Die Rache des Waschbären. Christian Macharski
an einer Stange hochhielt. Der schlechte Klang der Box machte aus der ohnehin schwer verständlichen Sprache von Kuttrapalli ein groteskes Klangexperiment. Während dieser außergewöhnlichen Performance wies der Bestatter die Träger an, den Sarg mit den bereitliegenden Gurten anzuheben. Dann zog er die beiden Bretter heraus und die Männer ließen den Sarg langsam in die Gruft gleiten. In dem indisch-deutschen Kauderwelsch fiel plötzlich der Name „Wilhelm Hastenrath“ und der Ortsvorsteher trat nach vorne, um sich neben den Pastor zu stellen. Er wird doch wohl nicht, dachte Kleinheinz. Doch noch bevor er seinen Gedanken zu Ende gedacht hatte, hatte Will schon das Sprechfunkgerät ergriffen und mit seiner unverkennbar rauen Stimme hineingehustet. Nach dem Abklingen der obligatorischen Rückkopplung begann er zu sprechen: „Liebe Trauergäste und Trauer… öhm … Trauerfrauen. Wir haben uns heute hier versammelt, für ein Mann die letzte Ehre zu erweisen, der viel für unser Dorf getan hat. Theo Jaspers hat sein Leben lang hart gearbeitet und so weiter. Das hat Pastor zwar eben in seine Predigt auch schon alles erzählt, aber ich denke, nicht jeder hat das verstanden. Gerade die Auswärtigen haben sich ja noch nicht an dem sein komischer Akzent dran gewöhnt. Aber ich möchte diese Gelegenheit auch benutzen, für hier mal öffentlich in meine Funktion als Pfarrgemeinderatsvorsitzender eine Lanze zu zerbrechen für der Pastor Kuttratrapalli, oder wie der heißt, hier neben mir.“ Jovial legte Will dem Gottesmann die Hand auf die Schulter, der dazu breit grinste. „Dieser Mann“, fuhr Will fort, „ist gebürtig aus Mumbai bei Bombei. Und der hatte es bestimmt nicht leicht, nachdem der vor einem Jahr hier dem sein komischer Vorgänger abgelöst hat – Rodrigo Gonzales. Der war ja mit vier Kirchengemeinden total überfordert und wollte so schnell wie möglich zurück nach Afrika. Aber ich glaube, mittlerweile hat unser indischer Freund sich sehr gut eingelebt in unsere Gemeinde. Ich hatte zwar am Anfang auch starke Vorbehalte, aber ich denke, der Protestbrief ans Bistum war nur eine kleine Überreaktion von mir. Denn man darf nicht vergessen: Gerade als Indier hat man es nicht leicht, wenn man aus ein Entwicklungsland in ein modernes südeuropäisches Land kommt. Aber zurück zu Theo Jaspers, wegen dem Sie ja alle hier sind. Abgesehen von die, die nur hier sind, für zu gucken, wer sonst noch hier ist, beziehungsweise die ganzen Ommas, die sowieso zu jede Beerdigung gehen. Das alles soll aber heute egal sein. Wir verneigen uns in diesem Moment vor Theo Jaspers, der bekannt war für sein nicht ganz jugendfreier Humor und seine lockeren Sprüche, vor allem, wenn der was getrunken hatte. Und in diesem Sinne, lieber Theo, möchte ich dir zum Abschied dein Lieblingssatz zurufen: Halt die Ohren steif!“
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Freitag, 9. September 2011, 12.06 Uhr
Der Inhaber und Namensgeber der Gaststätte Harry Aretz hatte den großen Saal feierlich für den Beerdigungskaffee hergerichtet. Die schweren Holzstühle hatte er mit einem feuchten Lappen abgewischt, die Biertische mit Krepppapier umwickelt und die Aschenbecher ausgeleert. Kleine gedrehte Pappröschen verliehen dem Anlass einen würdevollen Rahmen. Harrys extra engagierte Aushilfskellnerinnen waren unter der Anleitung der alten Haudegen Dirk und Dose dabei, die Tische mit dem guten Geschirr einzudecken und die Alufolie von den Tabletts mit den aufgetürmten belegten Brötchen zu entfernen. Zwischen den mit Käse belegten und mit Mett geschmierten Brötchenhälften standen Kuchenplatten mit einer ansprechenden Auswahl feinster Sahnetorten. Es war für alles gesorgt und Anneliese Jaspers hatte ganz offensichtlich an nichts gespart. Lediglich der Zigarettenqualm, der schwer in der Luft lag, irritierte Peter Kleinheinz, als er zusammen mit Hastenraths Will und einem ganzen Schwung Besucher als Erster den Saal betrat. Er deutete auf das Kellnerpersonal, wovon fast jeder rauchte, und fragte: „Gilt in der Gastronomie nicht schon längst ein Rauchverbot?“
Hastenraths Will zog seinen schwarzen Mantel aus und hängte ihn an den Garderobenhaken neben der Tür. Darunter kam tatsächlich sein übliches Outfit zum Vorschein: das karierte Hemd, die graue Arbeitshose mit den zerfransten Hosenträgern sowie die Gummistiefel. Aus der Innentasche seines Mantels fummelte er eine Zigarre heraus, die er sich mit großer Geste anzündete, bevor er antwortete: „In der Gastronomie vielleicht. Aber doch nicht hier in Saffelen, bei Harry Aretz. Das wär ja noch schöner. Wir lassen uns doch nicht von die da oben vorschreiben, wie wir unsere Freizeit verbringen sollen. Jedenfalls nicht so lange, wie ich Ortsvorsteher bin. Komm, wir setzen uns was an die Theke, bis die anderen kommen.“ Kleinheinz folgte ihm zum Tresen, wo sie auf Barhockern Platz nahmen. Direkt neben ihnen machte ein Merkur-Spielautomat ziemlichen Lärm. Davor saß ein pausbäckiger Mann mit rötlichem Haarkranz, der mit seiner Hand immer dann das mittlere Sichtfeld zuhielt, wenn die Rollen mit den Glückssymbolen rotierten. Dazu musste er seinen kurzen Arm ganz durchstrecken, weil sein Bauch einen natürlichen Abstand zum Spielgerät herstellte. Auf einer Ablage neben dem Automaten standen ein überquellender Aschenbecher und ein Glasstiefel voller Bier, an dem der Mann zwischendurch hoch konzentriert nippte.
