Der Tango des Todes. Christian Macharski

Der Tango des Todes - Christian Macharski


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Fredi das Thema auf den unerfreulichen Anlass der Rückkehr.

      Juppis Miene verfinsterte sich ein wenig. Er fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes, dunkles Haar, durch das sein sonnengegerbtes Gesicht noch besser zur Geltung kam. Die Jahre in der Fremde hatten ihn deutlich reifen lassen und einen gestandenen Mann aus ihm gemacht. Dennoch haftete seinen wehmütigen, tiefbraunen Augen noch immer etwas Jungenhaftes, Verschmitztes an. „Ja, das ist natürlich die andere Seite der Medaille“, sagte er nachdenklich. „Ich war gerade in Nepal, als ich davon erfahren habe. Es ging ja dann doch sehr schnell mit ihr zu Ende. Ich hab’s leider nicht mehr rechtzeitig zur Beerdigung geschafft. Na ja, so ist das Leben“, versuchte er, das Gespräch wieder in etwas seichteres Fahrwasser zu lenken.

      „Aber umso mehr freue ich mich, dass ich mal wieder hier bin. Saffelen war ja immerhin die erste exotische Station meiner Weltreise.“ Juppi lachte und die Falten um seine Augen verliehen seinen markanten Gesichtszügen etwas sehr Weiches.

      „Hastenraths Marlene hat beim Metzger erzählt, dass du bloß ein paar Tage bleibst. Stimmt das?“, fragte Fredi.

      Juppi nickte. „Ja, leider. Ich muss blöderweise nächste Woche Donnerstag schon wieder los, weil ich eine Stelle als Wildhüter in British Columbia antrete. Da kann man Schwarzbären beobachten.“

      „British Columbia“, Borowka pfiff durch die Zähne, „mein lieber Mann. Ich wusste gar nicht, dass es bei die Inselaffen Bären gibt.“

      Fredi versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellbogen. „Borowka. Wie doof bist du eigentlich? British Columbia ist doch nicht in England. Das ist in … hier in … ja woanders jedenfalls.“

      „In Kanada“, sagte Juppi, während Rosi ihm mit verklärtem Blick eine Flasche Bitburger auf den Tisch stellte.

      „Siehst du? Sag ich doch!“ Fredi hob triumphierend den Zeigefinger.

      „Sag mal, Juppi“, begann Borowka plötzlich ungewohnt ernst, „ich find das ja spannend, dass du durch die ganze Welt ziehst und fremde Kulturen und Frauen kennenlernst. Aber fehlt dir nicht manchmal auch so ein bisschen Heimat? Was weiß ich? Freunde, Fußball, Festzelt, Schlägereien in Himmerich. Wie soll ich sagen? So eine Art Hafen, wo man immer hin zurücksegelt.“

      Fredi musste bei diesen Worten unwillkürlich schlucken. Nicht nur, weil er seinen Kumpel noch nie so nachdenklich erlebt hatte, sondern, weil auf der Stelle Gedanken in seinem Innersten aufploppten, die er in Berlin oft gehabt hatte, wenn er sich einsam fühlte. Und auch wenn er es sich nicht gerne eingestand, weil man es ihm vielleicht als Scheitern auslegen könnte: Er war überglücklich, wieder in Saffelen zu sein. Hier war sein Herz zu Hause. Und ein Herz war nun mal schwer zu transplantieren. Das hatte er vor Kurzem im Fernsehen in einem Wissenschaftsmagazin gesehen, auf das er aus Versehen geschaltet hatte.

      Auch Juppis Blick verriet eine gewisse Nachdenklichkeit. Er wiegte die Flasche Bier in der Hand und betrachtete lange das Etikett, bevor er antwortete: „Ach weißt du, Richard. Die Seefahrer sagen: Wer an der Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdecken. Ich fühl mich einfach immer da zu Hause, wo ich bin. Jetzt im Moment freue ich mich wahnsinnig, hier in Saffelen zu sein und euch alle zu treffen. Aber ich freue mich auch genauso sehr auf Kanada und auf alles, was danach noch kommt.“

      „Ja klar, das versteh ich“, ließ Borowka nicht locker, „aber was sind die schönsten Abenteuer, wenn man die mit kein Mensch teilen kann? Fehlt dir nicht zum Beispiel manchmal eine Frau? Also, ich meine jetzt nicht, wofür du denkst, dass die Frau sein soll. Das könnte quasi im Prinzip auch genauso gut ein Mann sein … Womit ich jetzt natürlich nicht sagen will, dass du eventuell vom anderen …“

      Juppi musste grinsen. „Ich hab schon kapiert, was du sagen willst.“ Es folgte eine kurze Pause, in der seine Gedanken offenbar davonschwebten. „Es gab tatsächlich mal jemanden. Ich war einmal in meinem Leben richtig verliebt. In eine Frau, für die ich alles getan hätte. Aber es hat damals nicht sollen sein. Und keine Frau danach war jemals wieder so wie diese.“

