Pappelallee. Andreas H. Apelt

Pappelallee - Andreas H. Apelt


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      Der hat doch nur seine Bücher im Kopf, sagt Frenzel. Amüsieren kann der sich doch gar nicht.

      Eben, ruft seine Braut, so ein paar Frauen sollten da nicht schaden! Und meine Freundin Rosi können wir doch nicht dem Getschmar überlassen!

      Getschmar ringt sich ein Lächeln ab.

      Den Hülsmann hat heut noch keiner gesehen, soll ja immer im Wiener Café sitzen. Die Jugend eben, immer quatschen, aber vom Arbeiten wollen die nichts hören.

      Nein, der hat sonst auch nichts zu bieten, sagt Getschmar und ordnet mit einer Hand die dünnen grauen Härchen.

      Aber ist zwanzig Jahre jünger, ergänzt die Nusselbeck leise, sodass es der Getschmar nicht hören kann.

      Ist ja gut jetzt, ruft Frenzel und nimmt den Refrain wieder auf: Wir ziehen los

      Ist das wirklich so ein Bücherwurm, der Hülsmann?, fragt jetzt die Rosi ungeduldig.

      Natürlich, ruft Getschmar. Und Getschmar muss es wissen. So einem Hausbuchführer entgeht eben nichts. Der kommt, schnauft er, doch aus der Wohnung nicht raus. Ist doch auch bloß so ein Schreiberling. Sieht man ja schon, wie der aussieht. In dieser Montur hätten sie ihn früher abgeholt, aber nein, jetzt ist das ja schon normal. Jedenfalls für diese Menschen vom Theater. Da soll man mal die Welt verstehn. Weiß gar nicht, wovon der lebt, als Handwerker ist es ja da auch nicht so dolle mit dem Geld, wenn Sie verstehen. Also von wegen ein richtiger Mann, da haben wir hier im Haus ganz andere Kerle!

      … mit ganz großen Schritten

      Das kann ich mir denken, antwortet die Braut und zwinkert Getschmar zu. Dabei spielt sie mit der Zunge in den Mundwinkeln, dass dem Getschmar ganz anders wird. Und das gerade jetzt, wo Erwin der Heidi von hinten an die Schulter fasst. Ja, da kommt Stimmung auf!

      Vor einigen ist wirklich niemand sicher. Nur an die Hexe traut sich keiner ran!

      Genau, ruft Frenzels Sohn, die Jankowitz, der möchte man lieber nicht begegnen. Das gibt Albträume. Hexenalbträume.

      Die Hochzeitsgäste lachen.

      Also, dann schnell weiter, nicht dass die Hexe noch aufmacht, ruft die Nusselbeck, das gibt einen Schreck fürs Leben. Dann doch lieber die Kerle. Die können doch nicht alle weg sein.

      Oder doch?

      Was ist denn mit dem Voss von oben?

      Keiner da, ruft Frenzels Sohn, der mit seinem Irokesenschnitt den Abschluss der Polonaise bildet. Hättest du eben vorher einladen sollen.

      Wusste ja nicht, dass das so lustig wird, verteidigt sich die Braut und stößt ihre Freundin an. So geht es weiter, … mit ganz großen Schritten und Erwin fasst der Heidi von hinten an die Schulter …, was Getschmar nun irgendwie missversteht, sodass die Nusselbeck alias Frenzel jedes Mal bei eben dieser Textstelle aufkreischt.

      Frenzel ändert daraufhin das Liedgut und schon sind die Kreuzberger Nächte wieder lang. Aber dann, aber dann

      Nur Getschmar scheint der Text ganz und gar nicht zu passen. Prenzlberger Nächte sind lang, singt er lauter als alle anderen.

      Ein komischer Vogel ist er ja.

      Wer? Der Graustock?

      Nein, der natürlich auch. Aber ich mein den Hülsmann.

      Ach der, jaja, wie der schon rumläuft. Mit dieser schweren alten Zimmermannskluft. Und das nur wegen der großen Taschen und dem Stoff, der so derb ist, dass der noch in hundert Jahren hält. Nur waschen kann das keiner.

      Ja, das sieht schon komisch aus, ein bisschen wie früher. Und der Hut erst. Vielleicht weil keiner die langen schwarzen Haare sehen soll.

      Also ein Gang zum Friseur könnte da nicht schaden.

      So gehen sie auseinander, die Frenzel und die Postfrau. Vorn im Hauseingang, wo die Briefkästen in einer langen Reihe an der Wand hängen.

