Bruder Brahim II. Michael Ibrahim
Band dargestellt habe, in irgendeiner Weise verletzen oder schmälern kann.
Es ist auch in deren Weltbild widersprüchlich, denn dem Göttlichen allein obliegt es zu richten und den Todesengel7 zu entsenden, der für diese Aufgaben zuständig ist.
Eine andere Quelle für Aggression ist angestauter Frust und Ignoranz. Wenn man selbst von sich und vom Leben gelangweilt ist, wächst der Frust von Tag zu Tag und es steigt das Risiko, dass sich die Energie staut und sich plötzlich einen Weg bricht. Hier hilft es nur, einen Weg einzuschlagen, bei dem man nicht stehen bleibt, sondern man sich aktiv öffnet, um zu suchen, sich vom Leben verzaubern zu lassen und Weisheit zu erlangen. Diese Ursache lässt sich einfacher beheben als das Feststecken in einem überkommenen Paradigma. Im Kapitel 3 werde ich darauf noch näher eingehen.
Welch starke Gefühle es in den Menschen entfesselt, wenn man ihr Paradigma zerstört, kann man also auch in unserer angeblich so aufgeklärten und säkularisierten Welt noch beobachten. Nicht zuletzt erkennt man dies auch an dem aktuellen Rechtsruck in vielen Nationen, mit dem Menschen sich erhoffen, ihr lange gekanntes Paradigma zu erhalten und jegliche Veränderung zu verhindern. Aber der Weise erkennt, dass dies nicht in unserer Hand liegt und man die Entwicklung nicht anhalten kann. Die Argentinier drücken es so aus:
Vivir es cambiar! - Leben bedeutet Veränderung!
1.6 Die Kriege der Gegenwart
Bei meinen vielen Aufenthalten in Brasilien und dem langen Aufenthalt in Argentinien, die ich in Band I ausführlicher geschildert habe, stieß ich immer wieder auf Erinnerungen aus den Militärdiktaturen in diesen Ländern. Im Regierungsviertel in Buenos Aires erinnern die Madres de la Plaza de Mayo an die ca. 30.000 in den Jahren 1976-1983 Verschwundenen, die Desaparecidos, die ihre Männer und Söhne waren. Jede der Frauen hat ihre eigene traurige Geschichte zu erzählen, die nicht in Vergessenheit geraten soll, auch wenn sie schon lange nicht mehr daran glaubt, dass sie jemals erfahren wird, was damals passiert ist. Mich hat das sehr betroffen gemacht, diese Frauen mit dem weißen Kopftuch und den Bildern ihrer Lieben im stummen Protest um den Platz kreisen zu sehen.
Auch in Brasilien gab es in den 60ern instabile Zeiten, als sich die Nachfolger von J. Kubitschek, nämlich die Präsidenten da Silva Quadros und Goulart darin versuchten, die Wirtschaft zu stabilisieren und sich aus der Abhängigkeit von den USA zu befreien. Wie es die freigegebenen Dokumente aus dem National Security Archive der USA belegen, half im Jahre 1964 die CIA im Auftrag von Präsident L. Johnson den brasilianischen Präsidenten aus dem Amt zu putschen und eine Militärregierung zu installieren [13]. Kein Wunder, dass ich bei allen Aufenthalten gespürt habe, dass auch die Südamerikaner nicht gut auf die USA zu sprechen sind. Die Militärdiktatur dauerte in Brasilien bis ins Jahr 1985. Aber immerhin wurden die Greueltaten unter den Präsidenten Lula da Silva und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff aufgearbeitet, so dass im Abschlussbericht aus dem Jahre 2014 Täter und Opfer benannt werden konnten.
Auch in Europa gab es noch Ende des Jahrtausends eine Serie von Kriegen auf dem Balkan, die den Zerfall des damaligen Jugoslawien zu Folge hatten. Es handelte sich um den 10-Tage-Krieg in Slowenien (1991), den Kroatienkrieg (1991-1995), den Bosnienkrieg (1992- 1995), den kroatisch-bosniakischen Krieg (1992-1994) im Rahmen des Bosnienkriegs, den Kosovokrieg (1999) und den albanischen Aufstand in Mazedonien (2001). Auch im Verlauf dieser Kriege wurden Massaker verübt sowie Menschen gequält und verschleppt. Hier folgte eine Aufarbeitung, in der hauptsächlich serbische Generäle wie etwa Milosević vom UN-Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermords angeklagt wurden. Im Juli 1995 wurde an 8000 muslimischen Bosniaken das sog. Massaker von Srebrenica unter dem Kommando von Ratko Mladić und anderen Kommandeuren trotz Anwesenheit von Blauhelmsoldaten verübt. Es sind nicht die einzigen Massenverfolgungen von Muslimen in der jüngsten Geschichte. Zu nennen wäre noch der Genozid an den Rohingya in Myanmar 2017, bei dem 24.000 Muslime getötet und tausende von Frauen vergewaltigt wurden. Außerdem traf es die Uiguren in China, von denen zwischen 120.000 und 3 Mio. in Umerziehungslagern inhaftiert sind, weil sie mit der rigiden Politik der chinesischen Regierung nicht einverstanden waren. Doch noch heute schockt mich die Tatsache, dass es zu dieser Zeit schon moderne Medien und Friedenstruppen gab und dies alles trotzdem in Europa möglich war.
