Vom Geheimnis der schönsten Liebe. Charles H. Spurgeon
da er Gott ist, sehr passend sich selber lobt, und dass er sich selbst notwendig empfehlen muss, da wir sonst als schwächliche Geschöpfe überhaupt nie imstande sein würden, seine Schönheit zu bemerken? Wohl dem Menschen, welchem der Herr seine Schönheiten enthüllt. Er ist die Rose, aber es ist nicht allen Menschen gegeben, seinen Duft zu empfinden. Er ist die schönste aller Lilien; aber es gibt nur wenige Augen, die seine unvergleichliche Reinheit angeschaut haben. Er steht vor der Welt da als ohne Gestalt noch Schönheit, als eine Wurzel aus dürrem Erdreich, von den Eitlen verachtet und von den Stolzen verworfen.
Die große Masse dieser kurzsichtigen Welt kann von den unvergleichlichen Herrlichkeiten Immanuels nichts sehen. Nur, wo der Geist das Auge mit Augensalbe berührt, das Herz mit göttlichem Leben belebt und die Seele zu einem himmlischen Geschmack erzogen hat, nur da wird das Liebeswort meines Textes gehört und verstanden: „Ich bin die Rose von Saron und die Lilie der Täler“ ‒ „Euch nun, die ihr glaubt, ist er köstlich.“ „Euch ist er der Eckstein, euch ist er der Fels des Heils, euer Alles in Allem; aber anderen ist er der „Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses, die sich stoßen an dem Wort und glauben nicht daran.“
Ehe wir einen Schritt weiter gehen, sei es unser Gebet, dass unser Erlöser sich nun seinem erwählten Volk offenbaren und es wenigstens mit einem Lichtblick auf seine alles überwindende Anmut beschenken wolle.
I.
Zuerst will ich, wenn der Heilige Geist mir hilft, ein wenig mit euch reden über die Beweggründe unseres Herrn, sich so selbst zu empfehlen.
Ich fasse es so auf, dass er Liebesabsichten in seiner Redeweise hat. Er möchte sein ganzes Volk reich an hohen und glücklichen Gedanken über seine herrliche Person haben. Jesus ist nicht damit zufrieden, dass seine Brüder niedrig von ihm denken; er wollte, dass wir verbunden mit den freudigsten und glücklichsten Gedanken ihm gegenüber auch anbetende Bewunderung für ihn haben. Wir sollen ihn nicht nur als eine bloße Notwendigkeit wie Brot und Wasser ansehen, sondern sollen ihn als eine Delikatesse, als eine seltene und entzückende Wonne betrachten, die etwa mit der Rose und Lilie vergleichbar ist. Ihr bemerkt, dass sich der Herr hier poetisch ausdrückt. „Ich bin die Rose von Saron.“ Dieses Buch des Hohenliedes ist dem geistlichen Sinn Poesie der höchsten Art, und das Erhabene und Schöne ist in der ganzen Heiligen Schrift so sehr zu Hause wie der Adler auf seinem Horst. Sicher nimmt der Herr die Redeform in diesem Hohenlied an, um zu zeigen, dass der höchste Grad poetischer Fähigkeiten ihm geweiht sein sollte und dass erhabene Gedanken und hochstrebende Auffassungen von ihm verbunden sind, ihm zu den Füßen seines Kreuzes zu huldigen. Jesus wollte, dass wir die höchsten Gedanken von ihm hegen sollten, die uns durch die erhabenste Poesie enthüllt werden könnten, und ich will mich bemühen, euch seine Beweggründe zu unterbreiten.
Ohne Zweifel empfiehlt er sich selbst, weil hohe Gedanken von Christus uns in den Stand setzen, in Übereinstimmung mit unseren Beziehungen zu ihm zu handeln. Die gerettete Seele hat sich mit Christus verlobt. Im Eheleben nun fördert es die Glückseligkeit sehr, wenn die Frau eine hohe Meinung von dem Mann hat. In der Verbindung zwischen der Seele und Christus ist dies außerordentlich notwendig. „Er ist dein Herr, und du sollst ihn anbeten.“ „Denn der Mann ist das Haupt der Frau, gleichwie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde, und er ist seines Leibes Heiland.“ Wenn die Frau den Ehemann verachtet und auf ihn herabblickt, dann ist die Ordnung durchbrochen und der Haushalt außer Ordnung, und wenn unsere Seele Christus je verachten sollte, dann kann sie nicht länger in der rechten Beziehung zu ihm stehen; aber je erhabener wir Christus auf dem Thron sehen und je niedriger wir sind, wenn wir uns vor dem Thron beugen, desto wirklicher sind wir bereit, gegenüber dem Herrn Jesus zu handeln, wie es die Gnadenordnung erfordert. Unser Herr wünscht, dass wir hoch von ihm halten, damit ihr euch freudig seiner Autorität unterwerft und euch als die beste Braut diesem besten Mann erweist.
