Der Tango des Todes. Christian Macharski

Der Tango des Todes - Christian Macharski


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Seine Frau bereitete immer alles frisch zu. Wenn es jetzt dazu noch Muckefuck gibt, dann bin ich aber bedient, dachte er.

      „Was darf ich zu Trinken anbieten?“, fragte Bettina Hebbel wie aufs Stichwort, nachdem sie neben eine große futuristische Maschine getreten war. „Cappuccino? Latte macchiato? Espresso?“

      Will hatte sich an den Platz gesetzt, den Kleinheinz ihm zugewiesen hatte, und sah irritiert auf. Heute wurde er aber auch mit Fremdsprachen bombardiert. „Ich hätte am liebsten ein Kaffee“, antwortete er knapp, „mit sechs Stück Zucker.“

      Dann wandte er sich an Kleinheinz, der ebenfalls am Tisch Platz genommen hatte. „Und Peter? Hast du dich denn schon ein bisschen eingelebt hier in Saffelen? Das ist ja ein schönes Haus, das die Frau Hebbel hier hat. Auch wenn es kein Eigentum ist.“

      Bettina Hebbel verstand zwar nur Versatzstücke, weil der Kaffeevollautomat geräuschvoll vor sich hin zischte, sah sich aber dennoch genötigt, mit der Antwort ihrem Lebensgefährten zuvorzukommen. „Herr Hastenrath, wäre es nicht an der Zeit, dass wir uns langsam auch mal duzen? Ich meine, wir kennen uns jetzt schon ein halbes Jahr und haben uns in der Zeit so oft getroffen. Und der Peter und Sie duzen sich doch auch.“ Sie brachte ihm seinen Kaffee an den Tisch und stellte eine Schale mit Zuckerstücken daneben.

      Will warf langsam eines nach dem anderen hinein und dachte nach. Er war verdutzt ob der vorlauten Art der jungen Dame. In seinem Weltbild war es nämlich, wenn überhaupt, immer noch der Ältere, der das „Du“ anzubieten hatte. Er ließ sich seine Pikiertheit aber nicht anmerken und antwortete mit gewohnter Diplomatie: „Normalerweise gerne, gute Frau. Aber in diesem Fall, ich weiß nicht. Sie sind ja nicht nur die Gespielin von der Peter, sondern auch die Lehrerin von mein Enkelkind, der Justin-Dustin. Und solange der noch zur Grundschule geht, möchte ich eine Vermengung von Dienstund Privatleben gerne vermeiden. Sie wissen, ich bin ehrenamtlicher Politiker und damit eine Person von öffentlichem Interesse und da muss ich ein bisschen aufpassen, dass man mich nicht mit Klüngelei in Verbindung bringt.“

      Kleinheinz musste lachen, denn wenn er eines in Saffelen gelernt hatte, dann, dass Klüngeln hier zum guten Ton gehörte und Hastenraths Will einer der Großmeister dieser Disziplin war. Er bemühte sich aber, der umschlagenden Stimmung ein wenig die Schärfe zu nehmen, und sagte: „Ja, ist schon klar, Will. Aber so schlimm wäre es auch nicht mit dem Duzen. Guck mal, ich bekomme als Neubürger sogar einen Geschenkkorb von dir. Daran sieht man doch, wie herzlich und familiär es hier in Saffelen zugeht. Da passt so etwas Distanziertes wie ein ‚Sie‘ überhaupt nicht ins Bild.“

      Will nahm bedächtig einen Schluck Kaffee, um Kleinheinz das Gefühl zu geben, er würde ernsthaft über diesen Einwand nachdenken. Mit einem leicht spöttischen Blick, den er sich im Fernsehen von Helmut Schmidt abgeguckt hatte, wollte er zur Erwiderung ansetzen.

      Doch noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Bettina Hebbel ihm schon wieder in die Parade. In ihrer Stimme schwang diesmal sogar leichte Empörung mit. „Moment mal. Wo du das gerade sagst, Schatz. Jetzt fällt mir plötzlich auf, dass ich damals überhaupt keinen Willkommenskorb bekommen habe, als ich hierhingezogen bin.“

      Will sah sie verwirrt an. Unvermittelt schoss ihm die Röte ins Gesicht. Erschrocken musste er feststellen, dass sie ausnahmsweise recht hatte. Seine Frau Marlene hatte ihn seinerzeit zwar mehrfach eindringlich daran erinnert, aber irgendein innerer Widerstand hatte wohl dafür gesorgt, dass er es immer wieder auf die lange Bank geschoben und am Ende schlicht vergessen hatte.

      Will geriet ins Stottern, als er versuchte, Bettinas bohrendem Blick standzuhalten. „Das ist nicht ganz falsch, was Sie da sagen. Aber die Sache ist die … diese Präsentkörbe sind eine relativ neue Sitte hier bei uns. Und da wird immer viel drüber diskutiert … wegen die Kosten und so. Aber umso mehr freut es mich, Sie mitzuteilen, dass ich beim Ortsvorstand gegen einige Widerstände durchsetzen konnte, dass Sie im Nachhinein doch noch Ihr ganz persönlicher Korb bekommen, quasi posthum. Ich wollte die Katze zwar gleich erst aus der Sack lassen, aber komm … ist egal. Dann sag ich’s jetzt. Ich habe Ihren lang herbeigesehnten Korb draußen im Auto. Ich geh den mal schnell holen.“

      Als Will den Korb vom Rücksitz auf den Bürgersteig gewuchtet hatte, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Gerade noch mal gut gegangen, dachte er, während er den Zettel mit der Aufschrift ‚Fredi Jaspers‘ abriss und zerknüllt in seiner Parkatasche verschwinden ließ. Mit gespielter Freude trug er den Präsentkorb zum Haus und überreichte ihn feierlich Bettina Hebbel, die ihn schon an der Tür in Empfang nahm.

