Bruder Brahim II. Michael Ibrahim
wurden zwar von der japanischen Luftraumüberwachung entdeckt, aber der Alarm wurde aufgehoben, weil man sie nur für eine Aufklärungspatrouille hielt. Jene Uran-Bombe namens Little Boy, die Paul Tibbets in der Enola Gay ins Ziel flog, war erst während des Fluges in mehreren Montageschritten scharf gemacht worden. Tibbets warf um 8: 15 Uhr in etwa zehn Kilometern Höhe die Bombe direkt über Hiroshima ab und startete sofort das Wendemanöver, um dem Höllenfeuer und der Druckwelle zu entkommen. Er hatte genau eine Minute, dann explodierte Little Boy planmäßig in 600 Meter Höhe und radierte unter ihm Hiroshima von der Landkarte!“
Für einen Moment war es totenstill in der Klasse! Alle Jungs und Mädels schauten mich entsetzt an, teils mit Tränen in den Augen. Ich konnte ihre Gedanken lesen: „Wie können Menschen so etwas tun? Diese Tat hat so viele Zivilisten auf einen Schlag getötet, darunter auch Kinder wie wir.“
Nach etwa zehn Sekunden in Stille sagte ich: „Es geschah aus einer ganz anderen Denkweise heraus! Es war seit Jahren Krieg und täglich fielen tausende von Menschen. Ein Menschenleben schien nichts mehr wert zu sein, schon gar nicht das der Gegner. Durch die Kriegspropaganda nahm man den Soldaten der gegnerischen Seite gar nicht mehr als Menschen wahr, sondern als gefährliche Kampfmaschine. Die Militärs wussten, dass es nicht nur die in Hiroshima stationierten Soldaten das Leben kosten wird, sondern auch die Zivilbevölkerung jeglichen Alters. Ursprünglich wurde darüber diskutiert, ob man diese Bombe zur Abschreckung über unbewohntem Gebiet abwerfen solle, um Stärke zu demonstrieren, entschied man sich für eine Stadt, in der nur wenige amerikanische Gefangenen waren!
So kam es also für die Japaner zu der für sie undenkbaren Situation, dass der Tenno selbst die Kapitulation verkündete - der Mythos der Unbesiegbarkeit Japans war gebrochen! Dennoch verschonten die Amerikaner den Kaiser und verurteilten statt dessen nur seine Generäle. Es wurde niemals untersucht, ob der Abwurf der Atombombe als Kriegsverbrechen einzustufen ist. Zum einen wegen der ungeheuren wirtschaftlichen und militärischen Macht der USA und zum anderen aber hatten die USA ein Veto-Recht in der neu gegründeten UNO.“
So wurde aus der Physikstunde mehr eine Stunde mit politischen Themen, aber das war gut so, denn die Frage nach der Verantwortung von Naturwissenschaftlern und Technikern wird trotz ihrer essentiellen Bedeutung fast nie gestellt. Viele Menschen in unseren Tagen sprechen von den Verbrechen der militärisch-industriellen Machtelite, die sich aber nur ungenau definieren lässt. Letztendlich sind wir alle verantwortlich, die aktuelle Denkweise, das sog. Paradigma zu überprüfen und den Wahnsinn in unserer Zeit zu stoppen, vom Klimawandel bis zu autonomen Waffensystemen. Die Wirkungen unseres Handelns werden immer gewaltiger, so dass wir jetzt darüber nachdenken müssen, welche Auswirkungen unser Handeln für viele weitere Generationen hat. Hierzu empfehle ich besonders, die Ausführungen des jüdisch-deutschen Philosophen Hans Jonas zu lesen, der sich schon vor einigen Jahren darüber intensiv Gedanken gemacht hat [5].
„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Hans Jonas
Endlich war es so weit! Es war Herbst geworden und die endlose Vorbereitung des Japanaustauschs neben den schon alleine anstrengenden Stunden in der Mittelstufe und Oberstufe lag hinter mir. Die Anspannung war riesig und alles war akribisch vorbereitet, inklusive der Geschenke für jeden der Gastgeber. Ich hatte das große Glück, durch das Aikido die japanische Kultur etwas zu kennen und zu wissen, dass den Japanern die Verpackung ebenso wichtig ist wie der Inhalt des Geschenks. So konnte ich zum nötigen Feinschliff beitragen und den ausgewählten Schülern beibringen, wie man in Japan Geschenke überreicht.
Der Flug ging über Nacht und im Sonnenaufgang erblickten wir beim Anflug bereits den Berg Fuji. Die fehlenden Stunden, die wir aufgrund unseres Fluges gegen Osten verloren hatte, steckten uns noch in den Knochen. Müde wechselten wir das Flugzeug und landeten nach einigen Stunden schließlich in Hiroshima, welches direkt am Meer liegt. Schon von oben sieht man die Stadt umrandet von Bergen mit ihren vielen Flussläufen und den Inseln Ninoshima, Miyajima und Etajima im Seto-Binnenmeer. Wüsste man nicht, dass sie einmal völlig zerstört gewesen war, würde man nichts Besonderes vermuten. Angekommen am Boden zeigt sie sich als weitläufig mit vielen Grünflächen und dem Friedenspark gleich in der Mitte.
