Bruder Brahim II. Michael Ibrahim

Bruder Brahim II - Michael Ibrahim


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nun eine große Überproduktion von Waren, die man verkaufen musste. Der Preis für diesen Aufschwung war, dass die USA weiterhin als Hegemonialmacht die Geschicke in Westdeutschland mitbestimmten und viele Divisionen des US-Militärs auf Militärbasen im Land verblieben. Diese sollten nach der Teilung Deutschlands Westdeutschland vor Angriffen aus der Sowjetunion schützen und erneute faschistische Fehlentwicklungen innerhalb des Landes ausschließen.

      Vor siebzig Jahren, am 08. Mai 1949, wurde dann endlich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet, welches am 23. Mai 1949 in Kraft trat. Es enthielt in Artikel 3, Abschnitt 2 den von Elisabeth Selbert erkämpften, revolutionären Satz:

      Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

      Es war ein erster Schritt zum Aufbau einer neuen demokratisch strukturierten Gesellschaft, ohne Diskriminierungen, korrupte Machenschaften alter Machteliten, staatliche Überwachung, Unterdrückung und Willkürherrschaft. Es schien, als wären alle alten Probleme beseitigt. Zumindest Opa Franz wirkte sichtlich zufrieden, als er mir von diesen Errungenschaften erzählte.

      Dennoch blieb es natürlich nicht weiterhin so friedlich und schon bald wüteten erneut Kriege auf dem Globus. Den oscarprämierten Film Platoon von Oliver Stone aus dem Jahr 1986 sollte jeder einmal gesehen haben, weil dieser Film die Stimmung des Krieges so unglaublich realistisch einfängt und schonungslos seine psychologische Wirkung darstellt. Er beschreibt, wie der junge Chris Taylor, der das College geschmissen hat, sich im Jahre 1967 freiwillig für den Dienst im Vietnamkrieg meldet und dort den blanken Horror erlebt. Die Erlebnisse sind ähnlich wie diejenigen meines Opas in den letzten Tagen des Krieges am Anfang dieses Buches und viel schlimmer als meine Erlebnisse aus den NATO-Manövern in meiner Bundeswehrzeit4, die mich bereits an meine Grenzen brachten:

      US-Soldaten irren in Unterzahl durch den Dschungel, physisch und psychisch am Limit, in der Hoffnung, erfolgreich die verfeindeten Kräfte, die den Kommunismus unterstützen, zu bekämpfen. Ein Offizier erschießt seinen Untergebenen, Sprengfallen explodieren und Napalm-Brandbomben setzen den Urwald in Brand. Schwerverletzt verlassen diesen die Soldaten in regelmäßigen Rettungsaktionen mit Kampfhubschraubern, um dann im Hospital mit vielen anderen unter Schmerzen dahinzuvegetieren.

      Schon der Vietnam-Krieg machte klar, dass es ein neues Problem gab: Die nun militärisch hochgerüstete Macht USA musste ihre Machtposition behaupten und erweitern. Ähnlich wie einst schon im alten Rom unter Caesar oder im preußischen Staat bestimmte nun zunehmend auch das Militär die Politik. Es brauchte neue Aufgaben und bekam auch welche.

      1.4 Der Kalte Krieg

      Wir Deutschen vergessen wohl sehr schnell und schon nach wenigen Jahren wissen wir selbst unsere großen Errungenschaften kaum noch zu schätzen. Im Frühling und Sommer 2017 demonstrierten wir auch in unserer Stadt für den Erhalt eines demokratischen Europas und gegen den neuerdings wieder erstarkenden Einfluss rechter Parteien. Es war schon etwas seltsam für mich, weil ich als Naturwissenschaftler immer versucht habe, mich aus allen politischen Diskussionen herauszuhalten, aber die Diskussion mit der Atombombe geht mir nun doch ständig durch den Kopf. So ziehen wir also mit unseren Trommeln und Transparenten durch die Stadt, vorbei an Leuten, die mir aussehen, als wollten sie uns gleich an den Kragen. Doch keiner traut sich, eine so große Gruppe anzupöbeln. Am Ende halten wir vor dem Wahrzeichen der Stadt und singen lautstark die Europahymne, die ich auf der Trompete begleite. Auf dem Heimweg ist mein Gefühl ganz anders. Mit der Trompete um den Hals laufe ich durch enge Straßen, in denen fast nur ausländische Namen an den Klingeln stehen. Da bekommt Multikulti eine andere Bedeutung und mich befällt das Gefühl von Angst und Befremdung. Ich denke bei mir, dass es nichts bringt, die Ängste von Menschen einfach zu ignorieren und immer nur zu predigen, dass schon alles gut gehen wird. Das führt unweigerlich zu einer immer weiteren Spaltung der Gesellschaft, die zu einem Erstarken von extremen Parteien führt und im schlimmsten Fall in einem politischen Putsch oder einem Bürgerkrieg enden kann. Die Menschen müssen sich gegenseitig besser kennenlernen und der Zusammenhalt muss gestärkt werden, sodass auch die zukünftigen Generationen noch den Frieden in Europa erleben und zu schätzen wissen, der politisch so hart erkämpft wurde.

