Die Giftmischerin. Bettina Szrama

Die Giftmischerin - Bettina Szrama


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bemerkte es und versuchte nun, mit Charme und Witz einzulenken. Ein Duell hier an diesem Ort, ausgerechnet vor seiner Auserwählten, war nicht in seinem Interesse. Außerdem hatte er das Weinlager des Weinaufsehers, das seinem Haus nur wenige Meter schräg gegenüberlag, längst als einen unversieglichen Quell unentgeltlichen Weingenusses entdeckt.

      »Herr Kassow hat seinen Logenplatz bereits einer schon lange von ihm verehrten Schönheit angeboten, wie er mir gestern Abend im Spielsalon heimlich gestand«, log er mit einem listigen Augenzwinkern, Kassow dabei im Auge behaltend. Sein Blick bat ihn dabei heimlich um Verständnis. »So wird mir das Glück zuteil, die Damen in meine bescheidene Loge zu bitten.«

      Artig beugte er sich zum Kuss über Gesches Hand, nicht ohne sie aus den Augen zu lassen, während diese etwas verständnislos von einem zum anderen sah, was wiederum sein Herz entzückte. Die Jungfer in ihrer Hilflosigkeit wirkte noch viel schöner und zarter, als er es sich erträumt hatte.

      Gesche betrachtete derweil nachdenklich Miltenbergs elegante Erscheinung im dunkelbraunen zweireihig geknöpften Frack. Blitzschnell kehrte das Gespräch mit Christoph in ihr Gedächtnis zurück. Miltenberg war nicht uninteressant, er gefiel ihr, obwohl sein werbender Blick nicht die gleiche Erregung in ihr entfachte wie der glutvolle von Kassow. Dafür faszinierte sie der aufwendige Stil seiner Kleidung umso mehr.

      »Mit Freuden werden wir Ihr Angebot annehmen, mein Herr«, kokettierte sie und reichte Miltenberg zum Einverständnis den Arm. Den ungewollten Seufzer, der ihr dabei entfuhr, quittierte sie bei sich mit einem Lächeln. Viel lieber hätte sie die charmante Einladung Kassows angenommen und beobachtete verstohlen, versteckt hinter ihrem seidenen Fächer, den Russen, der sich nun mit ihrer Freundin Marie tröstete. Noch einmal wollte es der Zufall, dass sie ein Blick aus seinen glutschwarzen Augen traf. Doch tapfer bekämpfte sie das Klopfen ihres Herzens und lächelte Miltenberg auffordernd zu, der es geschickt verstand, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

      »Ihr seufzt, Demoiselle, ist Euch meine Aufdringlichkeit unangenehm?«, fragte er, während Gesche rasch das Versäumnis nachholte, sich vorzustellen.

      »Demoiselle Gesine, mein Herr«, beeilte sie sich hinzuzufügen und log. »Gesine Timm.«

      »Ein wunderschöner Name, Demoiselle Timm«, schmeichelte ihr Miltenberg. »So schön wie Eure Augen und Euer goldenes Haar«, verzauberte er sie, während sie ihm, betört von seinen Worten, gnädig die Hand überließ. Die Worte überdeckten das fehlende Gefühl in ihrem Herzen und nährten geschickt den Stachel der Eitelkeit.

      Stolz wie eine Königin schritt sie nun neben ihm durch die Gänge eines Seitenflügels. An dessen Ende erwartete sie der Theatersaal mit einem ovalen Zuschauerraum und einer ziemlich tiefen Bühne. In seiner Loge bot er ihr mit einer galanten Bewegung den Stuhl neben sich an. Marie hatte in der Nachbarloge Platz genommen und unterhielt sich angeregt mit Kassow. Die unterhaltsame Art des Russen brachte die Freundin zum Lachen, was sich anhörte wie das leise Gurren eines Täubchens. Für einen Augenblick verspürte Gesche heimliche Eifersucht. Dann wurde sie betäubt von dem barocken Schein, der sie umgab, den vielen Zuschauern, welche zu den Rängen strömten, den glitzernden Roben der Damen, den farbenfrohen Gemälden an den Wänden und den auf Säulen kunstvoll kreierten Wasserspielen. Der dunkelrote Samtvorhang war geöffnet. Die Kulissen stellten eine bürgerliche Wohnung dar, die so raffiniert gemalt war, dass man nicht den Eindruck hatte, auf Wände aus Leinwand und Pappe zu sehen, sondern wirklich in einem Raum mit englischen Stilmöbeln, fein gewebten Spitzendeckchen und echtem Porzellan zu sein. Bei so viel strahlendem Glanz vergaß sie rasch den wohlhabenden Gerhard Miltenberg an ihrer Seite. Sie spürte weder seine Fingerspitzen, die sanft ihren Arm hinaufstrichen, noch vernahm sie seine geistreichen Erklärungen über das Trauerspiel, welches sich in fünf Akten vor ihr auf der Bühne abspielte. Ihre weiche Seele, schon von Kindesbeinen an dem Theaterspielen zugetan, versank in einer für sie völlig neuen Sphäre. Ergriffen und mit Tränen in den Augen verfolgte sie die tragische Liebe zwischen dem adligen Ferdinand und der Musikertochter Luise. Insbesondere die Figur der Luise hatte es ihr angetan. Sie mochte die Augen nicht einen Moment von deren Schönheit lassen und identifizierte sich so sehr mit ihrem Schicksal, dass sie zum Schluss fast in Tränen aufgelöst in Miltenbergs Arme sank, während dieser, mutig geworden, sie leise mit den Worten tröstete: »Demoiselle Gesine, es ist doch nur ein Trauerspiel aus der Feder unseres hoch geschätzten Herrn Friedrich Schiller. Es ist nicht die Wirklichkeit. Ich aber, liebe Gesche, möchte Ihnen, wenn Sie mir die Gelegenheit dazu geben, ein heiteres Stück für Ihr Leben schreiben. Ein Stück, in dem nur wir beide mitspielen. Ich würde Ihnen die Welt zu Ihren kleinen Füßen legen, meinen Wohlstand und meine Liebe dazu, um niemals wieder Tränen in Ihren schönen Augen sehen zu müssen …«

