Der Tango des Todes. Christian Macharski

Der Tango des Todes - Christian Macharski


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einzureißen, Durchbrüche zu schlagen, Böden zu entfernen, Fliesen zu legen und den Schutt anschließend im Uetterather Waldsee zu entsorgen. Neben einigen Freunden aus seinem alten Fußballverein war es vor allem sein bester Kumpel Richard Borowka, der ihn nahezu täglich bei den Sanierungsmaßnahmen unterstützte.

      Fredi legte die Tapezierbürste zur Seite. Er wischte sich die Hände an seinem weißen Maleroverall ab und rief: „Komm Borowka, Päuschen. Sonst wird das Bier schlecht.“

      „Sekunde.“ Borowka schob sich sein aus einer Zeitung gefaltetes Schiffchen auf dem Kopf zurecht und entfernte mit einer Schere sehr akkurat den Tapetenüberstand, sodass der Abschluss bündig mit der Decke verlief. Zufrieden betrachtete er sein Werk und stieg von der Treppenleiter. Als er wieder Boden unter den Füßen spürte, streckte er sich. „So, danach noch ein Zimmer, dann ist dein Playboy Mansion fertig und du kannst dein Bunny einfliegen lassen.“

      „Mein was?“ Fredi zog zwei Flaschen Bitburger aus einer Kühlbox, öffnete sie mit seinem Feuerzeug und reichte Borowka eine.

      „Firma dankt“, sagte Borowka und leerte mit einem einzigen Schluck die halbe Flasche. Nach einem kurzen Aufstoßen sagte er: „‚Playboy Mansion‘ – so sagt man doch für die Villa von diesem Playboy-Erfinder, hier: Hutsch Hefner. Da, wo der wohnt mit seine ganzen Silikonhasen.“

      Fredi lachte. „Von wegen Playboy. Mit die Sabrina ist es mir absolut ernst. Aber mal was anderes, Borowka. Tausend Dank, dass du mir jeden Tag geholfen hast. Ohne dich hätte ich das nie geschafft. Ich hoffe, du hast dafür nicht dein ganzer Jahresurlaub draufgehunzt?!“

      „Bin ich bekloppt“, tönte Borowka und nahm auf einem Mäuerchen Platz. „Ich hab mich von der Doktor Hoppe krankschreiben lassen wegen Halsschmerzen. Du weißt doch selbst, dass man bei Oellers nur 14 Tage Urlaub im Jahr kriegt. Sei bloß froh, dass du da damals die Biege gemacht hast. Hast du eigentlich schon ein neuer Job?“

      Fredi drehte einen leeren Bierkasten um und setzte sich ebenfalls. Nachdenklich knibbelte er am Bitburger-Etikett auf seiner Flasche herum und sagte: „Nee, leider nicht. Ich versteh das überhaupt nicht. Bloß Absagen bisher, dabei habe ich ein Top-Zeugnis. Ein Eisen habe ich aber noch im Feuer, und zwar bei ‚Auto Kohlmeier‘. Die suchen ein junger, cleverer, gut aussehender Mitarbeiter für an der Ersatzteilausgabe. Mit andere Worte: Die suchen mich! Und das sieht auch sehr gut aus. Das sind nämlich die einzigsten, die mir bisher noch keine Absage geschickt haben. Aber eins sag ich dir: Eher friert die Hölle zu, als dass ich nochmal bei Auto Oellers anfange. Na ja, noch habe ich ja ein bisschen Kohle. Meine Mutter hat mir was gegeben für der Umbau. Aber so Geld zerfließt einem ja zwischen die Finger wie ein Stück Sand.“

      „Wem sagst du das?“, entfuhr es Borowka. Er biss sich auf die Lippen.

      Aber Fredi hatte ein feines Gespür und registrierte die seltsame Schwingung sofort. „Wieso? Was ist los?“

      Borowka druckste ein wenig herum, bevor er von seiner Misere erzählte. Wenn er es einem anvertrauen konnte, dann seinem besten Kumpel Fredi. „Na ja, du weißt ja, wie schlecht der alte Oellers bezahlt. Und Rita ist ziemlich – wie soll ich sagen? – ziemlich kaufwütig. Die hat unser Dispokredit schon hoffnungslos überzogen mit Möbelund Klamottenkäufe. Aber das eigentliche Problem ist, dass die ganzen Ersatzteile für mein Ford Capri richtig Geld kosten. Der war ja in den letzten Jahren ein paar Mal Totalschaden. Und jetzt steh ich bei Henk mit 5.000 Euro in der Kreide. 2.500 plus Zinsen ...“ Fredi schwante nichts Gutes. Henk Houwechrad aus Geleen genoss einen mehr als zweifelhaften Ruf. Er trug ständig eine Schusswaffe und war dafür bekannt, dass er Kredite auf Vertrauensbasis vergab. Dafür galten er und seine Handlanger aber als nicht gerade zimperlich, wenn es darum ging, die Schulden einzutreiben. Es ging sogar das Gerücht um, dass er einem Fußballkollegen von Fredi und Borowka mal den kleinen Finger abgeschnitten haben soll. Dieser behauptete zwar steif und fest, er hätte den Finger beim Zuschlagen der Autotür verloren, aber alle wussten, dass er bei Henk Schulden gehabt hatte.