Wenn man heute im Urlaub auf dem Balkan unterwegs ist, kann man sich kaum mehr vorstellen, dass dort noch vor zwanzig Jahren ein Krieg tobte. Und leider kam ich mit den Menschen dort nicht tief genug ins Gespräch, so dass sie ihre authentischen Erinnerungen hätten teilen können. So bleiben nur die Bilder der Tagesschau vor zwanzig Jahren, die an diesen Krieg erinnern.
Im Dezember 2010, als wir gerade unsere Rückübersiedlung nach Deutschland vorbereiteten8, startete eine Serie von Protesten in der arabischen Welt , die vielen Muslimen die Hoffnung bescherten, dass die politischen Systeme in ihren Ländern verbessert würden. Wir sahen in Argentinien meist die Nachrichten der Deutschen Welle, welche die Proteste in Ägypten gegen Hosni Mubarak ausführlich zeigten. Uns war klar, dass diese sich auf viele arabische Länder ausdehnen würden. So gab es schon ein paar Monate später auch in Syrien Proteste gegen den Präsidenten Bashar el Asad, die nach und nach in den nun schon seit achtzehn Jahren andauernden Krieg mündeten, in dem der Islamische Staat groß werden konnte und später durch das Eingreifen der Supermächte zerschmettert wurde. Den Schätzungen der Vereinten Nationen zu Folge wurden in diesem Krieg über 400.000 Menschen getötet und Millionen von Menschen sind geflohen. Sie gingen in die Türkei, den Libanon, aber auch bis zu uns nach Deutschland, so das auch wir zwei Familien betreut haben, bis sie einigermaßen auf eigenen Beinen standen. Dieser Konflikt ist mit dem Abzug der US-Truppen und dem Einmarsch der Türkei weiterhin offen. Der islamische Staat scheint zwar besiegt, aber die Kurden fordern nach wie vor ein hohes Maß an Autonomie, wenn nicht sogar einen eigenen Staat, und fühlen sich nun vom Rest der Welt verraten. An Frieden ist hier noch lange nicht zu denken.
Der letzte noch heiße Konflikt ist der Krieg in der Ukraine, der schon seit dem Jahre 2014 wütet. Grob gesagt kämpfen dort prorussische Kräfte für die Abspaltung der zwei durch sie proklamierten Volksrepubliken Donezk und Luhansk von der Ukraine. In der Öffentlichkeit versucht man die russische Unterstützung zur Annexion der beiden Republiken geheim zu halten, genauso wie die Unterstützungen zur Annäherung der Ukraine an den Westen, aufgrund Präsident Viktor Janukowitsch, der nach heftigen Protesten auf dem Maidan, die angeblich auch von CIA-Agenten unterstützt worden waren, das Land verlassen musste. Im März 2014 annektierte Russland zudem die Halbinsel Krim, die von herausragender militärischer und strategischer Bedeutung ist und nach Meinung der Russen sowieso die meiste Zeit zu Russland und erst seit 1991 zur Ukraine gehört hatte. Auch dieser Konflikt ist noch nicht ausgestanden und bereitet der aktuellen Politik noch viele Sorgen. Russland ist verärgert und zeigt immer weniger Gesprächsbereitschaft bei Kritik aus dem Ausland und sieht bereits das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine als Bruch der Vereinbarung, dass die Ukraine neutrales Territorium sei. Auf die verschiedenen Sichtweisen auf diesen Konflikt werde ich in Kapitel 4.6 noch einmal genauer eingehen.
Droht uns wieder ein neuer flächendeckender Krieg in Europa oder verhindert das große Waffenarsenal aller beteiligter Staaten, dass es zu einem heißen Krieg kommt? Setzt man vielleicht auf einen Wirtschaftskrieg, der dem Westen einen Vorteil brächte, oder einen Cyberkrieg, wie ihn die Industriestaaten wahrscheinlich schon begonnen haben? Was werden wir und unsere Kinder noch in den nächsten Jahre erleben? Werden die in Deutschland stationierten nuklearen Sprengköpfe der USA irgendwann einmal Geschichte sein? Was wird mit den 1,6 Millionen Tonnen Kriegsmunition und Giftgasfässern passieren, die von den Alliierten in der Nord- und Ostsee nach dem Krieg in Windeseile entsorgt wurden? Werden wir weiter akzeptieren müssen, dass Supermächte in aller Welt mitmischen und Stellvertreterkriege führen? Wird die bisher längste Friedensepoche in Europa bald ein Ende haben und die Spirale der Gewalt sich erneut drehen? Oder werden wir irgendwann alle diese Altlasten des Zeitalters des Krieges los sein und erleben, wie die Menschheit langsam aus ihrem Tiefschlaf erwacht?
Wir sollten alle dazu beitragen, dass Letzteres geschieht, denn alles andere wäre verheerend für die Menschheit, aber auch für das ganze Ökosystem Erde, das wir vor uns selbst retten müssen! Um es in den Worten der Hippies der 70er-Jahre auszudrücken:
Make Love, not War!
oder, wie