Der Tango des Todes. Christian Macharski

Der Tango des Todes - Christian Macharski


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Schrammen war bestimmt schon in vollem Gange.

      Marlene drehte sich um und stemmte die Hände in die Hüften. Sie warf ihrem Mann einen bösen Blick zu und züngelte: „Hör bloß auf, so rumzuschleimen. Und glaub ja nicht, dass wegen deine Spannerei schon das letzte Wort gesprochen ist.“

      Will musste schlucken. Unwillkürlich schoss seine Hand hoch und befühlte die riesige Beule an seinem Hinterkopf. Selbst der leichte Druck, den er damit ausübte, verursachte ihm schon wieder Schmerzen. Zweimal hatte seine Frau mit der Handtasche zugeschlagen, nur weil er durch ein kleines Loch in einer Plane geschaut hatte. „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Da war keine Frau hinter der Zaun. Der Clown hat mit sein Hund Tricks geübt, die ich mir für der Knuffi abgucken wollte.“

      Marlene schüttelte den Kopf und seufzte theatralisch. „Hör doch auf, Will. Dreimal habe ich dich gerufen, dass du essen kommen sollst. So oft wie noch nie, seit wir verheiratet sind. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du nix mehr mitkriegst, bloß weil da ein kleiner Hund Männchen macht. Wo du kleine Hunde ja noch nicht mal leiden kannst. Du kannst mich nicht verarschen. Du hattest doch sogar noch ein ganz verklärtes Lächeln im Gesicht, wie du da ohnmächtig auf dem Boden gelegen hast.“

      „Nicht nur Männchen“, verteidigte sich Will, „der hat sogar Kopfstand gemacht. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall ist das kein Grund, jemand aus der Hinterhalt heraus auf der Kopf zu hauen. Und schon mal gar nicht mit so eine schwere Handtasche. Was war da überhaupt alles drin?!“

      Marlene wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu und sagte: „Da war das drin, was ich da immer drin habe: Taschentücher, Portemonnaie, Regenhaube. Und … ach ja, und natürlich der Edelstahltoaster, den ich morgens bei Lidl gekauft hatte. Der war im Angebot gewesen. Jetzt weiß ich auch, warum. Der ist ja direkt in tausend Teile zersprungen.“

      Als Will und Marlene endlich am Haus von Theo Schrammen eintrafen, näherte sich die Party selbst zu dieser frühen Stunde schon dem Siedepunkt. Es schien, als wäre das ganze Dorf zusammengekommen, um Juppis Heimkehr zu feiern. Quer über der Doppelgarage hing eine bunte Girlande mit der Aufschrift „Willkommen zu Hause“. Ursprünglich war nur die ausgeräumte und mit einem Bundeswehrtarnnetz dekorierte Garage zum Feiern eingeplant gewesen, doch die Feier hatte sich aufgrund des großen Andrangs längst auf das ganze Haus ausgebreitet. In der Garage standen auf langen Bierzelttischen endlos viele Salate in altmodischen Glasschalen. Daneben Tuben mit Ketchup und Remouladensoße, Pappteller, Stangenbrot und bergeweise Tabletts mit abenteuerlich aufgetürmten Frikadellen und kalten Schnitzeln. Richard Borowka und Schlömer Karl-Heinz waren gerade damit beschäftigt, ein neues 50-Liter-Fass auf den Zapfbock zu heben, um den Nachschub zu sichern.

      Will und Marlene wurden mit begeisterten Rufen aus dem Pulk empfangen. Heribert Oellers, der Inhaber der Firma Auto Oellers, schob seinen imposanten Körper aus der Menge heraus und schüttelte Will staatsmännisch die Hand. Nach einem kurzen Austausch der üblichen Begrüßungsfloskeln kam er direkt zur Sache und führte Will zum Getränkestand, wo Borowka gerade unter lautem Jubel das Fass angeschlagen hatte. Saffelens bester Schwarzarbeiter drehte den Hahn auf und füllte mit beeindruckender Routine mehrere Kränze voller Biergläser, die er aus dem Handgelenk heraus unter dem Strahl rotieren ließ. Dazu sang er aus Leibeskräften den Schlager: „Es gibt kein Bier auf Hawaii. Es gibt kein Bier.

      Drum fahr ich nicht nach Hawaii, drum bleib ich hier.“ Als er seinen Chef, Heribert Oellers, auf sich zukommen sah, hustete er theatralisch, schließlich war er ja noch wegen Halsschmerzen krankgeschrieben. Oellers registrierte das mit zusammengekniffenen Augen, sagte aber nichts, um die Heiligkeit des Moments nicht zu stören.

      Marlene war gleich am Eingang von einer bereits leicht angeschwipsten Billa Jackels in Empfang genommen und mit einem Glas Sekt versorgt worden. „Marlene. Wie schön, dass du da bist. Oh, schick. Ich finde auch, so ein hautenger, hellblauer Hosenanzug, dem kann man nicht oft genug tragen.“

      Marlene sah beschämt zu Boden und versuchte schnell, das Thema zu wechseln. „Wie geht es denn der Josef? Hat der sich mal gemeldet?“

      Billa leerte ihr Sektglas und nahm sich gleich ein neues von einem Tablett, das ein kleiner Junge, der die beiden Kellner Dirk und Dose unterstützte, unsicher vor sich her balancierte.

