dabei.
Bisher war der schönste Tag in ihrem Leben ganz nach ihren Wünschen gelaufen. Marie hatte sie morgens in aller Herrgottsfrühe mit schwerem Herzen angekleidet und auf dem Zimmer des Schwiegervaters wie eine Königin geschmückt. Dabei war ihr so manche Träne in den Brautstrauß gefallen, und sie hatte mehr als einmal die Prozedur mit dem Herrichten eines Opferlamms verglichen. Um acht Uhr kamen Vater und Mutter. Beide vergossen Tränen, als sie Gesche in dem weiten weißen Brautkleid sahen, und schlossen sie gerührt in ihre Arme. Gesche lachte leise vor sich hin. Ach, wie sehr hatte sie sich über Christophs Geschenk, ein Paar silberne Schuhe und ein Paar Seidenstrümpfe aus Hamburg, gefreut. Oh, wenn er sie doch hätte nur sehen können, in ihrem weißen Hochzeitskleid mit den Schuhen, die so gut zu den feinen Seidenstrümpfen passten. Die Trauung wurde im Miltenberg’schen Hause vollzogen, in der großen Hinterstube mit den wertvollen Ölgemälden. Pastor Horn hatte ihren Bund unter dem Bildnis der Mutter Jesu mit dem Kinde gesegnet. 30 der feinsten Herrschaften waren gekommen und hatten zu Abend gegessen. Bis um zwei Uhr nachts hatten sie getanzt und gelacht, und ihr Ehemann hatte nicht mit Komplimenten über ihre Schönheit gespart. Obwohl er mit Herrn von Post gewettet hatte, dass er nicht weinen würde, waren ihm die Tränen über die Wangen geflossen, als er zärtlich ihre Hände berührte und sie sanft auf den Mund geküsst hatte. Noch während sie speisten, hatte sie seine Finger auf ihrem Nacken gespürt. Kühle Finger, die ein seltsames Kribbeln hervorriefen. Heiß dagegen brannte sein Brautgeschenk, die goldene Halskette mit dem glitzernden Diamanten, auf ihrer weißen Brust. Jetzt lag er seltsam kalt zwischen ihren Brüsten. Sie nahm das Gestein zwischen ihre Finger und schloss die Augen. Dabei versuchte sie sich vorzustellen, was sie in diesem Augenblick für ihren Ehemann empfand. Doch so sehr sie es sich auch wünschte, es wollte kein Gefühl für ihn aufkommen. In ihrem Herzen gab es keine Regung, es blieb kalt, so kalt wie der Stein in ihrer Hand. Zu der anfänglichen Euphorie gesellte sich jetzt Angst, und sie bedauerte es lediglich, dass er sie nicht ein einziges Mal zum Tanze geführt hatte. Doch der Anblick ihres Spiegelbildes beruhigte sie wieder. Sie war stolz auf sich. Stolz auf ihre Schönheit, der alle Gäste, selbst der alte Herr Miltenberg, an diesem, ihrem schönsten Tag, gehuldigt hatten.
»Bring deinem Ehemann den Gehorsam entgegen, den du uns, deinen Eltern, entgegengebracht hast. Alles andere findet sich von selbst«, wurde sie von Margarethe aus den Gedanken gerissen.
Verwirrt schaute sie der Mutter ins Gesicht und erinnerte sich plötzlich an den Vater, wie er am Tag zuvor in ernstem Ton zu ihr geredet hatte, ihren Mann für alle Zeit treu zu lieben, ihn mit Fleiß