      Als der Krieg zu Ende war, begann das Wettrüsten zwischen dem Osten, der Sowjetunion, und dem Westen, der NATO. Als Kinder machten wir uns natürlich keine Gedanken darum, warum die Amerikaner noch mit schwerem Gerät in unserer Stadt herumfuhren und warum es hier noch Kampfhubschrauber gab. Regelmäßig zogen Jagdbomber über uns hinweg und erschreckten uns beim Spielen mit ihrem lauten Überschallknall. Wir Jungs fanden das alles cool und spannend, bis ich schon im Kindergarten meine erste Kritikerin kennenlernte, deren Eltern der Umweltbewegung, den sog. Grünen, angehörten. Sie wurde meine Freundin und während wir am Bach spielten und versuchten, irgendwelche verletzte Tiere zu finden und zu retten, erzählte sie mir oft von den Umweltsünden und unnötigen Kriegsausgaben, die die herrschende Klasse zu verantworten habe. Zu jener Zeit lebte ich in meinem katholischen Dorf, wo man eigentlich nur etwas hinterfragte, wenn es einem wirklich zuwider war. Die Winzer und Bauern im Dorf standen im permanenten Konflikt mit den Grünen, die strengere Auflagen für den Weinbau und Ackerbau forderten. Die heutigen Ideen der rein biologischen Produktion, die vor allem den Verzicht auf Kunstdünger, Pflanzenschutzmittel und Unkrautvernichtungsmittel beinhalten, wurden erst in den 70er Jahren nach dem Bericht des Club of Rome [7] geboren. Es dauerte lange, bis sich ein Umweltbewusstsein und ein Gefühl für Nachhaltigkeit etablierten.

      In den Jahren von 1946 bis 1958 hatten die USA auf den Marshall-Inseln mehr als 23 große Kernwaffen gezündet. Als einer der ersten Tests im Rahmen der Operation CROSSROADS wurde auf dem Bikini-Atoll unter dem Codenamen BAKER eine ganze Flotte von ausrangierten Kriegsschiffen, beladen mit Tieren verschiedener Art, der gewaltigen Explosion einer Atombombe mit einer Sprengkraft von 23 Kilotonnen TNT ausgesetzt. Im Jahre 1954 begannen mit der Operation CASTLE erneut Atomtests. Die größte Kernwaffe, die die Welt bis dahin gesehen hatte, eine Wasserstoff-Fusionswaffe, gezündet durch eine kleinere Atombombe, wurde unter dem Codenamen BRAVO ganze 27 Meter unter Wasser gezündet. Sie entwickelte eine infernale Sprengkraft äquivalent zu 15 Millionen Tonnen TNT, die selbst die anwesenden Militärs nicht für möglich gehalten und die Soldaten auf den Beobachtungskreuzern beinahe umgebracht hätten. Wenn ich als Physiker heute diese Bilder im Internet [8] sehe, kann ich mir nicht erklären, wie Menschen einen derartigen Wahnsinn verantworten konnten. In unzähligen Dokumentationen kommt dort ans Licht, was die US-Militärs damals alles verbrochen haben, von der Verseuchung eines friedlichen bewohnten Südseeparadieses über das Töten unzähliger Tiere bis hin zur fahrlässigen Gefährdung der zur Säuberung der Inseln eingesetzten jungen Marine-Soldaten. Verfolgt man außerdem, wie das US-Militär die Bikini-Einwohner mit der Begründung umsiedelt, dass sie eine Verpflichtung der Welt gegenüber hätten, ihre Insel zu verlassen, um es den US-Streitkräften zu ermöglichen, die zerstörerische Atomkraft in etwas Gutes zu verwandeln und hört man, wie die Einwohner antworten, dass es gut ist und sie bereit sind, weil alles in Gottes Händen liegt, so wird außerdem deutlich, dass nicht allein die Muslime ihren Glauben missbraucht haben, um unverantwortliches und gottloses Handeln zu rechtfertigen. Doch der Wahnsinn ging noch weiter.

      Auf sowjetischer Seite arbeitete ein Team um Andrei Sacharow an der Entwicklung der Wasserstoff-Fusionsbomben, so dass 1953 die erste Bombe gezündet werden konnte. Er war überzeugt, dass nur ein nukleares Gleichgewicht die Zerstörung unseres Planeten noch verhindern konnte. Doch schon 1955 setzte bei ihm ein Umdenken ein. Währenddessen waren die US-Militärs immer noch besessen von der Idee, die Sowjetunion zu bezwingen. Sacharow wollte, dass die Kernwaffentests möglichst schnell eingestellt werden, weil sie eine große Zahl an Menschenleben gefährdeten. Er hatte verstanden, wie das alles ein Ende haben könnte. Deshalb arbeitete er an der größten Wasserstoff-Fusionsbombe mit, die jemals auf der Welt gezündet wurde, an der RDS-220, Kosename Zar-Bombe. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Nikita Chruschtschow, wollte die Amerikaner mit einer transportablen 100 Megatonnen-Bombe zur Demut zwingen, damit klar wäre, dass die Sowjetunion in der Lage wäre, Washington DC komplett auszuradieren. Doch Sacharow gelang es, Chruschtschow zu überzeugen, die Sprengkraft auf unter 60 Megatonnen zu begrenzen.

      Am 30. Oktober 1961 detonierte


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