Ferner weiß unser Herr, dass hohe Gedanken von ihm unsere Liebe vermehren. Menschen werden das nicht sehr lieben, was sie nicht hoch schätzen. Lieben und Schätzen gehen miteinander. Es gibt eine Liebe des Mitleids, aber diese wäre in Bezug auf unser erhöhtes Haupt nicht am Platz. Wenn wir ihn überhaupt lieben, muss es die Liebe der Bewunderung sein, und je höher diese Bewunderung steigt, desto inniger wird unsere Liebe entflammen. Meine Brüder und Schwestern, ich bitte euch, denkt viel über eures Meisters Vortrefflichkeiten nach! Studiert ihn in seiner ursprünglichen Herrlichkeit, ehe er eure Natur an sich nahm! Denkt an die mächtige Liebe, die ihn von seinem Thronhimmel herabzog um am Kreuz der Schmach zu sterben! Bewundert ihn, wenn ihr seht, wie er in seiner Schwäche über alle Mächte der Hölle siegt und durch sein Leiden alle Heere eurer Sünden überwindet, so dass sie sich nie wieder gegen euch erheben können! Seht ihn auferstanden, um nie mehr zu sterben; gekrönt um nie wieder entehrt zu werden; verherrlicht, um nie mehr zu leiden! Beugt euch vor ihm, denn nur so wird eure Liebe zu ihm sein, wie sie sein sollte!
Ferner ist eine hohe Meinung von Christus sehr notwendig zu unserem Trost. Dann erscheinen euch die Dinge dieser Welt sehr unbedeutend, und ihr Verlust wird nicht so sehr empfunden. Wenn euch eure Verluste und Kreuze so gewichtig werden, dass die Schwingen der Liebe Christi euch nicht über den Staub zu erheben vermögen, dann habt ihr zuviel von der Welt und zu wenig von Christus. Wenn ihr durch eure Trübsale so bedrückt seid, dass ihr euch gar nicht freuen könnt, obgleich ihr wisst, dass eure Namen im Himmel angeschrieben sind, dann fürchte ich, dass ihr Jesus nicht lieben könnt, wie ihr solltet. Verschafft euch glückliche Gedanken von ihm, und ihr werdet gleich dem Mann fühlen, der einen Kieselstein verloren, aber seine Diamanten behalten hat. Ihr werdet euch in eurer tiefsten Not freuen, weil Jesus euer ist, d. h. wenn ihr ein hohes Bewusstsein von der Köstlichkeit eures Meisters habt. Jesus, Jesus, Jesus, sei du mit uns, und wir hören auf, unsere Plätze und Lagen selber zu erwählen; wirf uns in Nebukadnezars Ofen, und wir wollen kein Unglück fürchten, wenn Du als unser Gesellschafter bei uns sein willst.
Ferner möchte der Herr, dass wir große Gedanken über ihn in uns aufnehmen, weil dies alle Kräfte unserer Seele belebt. Ich sagte soeben, dass die Liebe infolge unserer Meinung von Jesus an Kraft gewinne, und ich könnte dasselbe vom Glauben oder von der Geduld oder von der Demut sagen. Wo Christus hoch geschätzt wird, da üben sich die Fähigkeiten des geistlichen Menschen mit Energie. Ich will eure Frömmigkeit nach diesem Barometer beurteilen: Steht Christus hoch oder niedrig vor euch? Wenn ihr gering von ihm denkt und damit zufrieden sein könnt, dass ihr ohne seine Gemeinschaft lebt, wenn ihr euch wenig um seine Ehre kümmert, wenn ihr gleichgültig seid hinsichtlich seiner Anordnungen, dann weiß ich, dass eure Seelen krank sind; Gott gebe uns, dass es keine Krankheit zum Tode sei! Aber wenn es euer erster Gedanke ist, wie ihr Jesus verherrlichen könnt, wenn es der tägliche Wunsch eurer Herzen ist: „Dass ich wüsste, wo ich ihn finden könnte!“ dann bin ich davon überzeugt, dass ihr sicher seid, weil ihr hoch von Jesus haltet. Wie denkst du über den König in seiner Schönheit? Hat er einen herrlichen hohen Thron in deinem Herzen? Möchtest du ihn noch höher heben, wenn du könntest? Würdest du bereit sein zu sterben, wenn du zu dem Chor, der seinen Ruhm verkündigt, noch eine Posaune hinzufügen könntest? Dann steht es gut mit dir. Was du auch immer von dir selbst denken magst ‒ wenn Christus groß in dir ist, dann wirst du bald bei ihm sein.
Hohe Gedanken von Christus werden uns zu hohen Unternehmungen zu seiner Ehre veranlassen. Was können Menschen nicht ausrichten, wenn sie von der Leidenschaft der Liebe beherrscht werden! Wenn der große Gedanke der Liebe zu Gott Besitz von der Seele genommen hat, sind Menschen imstande, tatsächlich auszuführen, was anderen nicht einmal in den Sinn gekommen ist.
Die Liebe hat über Unmöglichkeiten gelächelt, und sie hat bewiesen, dass viele Wasser sie nicht ersäufen und Ströme sie nicht ertränken können. Was hat die Liebe zu Christus in den verschiedenen Missionen zustande gebracht! Es ist nicht möglich gewesen, den Eifer der Himmelserben zu überwinden, obgleich sich alle Elemente mit der Grausamkeit der Gottlosen und mit der Bosheit der Hölle verbunden hatten. Christi Diener haben weit überwunden durch den, der sie geliebt hat, nachdem seine Liebe durch den Heiligen Geist in ihre Herzen ausgegossen worden war und sie erhabene Gedanken von ihrem Herrn in sich aufgenommen hatten.
II.
Welches auch immer der lobenswerte Beweggrund zu einem Ausspruch sein mag, er darf nicht getan werden, wenn er nicht genau richtig ist, und darum komme ich dazu, des Herrn Rechtfertigung für diese