„Was wollt ihr trinken?“, fragte ein mürrischer Harry Aretz, ohne aufzusehen, während er fachmännisch mehrere Biergläser unter dem Strahl der Zapfanlage vorbeiwandern ließ.
Will überlegte kurz. „Für mich ein Herrengedeck und für der Peter hier …“ „Für mich bitte ein Wasser“, sagte Kleinheinz schnell. Erst jetzt hob Harry den Kopf und runzelte die Stirn. „Diiirk“, brüllte er quer durch den Saal, „guck mal nach, ob wir noch eine Kiste Wasser im Keller haben!“
Fredi Jaspers hatte seine Mutter in die Obhut ihrer Freundinnen, der katholischen Strickfrauen, gegeben und sich Borowka und Rita angeschlossen, mit denen er nun den Saal betrat. „Wie geht es dir, Fredi?“, fragte Rita ernsthaft besorgt und legte ihm mütterlich die Hand auf die Schulter. Die Ehefrau von Richard Borowka war für ihre Verhältnisse dezent geschminkt. Lediglich der pinke Nagellack auf ihren falschen Fingernägeln wirkte etwas deplaziert. Ansonsten trug sie ein schwarzes Kostüm und hatte ihre blonde Dauerwellenmähne züchtig zusammengesteckt. Borowka und Fredi trugen schwarze Anzüge und waren sich auf dem Weg in die Kneipe vorgekommen wie die Men in Black. Da sie von ihren Fußballkollegen begleitet wurden, war auch die Illusion von menschgewordenen Aliens perfekt. Fredi hatte seinen Anzug vor vielen Jahren anlässlich eines Tanzkursus gekauft, zu dem er von Martina überredet worden war. Er hatte ihn bisher nur ein einziges Mal getragen, da er sich gleich in der ersten Stunde einen Bänderriss zugezogen hatte. Fredi fühlte sich einigermaßen unwohl in dem Anzug, weil er seit damals knapp fünf Kilo zugenommen hatte. Er erweiterte unauffällig seinen Gürtel um ein Loch, während er Rita antwortete: „So lala. Ich mein, so auf dem Friedhof war das natürlich noch mal so richtig schlimm. Aber jetzt geht es schon wieder. Und in die letzten Tage war ich ja fast nur damit beschäftigt, die Beerdigung zu organisieren. Aber Mutter geht es nicht besonders gut.“
„Fredi, auch ein Bier? Ich hol mal eine Runde für die Jungs. Helf mir mal tragen, Rita“, kommandierte Borowka.
„Ja klar“, antwortete Fredi, „ein Bier ist jetzt genau das Richtige. Ich geh mal nach hinten zu mein Onkel.“
Borowka hob den Daumen und zog Rita an der Hand hinter sich her zur Theke. Er postierte sich neben Hastenraths Will, weil er dort die besten Aussichten vermutete, vom eifrig zapfenden Harry Aretz bemerkt zu werden. Der Ortsvorsteher schien in ein sehr wichtiges Gespräch mit Kommissar Kleinheinz vertieft zu sein, denn die beiden hatten die Köpfe eng zusammengesteckt und tuschelten angeregt miteinander. Borowka schlug dem Landwirt auf die Schulter und sagte anerkennend: „Sehr gute Rede!“ Will und Kleinheinz zuckten hoch und sahen den Vorstopper der Saffelener Fußballmannschaft überrascht an. Kleinheinz konnte trotz des Lobs für die Grabrede keinerlei Ironie in Borowkas Stimme erkennen. Dafür fielen ihm ein Pflaster auf dessen Stirn und eine aufgeplatzte Lippe auf. „Was ist denn mit Ihrem Gesicht passiert?“, fragte er interessiert.
Borowka tippte mit seinem Finger leicht aufs Pflaster. „Ach das. Nix Besonderes. Wir hatten gestern in Himmerich eine kleinere Meinungsverschiedenheit mit die Uetterather. Die waren der Udo doof gekommen. Das haben die aber nachher eingesehen. Wenn Sie wissen, was ich damit andeuten will.“ Borowka lachte dreckig. Rita verdrehte die Augen. „Komm, bestell und lass der Herr Kleinheinz in Ruhe. Du siehst doch, dass der sich mit der Will am unterhalten ist“, drängte sie ihren Mann.
„Ja, ja“, Borowka drehte sich zur Theke. „Harry, mach uns mal zwölf Mal Herrengedeck und eine Asbach-Cola für mich als Wegzehrung bis hinten.“ Borowka