Die Frage, wie man hier mit der Erinnerung an das schreckliche Ereignis des Krieges umgeht, wird uns schon gleich am ersten Tag und später erneut beim Besuch des Friedensparkmuseums beantwortet:
Die Zerstörung ist im Alltag jedes Einwohners und Besuchers präsent, in dem Gebäude, welches die Bombardierung überstand und mit seinem verrosteten und zerstörten Kuppeldach ein Mahnmal ist, in dem Feuer, das für die Ermordeten in der Im Hintergrund das einzig verbleibende Gebäude aus Kriegszeiten, ein großer See und unter dem Torbogen brennt ein ewiges Licht in Gedenken an die Opfer der ersten Atombombe in der Geschichte der Menschheit.
Das Friedensdenkmal am Ground Zero in Hiroshima/Japan
Mitte des Parks brennt, und in den vielen Bildern und Ausstellungsobjekten im Friedensmuseum, welches eine ähnlich erdrückende Wirkung hat wie ein Besuch auf den Massengräbern in Frankreich oder in einem Vernichtungslager. Als spiritueller Mensch spürt man die Energie des Todesengels und die Erinnerung an den Aufschrei der Seelen, die so plötzlich diese Welt verlassen mussten. Deswegen bin ich auch nicht dafür, Besuche an solchen Orten für Kinder verpflichtend zu machen. Es liefen ganze Grundschulklassen durch das Friedensmuseum und schauten sich Bilder von verbrannten Leichen an, bei deren Anblick selbst Erwachsene zusammenzuckten.
Aber eine Frage blieb noch: „Hassen die Japaner die Amerikaner für diese Tat?“ Ich entschied mich, dies den japanischen Physik-Kollegen bei einer privaten Einladung zu fragen, denn es ist unüblich, in Japan öffentlich über solche Dinge zu reden. Die Antwort war sehr ehrlich und gleichermaßen unerwartet:
„Wh- Japaner haben den Amerikanern verziehen, dass sie uns das angetan haben. Es sollte wohl so kommen und der einzige Sinn, den man in diesem Akt der Vernichtung sehen kann, ist die laute Erinnerung und Mahnung an die ganze Welt, dass das Krebsgeschwür des Faschismus niemals mehr so wuchern darf, dass es ganze Nationen vergiftet.“
Diese Erkenntnis verbindet uns Deutsche mit den Japanern und besonders heute, wo wir in vielen Ländern einen starken Rechtsruck erleben, müssen wir jeden Tag darum kämpfen. Trotz dieser Erkenntnis gab es auch schon in meiner Jugend Momente, in denen es fast zu einem dritten Weltkrieg gekommen wäre.
1.3 Das Kämpfen geht weiter
Nach dem Lesen des Kriegstagebuchs meines Opas und meinen Erfahrungen über Hiroshima drängt sich mir die Frage auf:
„Wenn die Menschheit doch bereits zwei fatale Weltkriege erlebt hat, wieso toben heute weiterhin Kriege auf der Welt?“
„Nach dem zweiten Weltkrieg“, so erzählte mir damals Opa Franz, „waren alle unendlich glücklich, dass der Wahnsinn vorbei war. Alle Bürger mühten sich redlich um einen friedlichen Umgang untereinander und vor allem die sogenannten Trümmerfrauen setzten alles daran, in den zerbombten Städten die Trümmer zu verwerten und den Neuaufbau voranzutreiben. Viele ihrer Männer waren ja gefallen oder aufgrund von schweren Verletzungen arbeitsunfähig.“ Opa war körperlich noch nahezu unversehrt. Er ging zusammen mit anderen Männern zum Steinbruch in der Nähe unseres Dorfes und brach dort Steine aus den Sandsteinfelsen, zum Wiederaufbau der Häuser. Bereits während seiner amerikanischen Kriegsgefangenschaft in Versailles musste er in einem Arbeitskommando als Wiedergutmachung die französischen Autobahnen und Straßen reparieren. Bei seinem Weihnachtsbesuch 1947 reiste er zum letzten Mal mit dem Zug von Versailles nach Frankfurt und kam von der amerikanischen Besatzungszone in die Heimat, die französische Besatzungszone war. Fortan war er für seine Familie da. Am 3. April 1948 wurde dann der Marshallplan vom US-Kongress verabschiedet, ein Konjunkturpaket, welches nicht nur der US-Wirtschaft selbst, sondern auch der immer noch notleidenden und hungernden Bevölkerung Europas zugute kam und Deutschland den wirtschaftlichen Aufschwung bis in die 90er Jahre bescherte.
Der Marshallplan war nicht uneigennützig, denn die USA befürchteten, dass die Ideologie des Kommunismus sich von der Sowjetunion, die