Resli, der Güterbub. Franz Eugen Schlachter

Resli, der Güterbub - Franz Eugen Schlachter


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der Stiefvater, ein rauer, grober und selbstsüchtiger Mann, sie lieblos behandelte, und wie sie ihm überall im Wege waren. Dass er seine eigenen Kinder nicht viel besser behandelte, war kein besonderer Trost. Diese hielten sich auch darnach; wie der Baum, so die Frucht. Sie waren wild und unbändig, konnten weder lesen noch beten, dafür hatten sie das Fluchen umso besser los. Es wollte der Mutter das Herz brechen, dass ihr Resli solche Buben zu seinen Brüdern und Vorbildern bekommen hatte; denn sie waren älter als er, und er musste ihnen folgen, oder sie schlugen ihn. Das erste Mal, als sie mit ihm die Ziegen hüteten, sagten sie dem arglosen Jungen die schrecklichen Flüche vor, er musste sie ihnen nachsprechen; zuerst tat er`s gezwungen, nach und nach aber gewöhnte er sich daran. Sie belehrten ihn über die schändlichsten Dinge, so dass sein jugendliches Herz nach und nach von der Sünde vergiftet ward.

      Nach zweijährigem Ehestand erklärte der Stiefvater seiner Frau, er könne ihren Kindern nicht mehr länger zu essen geben, sie müssten auf die Gemeinde. Seine zweite Verheiratung hatten die Gemeindebehörden ihm nur unter der Bedingung gestattet, dass er zwei Jahre lang die drei Kinder seiner zweiten Frau bei sich behalte. Er hielt sein Versprechen pünktlich, denn es waren gerade zwei Jahre seit der Hochzeit verflossen, als die Mutter unter Tränen den drei Kindern ihre wenigen Habseligkeiten in Bündeli zusammenschnürte und schluchzend den Weg zum Schulhaus unter die Füße nahm. Den Gang haben die Kinder in ihrem Leben nie vergessen. Besonders Resli, dem Jüngsten, schien der Gedanke an die Trennung von der Mutter unmöglich zu sein, denn er hing mit ganzer Seele an ihr, und die Tränen der Mutter, die auf dem ganzen Weg ins Dorf hinunter das Gesicht im Lumpen verbarg, redeten laut in die Kinderherzen hinein. Hier saß sie nun mit ihren Würmlein und wartete der Stunde, die ihr das Liebste, was sie auf Erden noch hatte, vielleicht für immer vom Herzen reißen sollte. Doch nein, man kann die Kinder wohl von einer Mutter trennen, aber von ihrem Herzen reißt sie keine Kreatur; eine Mutter, wenigstens eine solche, wie Resli eine hatte, liebt ihre Kinder bis in den Tod.

      „Andreas Balli!“ tönte es jetzt vom Richterstuhl des Gemeindeschreibers herab, der im Ablesen der zu verdingenden Kinder weiter fuhr. Aller Augen richteten sich auf den Knaben, der sich krampfhaft an der Mutter festhielt und aus Leibeskräften schrie: „Mutter, Mutter, lass mich nicht, ich bin Dein!“

      Der Mutter war es, als ob ihr ein Stein vom Herzen fiele, der Alte machte einen guten Eindruck auf sie. Dem Präsidenten ging es ebenso. „Du kannst ihn haben“, sagte er zu ihm, „wenn du nicht zu viel verlangst.“

      „Versprecht mir 30 Franken, so will ich ihn ein Jahr lang nähren und kleiden dafür.“

      „Verlangt jemand der Anwesenden weniger für das Kind?“ Alles blieb mäuschenstill. Nur der Knabe wimmerte leise und verbarg in der Schürze der Mutter sein Gesicht.

      „Mutter, Mutter!“ schrie der Knabe und brach in lautes Schluchzen aus; „lass mich nicht, ich bin dein!“

      „Schweig du nur, Resli“, beschwichtigte die Mutter, „ich geh` mit dir.“ – Die beiden verließen das Zimmer, und der Alte trappete ihnen nach. „Kommt“, sagte er, „wir wollen in die „Sonne“ hinübergehen, ich will eine Halbe zahlen, es leichtet ihm dann vielleicht.“

      „Danke“, sagte die Mutter, „wir wollen lieber gleich gehen und sehen, wo mein Bub hinkommen soll. Ich muss eilen, dass ich nach Hause komme, sonst macht mir der Mann noch Vorwürfe, wenn ich schon das ganze Jahr nirgends hinkomme, nicht einmal z`Predigt lässt er mich.“

      Oben angekommen, ließ der Mann einen guten Kaffee bereiten und stellte Käse und Butter dazu auf. Resli fing es an wohl zu werden hinter dem Tisch, es war seit langer Zeit das erste Mal, dass er genug zu essen bekam. Noch etwas anderes fiel ihm auf; hier wurde gebetet vor und nach dem Essen, der alte Mann entblößte sein schneeweißes Haupt, betete vor dem Essen das Unservater und sprach nach Tisch ein herzliches Dankgebet. Das hatte die Mutter früher auch so gehalten, aber seitdem sie beim Stiefvater wohnten, war das Gebet verstummt.


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