      Am nächsten Morgen brannte Gesche darauf, ihr Glück mit der Mutter zu teilen. Überglücklich lief sie hinunter in die Schneiderwerkstatt. Margarethe stand mit einem Gürtel voller Nadeln um die Hüften und hochgeschlagenen Ärmeln vor einer Schneiderpuppe und versuchte gerade, einen Tuchballen von mehreren Fuß über das Podest zu ziehen. Nachdem sie ihn endlich in die richtige Lage gebracht hatte, griff sie nach dem Gewicht zum Falteneinpressen. Doch die Tochter kam ihr zuvor und nahm ihr das Eisen übermütig aus der Hand. Die Neuigkeit war ihr wichtiger als der Wollstoff.

      »Mutter, stell dir vor, gestern Abend hat mich der junge Herr Miltenberg vom Theater nach Hause gebracht. Er ist ein recht feiner Herr, und, Mutter, er ist wohlhabend, so reich, reich«, sprudelte es aus ihr heraus.

      Jubelnd umfasste sie die Hüften der Mutter und schwenkte sie einmal im Halbkreis herum. »Ach Mamachen, deine Finger werden nie wieder zerstochen sein. Sonntags werden wir, in Samt und Seide gekleidet, in den Parks spazieren gehen und uns auf großen Festlichkeiten bewundern lassen. Wir werden Pferde haben, eine eigene Kutsche und ein großes Haus. Oh, wie werden uns die Nachbarn um dieses Glück beneiden und erst meine Freundinnen.« Von Gefühlen für den Herrn Miltenberg sprach Gesche dabei nicht, bis Margarethe sie mit den Worten aus ihren Träumen riss: »Es ist wichtig, dass ihr immer Brot habt. Aber Kind, gefallen muss dir der junge Herr auch. Wo bleibt in deinen Träumen die Liebe?«

      Obwohl die Frage etwas unerwartet kam, hatte sie sofort eine Antwort auf den Lippen. Sie ließ die Mutter plötzlich los, sodass diese sich an einer Schneiderpuppe festhalten musste, und antwortete ihr ungeduldig: »Die wird sich mit der Zeit schon einstellen. Warum sollte ich einen Mann nicht lieben lernen, der mir Glück und Reichtum verspricht.«

      Einen Augenblick lang beobachtete sie schweigend die Wirkung ihrer Worte, bevor sie sich sogleich wieder lachend und trällernd ein fertiges Kleid einer Schneiderpuppe über den Kopf zog. »Wie steht mir das?«, fragte sie und drehte sich damit kokett vor dem Spiegel.

      »Gut, mein Kind. Die Farbe passt gut zu deinem blonden Haar und deiner grazilen Figur. Aber hänge das Kleid wieder zurück auf das Podest. Frau Geheimrätin wird sonst nie wieder ein schwarzes Taftkleid bei uns bestellen, wenn du es zerdrückst.« Sie nahm es ihr vorsichtig aus den Händen und stülpte es raschelnd über die weißen Batistunterhöschen. Dann zupfte sie eine Weile schweigsam an den Unterröcken und Volants herum, bis sie in Gedanken äußerte: »Du solltest lieber Weiß tragen, niemals ein Trauerkleid.« Mit den Nadeln im Mundwinkel sah sie Gesche nachdenklich an. Dann stellte sie plötzlich die eigentlich wichtigste Frage: »Bist du dir auch sicher, dass der Herr Miltenberg als Brautwerber beim Vater um deine Hand anhalten wird?«

      Jetzt wich alle Freude aus dem hübschen Mädchengesicht. Wie so oft wollte die Mutter sie wieder einmal nicht verstehen, und die Enttäuschung löste sich in einem Tränenstrom. »Du gönnst mir mein Glück nicht, Mutter. Nie gönnst du mir etwas. Aber ich bin ja auch nicht Christoph, den du im Herzen mehr liebst als mich«, schluchzte sie und stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Wie kannst du überhaupt solche Bedenken hegen. Natürlich wird Gerhard Miltenberg beim Vater vorsprechen. Er hat es mir versprochen.«

      »Was hat denn meine Liebe zu Christoph mit deinem Glück zu tun, Gesche«, wendete Margarethe geduldig ein. »Du weißt genau, dass er, seit er in die weite Welt hinausgezogen ist, allzu schnell der verblendenden Lust und Verführung verfallen ist. Alle unsere von Tränen und blutenden Herzen erfüllten Briefe, die ihn in ein ordentliches Leben zurückholen sollen, erreichen ihn nicht, nur für die Taler, die wir ihm schicken, hat er eine


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