      Die Stimmung am Tisch schlug plötzlich um. Eine bedrückende Schwere legte sich über die drei Männer. Selbst Rosi, die hinter ihrem Tresen nur mit einem Ohr zugehört hatte, machte ein trauriges Gesicht. Doch den größten Kloß hatte Fredi Jaspers im Hals. Ohne es zu ahnen, hatte Juppi in ihm etwas angestoßen, das er nur zu gerne für immer verdrängt hätte. So sehr er sich freute, nach Saffelen zurückzukehren und so sehr er seine neue Freundin Sabrina liebte, so sehr war ihm auch bewusst, dass seine Rückkehr alte Wunden aufreißen würde. Er war nie wirklich hinweggekommen über die Trennung von seiner großen Liebe Martina Wimmers. Vor drei Jahren hatte sie ihn für jemand anderen verlassen, den sie dann sogar geheiratet hatte. Das war einer der Gründe gewesen, die ihn dazu bewegt hatten, Saffelen damals den Rücken zu kehren. Irgendwann hatte er sich mit dem Ende dieser Beziehung abgefunden, verwunden hatte er es jedoch nie. Und als wenn das Universum sich nicht schon genug Gehässigkeiten ausdenken würde, mit denen es die Menschen gängelt, musste Fredi während der Renovierungsarbeiten auch noch von Borowka erfahren, dass Martina von ihrem Mann Hendrik schon wieder in Scheidung lebte und zu allem Überfluss bei ihren Eltern eingezogen war – in Saffelen. Glücklicherweise war er ihr bisher noch nicht über den Weg gelaufen. Borowka hatte erzählt, dass Martina sich in letzter Zeit häufig bei ihm zu Hause ausheulen würde, da seine Frau Rita schließlich ihre beste Freundin war. Deshalb kamen ihm die Umbauarbeiten, die oft bis spät in die Nacht gingen, sehr gelegen.

      Ein lauter Knall zerstob mit einem Mal alle Gedanken, die sich im Raum breitmachten. Juppi hatte mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen und rief: „Schluss mit dem Gejammer! Wir sollten das Leben genießen. Morgen Abend ist die große Willkommensparty, die Theo für mich schmeißt. Ihr kommt doch wohl hoffentlich? Alle Saffelener sind eingeladen. Sogar die aus dem Neubaugebiet“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.

      „Das haben wir schon gehört“, sagte Borowka und hielt die Flasche Bitburger in die Höhe. „Da simmer dobei, dat ist priiiiima. Viva Colonia!“, sang er etwas schief, dafür aber voller Inbrunst. Die drei Freunde stießen lachend an, als auf einmal wieder der Dreiklang der Ladentür ertönte. Eine deutlich erschlankte, dezent geschminkte, aber auffallend elegant gekleidete Martina Wimmers betrat den Grillcontainer. Fredi war wie vom Blitz getroffen, als ihr Blick sich mit seinem kreuzte. Will das Universum mich jetzt total verarschen?, dachte er.

      Nachdem Martina realisiert hatte, wer da am Tisch saß, wendete sie ihren Kopf unsicher ab und ging schnellen Schrittes zur Theke, wo sie bereits von Rosi und ihrer bekleckerten Schürze erwartet wurde. „Wat krisste, Martina? Wie immer? Mit doppelt Mayo für dein Vatter?“

      Martina nickte, ohne sich noch einmal zum Tisch umzudrehen. Rosi schaufelte eine große Portion Tiefkühlfritten in das große Sieb, das sie dann mit einem geübten Handgriff in das spritzende Fett hinuntersausen ließ. Den daneben befindlichen Drahtbehälter riss sie fast zeitgleich mit der anderen Hand triefend in die Höhe und brüllte quer durch den Laden: „Schewampschichi ist fertig! Und deine Sachen auch, Juppi.“

      Borowka sprang freudig erregt vom Tisch auf und lief zur Theke.

      Juppi, der die Situation genau erfasst hatte, beugte sich zu Fredi vor, der mit leerem Blick vor sich hin stierte. „Genau das meinte ich eben, Fredi. Die Liebe ist wie die Reise in ein unbekanntes Land. Man muss den Mut haben, alles hinter sich zu lassen, ohne zu wissen, was vor einem liegt.“

      Fredi hörte die Worte, aber er verstand sie nicht.

      6

      „Und du meinst wirklich, ich kann der hellblaue Hosenanzug schon wieder anziehen? Den hatte ich doch jetzt schon so oft an. Ach, es ist so schrecklich, ich brauch dringend neue Sachen.“ Marlene Hastenrath betrachtete sich voller Verzweiflung in dem Spiegel, der auf der Innenseite ihres Kleiderschranks angebracht war. Sie musterte sich von allen Seiten, während Will ungeduldig in der Schlafzimmertür stand und heimlich auf seine Armbanduhr schielte.

      „Hellblau steht dir ganz fantastisch. Aber ich sag mal so: Du kannst doch im Prinzip alles tragen … vorausgesetzt natürlich,


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