Männerblues. Bernhard Spring
bleiben können, statt sich dann doch wieder für nichts so fertigzumachen.
„Nur zwei Monate“, knurrte er verächtlich und stand nun auch vom Sofa auf. Was wusste Anja schon davon!
Wenigstens hier hatte sich nichts verändert: Sein Arbeitszimmer hatte sie ihm nicht abspenstig zu machen versucht. Hier war die Welt noch in Ordnung.
Thamm ließ sich ächzend in seinen Schreibtischsessel fallen. Nicht, dass er seinen Sohn nicht leiden könnte, das war es nicht. Aber dieser kleine Scheißer hatte es in den paar Wochen, die er nun schon hier war, geschafft, das ganze Haus in Beschlag zu nehmen. Im Bad thronte die Wickelauflage über der Wanne, in der Küche standen seine Medikamente und Nuckelflaschen rum, im Haus-Wirtschaftsraum stank es nach seinen Windeln – egal, wie oft Thamm den Müll rausbrachte. Sogar im Schlafzimmer machte sich Benni breit, denn jedes Mal, wenn er nur mal eben leise nieste oder im Schlaf vor sich hinbrummelte, schoss Anja wie vom Teufel geritten quer über den Flur an seine Wiege, holte den kleinen Wurm, der ja doch immer irgendwie noch mehr schlief als wirklich wach war, raus und zu sich ins Bett. Dort machte sich Benni dann ordentlich breit, denn aus irgendeinem unerfindlichen Grund drehte er sich jede Nacht quer und kiekste Thamm seine kleinen, aber festen Füße in den Rücken. Und wenn er den Jungen dann doch mal nicht zu spüren bekam, konnte Thamm erst recht nicht schlafen, weil ihn unterbewusst die Angst wachhielt, sich aus Versehen auf den Knirps zu legen. Ein Albtraum!
Thamm schaltete den Computer an und lauschte auf das vertraute Rattern der Lüftung, während das Gerät hochfuhr. Wie lange hatte er nicht mehr gespielt? Sein Garten sah bestimmt total verwildert aus, denn seit er in der erweiterten Version unterwegs war, blieb die Ernte nicht einfach so auf dem Bildschirm stehen – nach einer gewissen Zeit verfaulte sie und die Beete wucherten zu. Es würde ihn einiges kosten, seinen Garten wieder in Schuss zu bekommen.
Und tatsächlich – kaum war das Logo von Gartengaenger.de verschwunden, zeigte sich ein struppiger Rasen, vor dem ein kleines Männchen aufgeregt herumhüpfte. Die Kürbisse, die Thamm Ende April am Zaun beim Komposthaufen gesetzt hatte, ließen sich noch vage erahnen zwischen dem Unkraut, der Rest seiner Ernte aber war schon verloren. Wie befürchtet – und die Bauernbank gab ihm den nötigen Kredit nur zu echt miesen Konditionen. Verdammtes Spiel, ging es Thamm durch den Kopf, während er fiktive Schulden aufnahm und so teure Dublonen zahlte, um seinen Gartenzwerg die Beete vom Gras befreien zu lassen. Die Kürbisse musste Thamm anschließend weit unter ihrem Preis auf dem Markt verramschen – Brechbohnen und Avocados waren gerade gefragt. Zum Schluss blieb kaum viel mehr übrig als für ein paar Möhren und Tomaten, mit denen Thamm gerade einmal ein kleines Beet voll bekam. Also das ganze Spiel noch einmal von vor – er war wieder als Grünschnabel eingestuft worden. Schöne Scheiße!
Thamm fuhr entnervt den Computer runter und trat an das Fenster. Die Hecke kam nicht ganz so, wie er sich das erhofft hatte. Vielleicht war ja Rindenmulch wirklich eine Lösung. Wer hatte ihm das empfohlen? Es wollte ihm nicht einfallen. Aber Thamm verschwendete auch kaum großartig einen Gedanken daran. Wenn er in seinen Garten sah – den echten vor dem Haus –, dann sah er überall irgendwelche Ecken und Kanten, an denen noch etwas zu machen war. Die Borde an der Sitzecke saß locker, Ameisen hatten sich im Sandkasten eingenistet, die Tür vom Schuppen klemmte oben – die mickrigen Hecken stellten da nur eins von vielen und nun wirklich nicht das dringendste Problem dar. Wenn er nur mal die Zeit für all den Kleinkram hätte, der noch zu machen war … Wenn er überhaupt erst einmal die Lust dazu aufbringen könnte …
Jetzt hörte er, wie die Tür zur Terrasse unter ihm geöffnet wurde. Er sah Anja, wie sie mit einem kleinen Tablett über das Gras schritt und den Gartentisch eindeckte: zwei Tassen, Teller, eine Kanne Kaffee, ein Kuchenpaket wurden ausgepackt. Den Zucker hatte sie schon wieder vergessen, ätzte Thamm in Gedanken und ärgerte sich, dass ihr das neuerdings immer öfter passierte – und dass er sich überhaupt über so eine Kleinigkeit aufregte. Es ist Sonntag, verdammt, dachte er, mach dich mal locker.