      „Ja, du weißt ja, wie der Josef ist. Erst hatte der furchtbar Angst vor der zweiwöchige Feuerwehrlehrgang, aber mittlerweile gefällt es ihm ganz gut in Boppard. Der hat wohl auch schon der erste Test knapp bestanden. Kann aber auch sein, dass der durchgefallen ist. Ich hab nicht so genau zugehört am Telefon. Komm Marlene, wir gehen rein. Die Annemie hat in der Küche so moderne Trendgetränke für Frauen stehen. Hugo Spritz oder wie das heißt.“

      Als Billa Marlenes Arm ergriff und sich mit ihr umdrehte, verlor sie fast das Gleichgewicht und rempelte dabei Fredi Jaspers an, der aus dem Haus gestolpert kam und ein Handy fest an sein Ohr presste. „Oh, Tschulligung Fredi. Wow, du siehst aber gut aus heute“, entfuhr es ihr, bevor Marlene sie sicherheitshalber wegzog.

      Fredi winkte geistesabwesend ab und versuchte so schnell wie möglich, dem lauten Getöse in der Garage zu entkommen. Als er das Mäuerchen am Ende des Vorgartens erreichte hatte, konnte er die Stimme am anderen Ende des Telefons wieder halbwegs verstehen. „So, Sabrina-Schatz, jetzt kann ich dich besser hören. Was sagtest du eben?“

      „Ich habe gefragt, wo du da bist. Das hört sich ja an, als wenn eine Feuerwerksfabrik in die Luft fliegt.“

      Fredi musste lachen. Das liebte er so an ihr. Sie fand immer für alles lustige Vergleiche. „Nee, nee“, antwortete er beschwingt, „ich hatte dir doch von der Juppi Schrammen erzählt. Heute ist dem seine Willkommensparty. Hier ist der Teufel los. Mit so viele Leute hatten die gar nicht gerechnet.“

      „Oh, das freut mich für dich. Ich hoffe, du hast Spaß?“ Fredi seufzte. „Ja schon. Aber du fehlst mir. Ich bin so froh, wenn das Haus endlich fertig ist und du nachkommst.“

      „Du fehlst mir auch, Fredi. Ich kann es kaum abwarten, bis es endlich losgeht. Weißt du was? Ich liebe dich!“

      Fredi musste schlucken. Er war mit einem Mal ganz gerührt. So sehr, dass sogar seine Augen feucht wurden. Hektisch blickte er sich um und wischte sich mit der Hand durchs Gesicht, bevor es noch jemand sehen konnte. Sabrina hatte so etwas schon öfter gesagt, und jedes Mal so unvermittelt, dass es ihn umhaute. Er kannte derartige Gefühlsäußerungen nicht von früher. In seinem Elternhaus war es ganz und gar unüblich gewesen, sich gegenseitig solcher Dinge zu versichern. Und selbst in der langjährigen Beziehung zu seiner großen Liebe Martina war dieser Satz nicht ein einziges Mal gefallen. Was ja nicht bedeuten musste, dass man sich nicht liebte. Manche Dinge sind nun mal so selbstverständlich, dass man sie nicht ständig betonen muss. Aber Sabrina war ganz anders, genauso wie alles in Berlin ganz anders gewesen war. Sie war so unverblümt, so geradeheraus, dass es Fredi oft überforderte. Am Anfang hatte er immer versucht, auszuweichen oder abzulenken, aber mit der Zeit hatte er festgestellt, wie gut es ihm tat, bestimmte Dinge auch einfach mal zuzulassen. Es hatte eine Weile gedauert, bis Fredi diesen Punkt erreicht hatte, aber selbst in dieser Phase hatte Sabrina ihn zu nichts gedrängt und ihn nie unter Druck gesetzt. Sie hatte ihn seinen eigenen Weg finden lassen. Fredi war sich bewusst, dass er durch Sabrina zu einem neuen Menschen geworden war und dass er ihr viel zu verdanken hatte. Allein das würde rechtfertigen, dass er sie ebenso liebte wie sie ihn. Und bis gestern war er auch der festen Überzeugung gewesen, dass es genauso war. Bis gestern, als er in Rosis Grillcontainer auf Martina getroffen war. Warum nur gelang es dieser Frau auch nach Jahren noch, in ihm Emotionen zu wecken, die andere bei ihm nicht annähernd auszulösen in der Lage waren? Und das nach allem, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte.

      „Schatz? Bist du noch dran?“, berlinerte es fröhlich durch den Hörer.

      „Was? Ach so, ja natürlich“, antwortete Fredi schnell. „Und weißt du was? Ich liebe dich auch.“ Er spürte förmlich durch den Hörer, wie sie strahlte.

      „Du bist so lieb, Schatz. Aber ick muss jetzt Schluss machen, Mama zur S-Bahn bringen. Kuss, Kuss, Kuss.“

      „Ja, Kuss.“ Fredi legte auf. Er schob sein Handy in die Hosentasche und legte seinen Kopf in seine Handflächen. So erbärmlich


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