Männerblues. Bernhard Spring

Männerblues - Bernhard Spring


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einen Tag?“, fragte Thamm ungläubig, „der soll’s bringen?“ Stille. Thamm fragte sich, ob er Anja seine Meinung zu hart an den Kopf geworfen hatte. Ihr Schweigen verunsicherte ihn. Dass sie doch immer wieder am längeren Hebel saß, ärgerte er sich und noch mehr darüber, dass er jetzt seine Hand an ihren Nacken legte und sie zärtlich streichelte. Schon wieder eingeknickt, dachte er und verfluchte insgeheim seine Weichheit.

      „Ich hab Mama gefragt, ob sie nicht die ganze Woche bleiben kann“, sagte Anja plötzlich in die Stille rein. Thamms Hand in ihrem Nacken erstarrte. Deshalb hatte sie so rumgedruckst und gezögert. Das hatte gar nichts mit ihm zu tun – sie, sie hatte was auf dem Kerbholz! Thamm war wie vor den Kopf gestoßen. „Wann?“, fragte er bloß.

      „Als du mit Benni draußen – das ist doch jetzt egal.“ Anja hatte ihre alte Sicherheit zurückgewonnen. „Du gehst die ganze Woche auf Arbeit und bist fein raus. Und ich hab hier alles am Hals. Ich kann nicht einfach weg.“ Thamm traute seinen Ohren nicht. Was glaubte denn Anja, was er den ganzen Tag machte?

      „Ich brauche einfach ein bisschen Hilfe, was ist denn schon dabei? Das soll doch nur vorübergehend sein.“

      Thamm atmete tief durch.

      „Und wo soll sie in der Zeit übernachten?“

      Die Antwort kam prompt. „Na, wir haben doch dein Arbeitszimmer.“ Das war’s! Sein letzter Rückzugsort, die letzte kleine Ecke im ganzen Haus, die er noch für sich allein hatte, sollte er jetzt auch noch verlieren – und ausgerechnet an seine Schwiegermutter!

      „Ich finde das nicht gut“, knurrte er patzig. „Deine Mutter ist auch nicht mehr die Jüngste, die geht hier die Wände hoch. In einer Pension hätte sie Abstand, da könnte sie sich zurückziehen, wenn’s ihr hier zu viel … “

      „Jetzt hör aber mal auf!“, fuhr ihn Anja verärgert an. „Seit wann machst du dir denn Sorgen um meine Mutter? Und überhaupt, so weit kommt’s noch, dass ich meine eigene Mutter in eine Pension stopfe! Du wirst doch mal die paar Tage mit ihr auskommen. Und auf dein heiliges Arbeitszimmer verzichten können, oder? Und was regst du dich eigentlich so auf? Du bist doch eh fast den ganzen Tag im Büro.“

      Die Standpauke hatte sich ordentlich gewaschen. Nicht nur Thamm hatte es die Sprache verschlagen, auch Benni schluchzte leise im Traum.

      „Und jetzt ist Schluss“, beendete Anja ihre Tirade abrupt, noch bevor Thamm sich irgendwie fangen und weitermaulen konnte. Die Vertreibung aus dem Paradies – jetzt war sie perfekt, dachte er verbittert.

      Am Telefon war Wolff.

      „Die Zentrale hat gerade bei mir angerufen.“

      „Und?“, fragte Thamm verschlafen.

      „Ich dachte, du willst vielleicht mitkommen. Hab ich euch geweckt?“

      Thamm atmete tief durch. Irgendwo entfernt hinter sich hörte er Anja die Treppe hochgehen. Jetzt hatte sie Benni doch noch Milch gemacht, der Junge war anders nicht mehr zu bändigen, nachdem er nun zum zweiten Mal aus dem Schlaf gerissen worden war.

      „Ach“, machte Thamm resigniert, und dann: „Um was geht’s denn?“

      „Ganz großes Kino, versprech ich dir“, lachte Wolff ins Telefon, „wird dir ganz sicher gefallen. Ist am Bahnhofsplatz.“

      „Wo genau?“

      Wieder dieses Lachen. Wie konnte der um die Uhrzeit schon so gut drauf sein? „Siehst du dann schon. Bis gleich.“ Und aufgehängt. Thamm stand im stockdusteren Wohnzimmer, nur in Shorts, das Telefon in der Hand und kam sich ziemlich verarscht vor. Schöner Kollege, dachte er, kann immer noch nicht richtig telefonieren.

      Langsam trottete er in den Flur. Dort oben wollte er jetzt lieber mal nicht stören. Anja würde ihm wieder eine Gardinenpredigt halten, die alte Leier: Wann holst du endlich mal einen zweiten Apparat für das Schlafzimmer – warum stellst du das Telefon nachts nicht aus – oder wenigstens auf Vibration?