Anja verschwand wieder im Haus und keine Minute später hörte er sie auch schon nach ihm rufen. Thamm antwortete, bewegte sich aber keinen Zentimeter vom Fensterbrett weg. Und tatsächlich: Da kam Anja wieder zum Vorschein, diesmal mit der Babyschale beladen, die sie neben der Sitzecke abstellte. Dann besah sie sich den Jungen, der wohl wieder schlief, denn er blieb ohne jede Regung. So ganz zufrieden schien Anja nicht zu sein. Sie versuchte, den Sonnenschirm so zu schwenken, dass Benni im Schatten schlafen könnte, aber die Halterung klemmte – noch so eine Baustelle, dachte Thamm. Anja sah sich etwas ratlos im Garten um. Vielleicht wartete sie auch auf ihn, dass er jetzt genau in diesem Moment käme und ihr beispringen könnte. Aber Thamm konnte sich einfach nicht losreißen, noch nicht.
Anja schien eine Lösung für ihr Problem gefunden zu haben. Sie griff sich die Babyschale und marschierte damit zur Hollywoodschaukel, stellte Benni auf die Polster und zog die Sonnenblende ein Stück vor, gerade so weit, dass Benni vollständig im Schatten lag. Dann besah sie sich ihr Werk. Die Schaukel war unter ihrem Gezerre etwas in Bewegung geraten, die Sitzfläche mitsamt der Babyschale schwankte leicht hin und her. Anja besah sich das Ganze, schätzte die Wahrscheinlichkeit ab, ob Benni irgendwie im Gras landen könnte – und ließ ihn schließlich da schaukeln.
Thamm wusste, dass die Babyschale breiter als die Hollywoodschaukel war. Er wusste, dass Benni, wenn er zappelnd aufwachte, ordentlich Bewegung machen konnte. Andere Mütter würden ihr Kind deshalb vielleicht nicht gerade auf eine Schaukel stellen. Thamm liebte Anja in diesem Moment dafür, dass sie nicht so eine war.
„Sag mal, wohnt da eigentlich noch jemand?“
Thamm deutete mit der Kuchengabel über die Straße. Anja blickte ihr nach und schüttelte dann den Kopf.
„Nee, den hat die Frau verlassen“, sagte sie nur, dann lehnte sie sich wieder weit zurück in ihren Liegestuhl.
„Und er?“, wollte Thamm wissen.
„Keine Ahnung. Den hab ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen.“
„Aha“, machte Thamm und klang dabei so interessiert, dass Anja verblüfft aufsah. Unter der vor die Stirn gehaltenen Hand blinzelte sie neugierig in seine Richtung. „Sag mal, weißt du überhaupt, wer da gewohnt hat?“
Thamm sah sie überrascht an. „Ich kann doch mal fragen, was sich so in der Nachbarschaft tut, oder?“
Ihr spöttisches Grinsen irritierte ihn.
„Was denn?“, fragte er gereizt, aber Anja winkte nur ab. „Ich hab nichts gesagt.“
Wieder vertiefte sich Thamm in sein Stück Kuchen. Anja hob ein Magazin vom Boden auf und blätterte lustlos darin rum. Irgendwann warf sie es resigniert wieder von sich. „Lesen ist echt die Härte“, seufzte sie.
„Verschwimmt immer noch alles?“, fragte Thamm nach. „Die hätten dir gleich hinterher eine Blutkonserve geben müssen. Mindestens.“
Anja richtete sich energisch auf. „Das weiß ich auch, aber jetzt ist es nun mal halt so“, fauchte sie ihn dabei an.
„Ich mein ja nur“, trat Thamm nach diesem unerwarteten Anschiss vorsichtig den Rückzug an. In den letzten Wochen ging Anja auf die kleinste Vorlage ab wie Schmidts Katze. Fast hatte Thamm den Eindruck, dass sie absichtlich alles in den falschen Hals bekam. Und so sehr er sich auch am Riemen zu reißen versuchte – nicht immer konnte er so ganz auf ihren angekratzten Zustand Rücksicht nehmen und den Kürzeren ziehen. Und so murmelte er auch jetzt trotzig: „Ich dachte ja nur, du als Krankenschwester … “ Mehr brauchte er gar nicht zu sagen. Anja, die sich gerade erst ihre Kaffeetasse vom Tisch geholt hatte, stellte sie krachend wieder zurück. „Entschuldigung, aber lieg du doch mal da rum und press vier Stunden lang ein Baby aus dir raus“, fuhr sie ihn wütend an. „Ich wette, da denkst du nicht drüber nach, ob die Kolleginnen alles richtig machen und dass du jetzt eigentlich noch eine Transfusion bräuchtest.“
Thamm bemerkte sofort, dass er schon zu weit gegangen war. Blitzschnell versuchte er, zurückzurudern. „Ich mein ja nur … “, druckste er vor sich hin – wieder! –, aber dadurch verlor Anja kaum an Fahrt. „Du hast ja auch gut reden. Aber ich durfte das alles ganz alleine ausstehen. Wo warst du denn, bitte schön, als die Wehen