      Borowka trank das Bier komplett aus und beendete seinen Satz: „Und nächste Woche Mittwoch ist der Stichtag. Dann will der die fünf Riesen haben. Ich hab aber nix.“

      Fredi starrte seinen Freund entgeistert an. „Ja, sag mal, damit kommst du jetzt um die Ecke? Jetzt, wo das Geld von meine Mutter zu Ende geht. Ich hätte dir doch … Moment. Eine Sache habe ich ganz vergessen.“ Fredi stand ruckartig auf und verließ den Raum. Nach ein paar Minuten kehrte er zurück und hielt Borowka wortlos ein rosafarbenes Sparschwein hin, mit der Aufschrift: „Für unser gemeinsamer Traum.“

      Borowka betrachtete das grinsende Schwein und sah Fredi dann mit großen Augen an. „Sag mal, bist du schwul geworden, oder was? Was soll das hier werden?“

      „Jetzt nimm schon“, Fredi schüttelte das Sparschwein. „Da drin sind etwas mehr als 5.000 Euro. Das ist das ganze Geld, was ich in Berlin gespart habe. Das war eigentlich für eine Hochzeitsreise mit Sabrina gedacht, falls die mein Heiratsantrag annimmt. Das leih ich dir.“

      Borowka erhob sich und trat empört einen Schritt zurück.

      „Sag mal, tickst du noch sauber? Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass jemals eine Frau dich heiraten würde, würde ich nie im Leben Geld von dir annehmen. Ich krieg das schon selber geregelt mit der Henk.“ Doch Fredi ließ nicht locker. „Du weißt selbst, dass Henk gefährlich ist und dass der …“

      „He, ihr zwei Spacken, macht ihr schon wieder Pause?“ Unbemerkt von Fredi und Borowka war Tonne ins Haus gekommen. Tonne war der Torwart der Saffelener Fußballmannschaft und seine körperlichen Ausmaße machten seinem Spitznamen alle Ehre. Er trug eine abgeschnittene Bundeswehrhose, aus der weiße, tätowierte Unterschenkel herausragten und ein deutlich zu enges T-Shirt, das einen stark behaarten Bauchnabel freilegte. Sein Haar trug er wie Fredi und Borowka vorne kurz und hinten lang. „Kommt mal mit nach draußen“, fuhr er fort,

      „Ich hab auf der Pritsche vier Sack Zement liegen. Hier, Ralf Richterich, der Bekloppte aus Porselen, arbeitet doch beim Bauhof. Und die vier Säcke sind da wohl heute Morgen vom Lkw gefallen. Und wie ich dem eben traf, meinte der, dass du die vielleicht noch gebrauchen könntest für dein Umbau.“

      Fredi versteckte das Schwein hinter seinem Rücken und antwortete: „Das ist aber nett von dem. Zement kann ich immer gut gebrauchen. Außerdem wollte die Sabrina im Keller sowieso noch so ein Sockel haben, wo man Waschmaschine und Trockner draufstellen kann. Dass man sich beim Vollstopfen nicht so bücken muss.“

      „Siehst du“, sagte Tonne und rieb sich die Hände, „dann mal rein mit der Scheiß. Ach übrigens, jetzt ratet mal, wer wieder zurückkommt nach Saffelen!“

      „Keine Ahnung. Der Sommer?“, versuchte Borowka einen Scherz und zeigte grinsend auf Tonnes nackte Beine.

      „Guck dich mal selber an“, konterte Tonne mit einem Nicken in Richtung des Malerschiffchens, das auf Borowkas blonder Dauerwelle thronte, bevor er fortfuhr: „Nee, Juppi Schrammen kommt Freitag wieder zurück. Zwar nur für eine Woche, aber am Samstag gibt es eine richtig fette Fete bei dem sein Bruder. Da sind wir vom Fußball alle eingeladen.“

      „Wie geil ist das denn?“ sagte Fredi. Auch Borowka freute sich. Auf Juppi und die Fete. Da musste er sich am nächsten Montag wohl schon wieder krankschreiben lassen.

      3

      Das prächtige Zirkuszelt war bereits errichtet. Zwischen den beiden Masten, die aus dem Dach herausragten, war ein Stahlseil gespannt, an dem internationale Fähnchen den Namen

      „Zirkus Baldini“ einrahmten. Das rot-gelb gestreifte Zeltdach wurde von Rondellstangen gestützt, an denen auch die Seitenwände befestigt waren. Von außen wurde die Dachplane mit Stahlseilen gesichert, die gerade von mehreren Arbeitern unter äußerster Kraftanstrengung mithilfe eines Flaschenzugs gespannt wurden. Noch standen die Wohnwagen, Anhänger und Zugmaschinen kreuz und quer auf der weitläufigen Wiese neben dem Hof der Hastenraths. Lediglich der historische Kassenwagen, der gleichzeitig den Eingang markierte,


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