      Aber seine Klamotten lagen noch oben. Thamm überlegte nur kurz, dann ging er in den Haus-Wirtschaftsraum und stieg in seine ausgebeulte Gartenhose. Das alte Hemd, das er zuletzt zum Schuppenstreichen getragen hatte, war auch noch da. Es roch leicht, aber wer sollte das schon merken, mitten in der Nacht. Thamm knöpfte es zu und ging zurück in den Flur und ein paar Stufen die Treppe rauf. „Ich muss noch mal los“, flüsterte er die Rest des Wegs hoch bis zum Schlafzimmer. Dort oben regte sich nichts, keine Antwort, nicht mal ein Räuspern. Anja schlief vielleicht schon wieder, dann war es nicht schlimm, wenn er jetzt ging. Und wenn nicht – dann hatte das auch noch Zeit bis später, dachte Thamm, schlüpfte in die abgewetzten Gartenlatschen – ohne Socken würde er ja doch nur so eklig in seine Turnschuhe schwitzen – und schloss vorsichtig die Haustür auf.

      Auch den alten Nissan ließ er möglichst leise unter dem Vordach vor und aus der Einfahrt rollen. Langsam fuhr er durch die Junkerstraße, bog an dem Haus auf der Ecke, das jetzt leer stand, in die Alte Lauchstädter Straße ein und brauste nun mit ordentlichem Tempo in Richtung Innenstadt.

      „Scheiße“, fluchte Thamm vor sich hin, als er jetzt erst bemerkte, dass es inzwischen wie aus Kübeln schüttete. Über die Straßen zogen dichte Regenschleier, wie in dünnen Wänden über seine Windschutzscheibe gepeitscht. Unter den Lichtkegeln der Laternen flimmerte es silbrig, über den Asphalt glänzte das hochspritzende Wasser weiß auf – und Thamm hatte keinen Schirm dabei, war ja typisch! Wegen diesem beschissenen Carport, dachte er verstimmt. Anja wollte ja unbedingt, dass es bis zum Haus reicht, damit die Sonne und der Regen … Und das hatte Thamm jetzt davon! Aber es war zu spät, um noch mal umzukehren. Außerdem würde ihm Anja ordentlich den Arsch aufreißen, wenn er nach dieser Aktion mit dem Telefon, das er erst durchs halbe Wohnzimmer hatte suchen müssen, auch noch den Haus-Wirtschaftsraum wegen einem Regenschirm auf den Kopf stellen würde. Mitten in der Nacht.

      Als er an der Bundesstraße hielt, kramte er unter dem Beifahrersitz rum. Vielleicht hatte Anja ja dort einen von diesen kurzen Dingern liegen lassen. Aber außer dem Autoatlas und einer Menge formloser Krümel konnte er nichts ertasten. Dann eben nicht, dachte Thamm angesäuert und setzte mit aufheulendem Motor über die Kreuzung.

      Über die Bebel-Straße kam er in die Lauchstädter und weiter musste er gar nicht. Der Rauch, das vibrierende rote Lodern in dem nachtblauen Himmel war nicht zu übersehen. Scheiße, brannte etwa der Bahnhof? Aber nein, der lag ja weiter links. Auch der Busbahnhof konnte das nicht sein – oder etwa doch?

      Thamm parkte den Wagen am Straßenrand, direkt bei den Gleisen, und ging durch die Unterführung. Bis hierher war der Gestank noch nicht gekommen, hier roch es wie immer einfach nur nach Pisse und Penner. Thamm sah zu, dass er diesen gekachelten Tunnel schleunigst hinter sich bekam, nahm die Treppe am anderen Ende mit wenigen Sätzen – und erstarrte.

      „Ach du meine Fresse“, stieß er fassungslos hervor.

      „Ja, nicht wahr?“, hörte er jemand neben sich sagen. „Sieht man auch nicht alle Tage.“

      Thamm wandte sich um. Ein Feuerwehrmann, der auf das Feuer glotzte und sich dabei einen abgrinste. „Bei uns in Lochau brennt vielleicht mal der Acker oder wir haben eine Ölspur. Aber so was hier, das ist doch mal ne Nummer.“

      „Und was machen Sie hier?“, fragte Thamm. Langsam tastete er sich an seine Dienstzeit heran, der Polizist kam allmählich in ihm hoch.

      „Na was wohl? Ich warte auf den Schlauchtrupp, die wollen hier noch eine Verbindung legen. Aber der Hydrant ist total verrottet, schauen Sie sich das mal an.“ Der Mann deutete auf einen kleinen Metalldeckel am Straßenrand. „Die holen mal schnell irgendwas zum Freikratzen.“

      „Und Sie?“, fragte Thamm nach.

      „Sehen Sie doch“, trumpfte der Kerl auf. „Ich pass auf die Schläuche dort auf.“ Wieder ein Wink nach hinten, wo ein paar von den roten Rollen lagen. Alles klar, dachte Thamm, einer von der ganz cleveren Sorte.

      „Na, und Sie?“, fragte mit einem Mal der Feuerwehrmann, wahrscheinlich durch Thamms Nachfragen hellhörig geworden. „Wie kommen Sie eigentlich durch


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