      „Danke“, sagte sie, immer noch sichtlich überrascht.

      „Aber nicht doch. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit“, wiegelte Will ab. Da ihm die ganze Situation ein wenig unangenehm war und er weiteren Nachfragen aus dem Weg gehen wollte, sah er auf seine Uhr und rief mit gespieltem Entsetzen aus: „Ach Gott, schon so spät! Ich muss wieder zurück. Die von dem Wanderzirkus brauchen meine Hilfe. Ich wünsche Sie noch einen wunderschönen Tag hier in Saffelen, Frau Hebbel.“ Bettina sah dem Landwirt hinterher, wie dieser schnell in seinen Mercedes sprang und davonfuhr. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Als sie voll bepackt in die Küche zurückkehrte, sagte sie: „Das ist vielleicht ein komischer Kauz, dieser Hastenraths Will.“

      Kleinheinz, der gerade dabei war, seinen Korb auszupacken, lächelte sie gütig an. „Ach, so schlimm ist der gar nicht. Du wirst dich schon noch an seine Art gewöhnen. Hart, aber herzlich. Hey, schau mal hier.“ Er zielte lachend mit einer Spielzeugpistole auf sie und legte sie wieder auf den Tisch. „Oder hier.“ In der einen Hand hielt er einen Satz Plastikhandschellen und in der anderen eine Tube Haargel. „Da siehst du mal, was der Will sich für eine Mühe gegeben hat. Hier sind jede Menge Sachen mit persönlichem Bezug drin. Der hat sich sogar meine Lieblingsmarke gemerkt.“

      „Das ist aber jetzt wirklich mal toll“, musste Bettina erstaunt zugeben und machte sich neugierig daran, auch ihren Korb auszupacken. Mit zunehmendem Erstaunen förderte sie einen persönlichen Gegenstand nach dem anderen zutage und legte diese nebeneinander auf den Tisch. Am Ende lagen dort: das Kicker-Sonderheft, eine Flasche Doppelkorn, ein Playboy-Jahreskalender mit daran festgetackerten Tempotaschentüchern sowie eine Turnierpackung Kondome. Sprachlos vor Entsetzen sah sie ihren Freund an.

      Kleinheinz zuckte nur verlegen mit den Schultern und sagte: „Na ja, er kennt dich ja auch noch nicht so gut.“

      4

      Attila warf seinen ganzen Körper gegen die Gitterstäbe und bellte aus Leibeskräften, als Will auf den Innenhof fuhr und aus seinem Wagen stieg. Normalerweise hatte er immer ein nettes Wort oder ein Leckerchen für seinen Hofhund zur Hand, aber diesmal war er noch zu sehr in Gedanken bei der peinlichen Situation mit dem Willkommensgeschenk, die er so gerade noch hatte retten können. Für Fredi Jaspers würde er sich jetzt natürlich etwas anderes ausdenken müssen, denn wenn er einen neuen Präsentkorb zusammenstellen würde, könnte seine Frau Verdacht schöpfen. Erfreut nahm Will zur Kenntnis, dass dem gekippt stehenden Küchenfenster wohltuende Gerüche entschwebten, was darauf hindeutete, dass Marlene bei der Zubereitung des Abendessens kurz vor der Vollendung stand. Deshalb nutzte Will die Gelegenheit, sich schnell noch mal auf die Rückseite des Hofes zu schleichen, wo er neben dem stillgelegten Hühnerstall bereits zum zweiten Mal an diesem Tag die geheimen Zuleitungen für Strom und Wasser kontrollierte. Sicherheitshalber legte er zusätzlich zum Stroh noch eine verwitterte Holztür über die Anschlüsse. Marlene würde es nämlich überhaupt nicht gutheißen, dass Will die Gaukler, wie seine Frau sie nannte, neben der Wiese auch noch kostenlos mit Wasser und Strom versorgte. Aber Will konnte nun mal nicht anders. Er schritt ein weiteres Mal die Schläuche und Leitungen ab, die zum Zelt und zum Wagenpark führten, und achtete darauf, dass alles gut mit Gras bedeckt war. Plötzlich endete sein Weg vor einem Sichtzaun, der am Morgen noch nicht an dieser Stelle gestanden hatte. Er wollte gerade wieder umkehren, als er hinter dem Zaun eine seltsam betörende Musik vernahm, die in ihm erneut diese Neugier auslöste, wie es nur der Zirkus vermochte. Er prüfte vorsichtig die PVC-Plane, aus der der Zaun bestand. Er hatte Glück. Nach ein paar Metern fand er etwa auf Kniehöhe ein Loch, gerade groß genug,


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