      Doch Hülsmann ist das egal. Genauso wie ihm vieles andere auch egal ist. Lebt eben sein eigenes Leben, da im zweiten Stock eines Mietshauses im Pappelkiez, Prenzlauer Berg. Fährt zur Arbeit ins Theater, Frühschicht oder Spätschicht, schiebt die Kulissen hin und her, baut auf und ab, trägt was hierhin und dorthin. So wie man das macht, wenn man sich Theaterarbeiter nennen darf. Oder besser Theaterhandwerker, was auch nichts anderes ist als ein Kulissenschieber. Und damit die unterste Ebene der Hierarchie im Theater beschreibt. Da ist der Lothar schon was anderes als Theaterelektriker oder die Leute auf dem Schnürboden oder gar die Requisiteure.

      Aber Hülsmann ist auch das egal. Wenigstens, er ist am Theater. Und das wegen der Stücke, ob am Abend oder in den Proben. Es sind die Dialoge, die es ihm angetan haben. Dialoge?

      Ja, Dialoge. In den Worten spiegeln sich die Seelen der Menschen, sagt er. Es ist wie das Abschreiten eines unbekannten Terrains. Ein Schachspiel mit Worten und unvorhersehbarem Ausgang. Umso komplizierter, desto besser. Am Ende gibt es immer einen Sieger. Oder zwei Verlierer.

      Und das nur wegen der Sprache. Die Sprache verrät die Menschen. Dazu brauchen sie gar nicht handeln. Die Sprache verrät sogar das Denken.

      Also dann doch wieder Dialoge. Das Aufeinanderprallen von Gefühlsarmeen und Denkpolizisten. Egal ob Heiner Müller oder Molierè, alles interessiert ihn. Vielleicht weil er selbst schreibt, aber das ohne Erfolg. Theater! Als wenn die Welt nicht Theater genug ist.

      Hülsmann bringt es so zu nichts, wie schon Frau Neumann bei der letzten Aussprache betonte. Und die weiß es genau. Ist schließlich Kaderleiterin an der Volksbühne. Eine Autorität also und das will schon was heißen. Oder könnte zumindest.

      Da hat Hülsmann nur gelacht, den schwarzen Hut wieder aufgesetzt und das Zimmer der Kaderleiterin verlassen. Wozu sollte er es bringen?

      Er hat doch was, etwa eine Freundin, eine echte, und die ist immerhin Ärztin, auch wenn der Vater Katharinas gegen diese Beziehung ist. Aber was anderes kann auch Hülsmann nicht erwarten, schließlich ist der Vater in der Partei und dann noch ein Sekretär. Und Parteisekretäre, egal an welcher Institution sie auch immer arbeiten, werden sich immer schwertun mit Menschen wie Hülsmann. Menschen, die so gar nicht in das Bild der Gesellschaft passen, wie der Vater das sagt. Und Heinrich Hoffmann, wie der Vater heißt, hat dafür immer ein Gefühl, ob jemand passt oder nicht. Schließlich hat er Lebenserfahrung.

      Kein Wunder, denn dank der gesellschaftlichen Bedingungen, wie er bei jeder Gelegenheit betont, hat er sich hocharbeiten können. Und das aus ärmlichen Verhältnissen. Die Mutter Putzfrau, der Vater Schaffner. So ist aus dem Dreherlehrling eines Schwermaschinenkombinats ein Propagandist und aus dem Propagandisten ein FDJ-Sekretär geworden. Dazu bedurfte es einiger Anstrengung, die Heinrich Hoffmann nicht scheute. Parteilehrjahr heißt so eine Anstrengung, also Schulung, sozialistische Ökonomie und Marxismus-Leninismus, damit das Ganze eine Grundlage hat. Lernen, lernen, nochmals lernen war einer der Wandzeitungssprüche, mit denen Hoffmann groß geworden ist und die er ganz und gar verinnerlichte. Wenn dann noch ein fester Klassenstandpunkt hinzukommt, kann nichts mehr schiefgehen. Gar nichts mehr.

      Hoffmann lächelt. Es ist so ein vielsagendes überhebliches Lächeln. Am Ende ist aus dem FDJ-Sekretär ein Parteisekretär im Kabelwerk Oberspree geworden. Einer, der jetzt hinter einem großen Bürotisch sitzt und sich nicht mehr die Hände schmutzig machen muss. Dafür ist er eine Art zweiter Betriebsdirektor mit weitgehenden Vollmachten, wenn es um den Produktionsprozess und die Planerfüllung geht. Und er kann in verantwortlicher Position am Sieg des Sozialismus arbeiten. Was schon schwer genug ist. Auch wenn die Republik in wenigen Monaten ihren 40. Geburtstag feiert. Geschafft ist es noch lange nicht.

      Entsprechend missmutig schaut er mit berechtigtem Argwohn auf die Entgleisungen in der Gesellschaft. Da vergeht ihm das Lächeln gleich.

      Muss doch nur daran denken, was da los ist in Budapest und neuerdings sogar in Berlin. Da sollen irgendwelche Bürger zur BRD-Botschaft und wollen am liebsten bleiben


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