Affentanz. André Bergelt

Affentanz - André Bergelt


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      „Einfach so weiterzumachen wie bisher, hat ja auch keinen Sinn.“

      „Du hast also vor, ein ganz normales bürgerliches Leben zu führen?“

      Ich sehe zu meinem italienischen Freund und frage: „Was genau meinst du mit bürgerlich?“

      „Na, mit Haus und Hof und Hund und so“, antwortet Luca.

      Ich umklammere die Wodkaflasche. Ein unangenehm stechender Schmerz steigt mir langsam die Speiseröhre hoch. Ich schlage mir mit der Hand auf den Brustkorb und atme tief durch.

      Luca sieht mich besorgt an: „Alles klar bei dir?“

      „Weißt du, meine russische Tante, die hat ihr ganzes Leben allein verbracht. Sie wollte frei und unabhängig sein. Am Ende aber ist sie derart vereinsamt, dass sie angefangen hat, Pendel zu schwingen. Nebenher hat sie sich mit billigen Bonbons vollgestopft und kiloweise Schokolade vernichtet. Irgendwann hat dann ihre Bauchspeicheldrüse versagt, und da sie wie fast alle Sowjetrussen eine Ärzte-Phobie hatte und partout nicht ins Krankenhaus wollte, ist sie jämmerlich daheim zugrunde gegangen.“

      Luca schüttelt bestürzt den Kopf.

      „Die Schwester meines Großvaters ist auch als Single von dieser Welt gegangen.“

      Ich schüttle ungläubig den Kopf.

      „Ja, wirklich. Erst ist ihre Lieblingssau aus heiterem Himmel an einer Lungenentzündung verreckt. Zwei Wochen später ist sie dann selbst gestorben. Hatte sich wohl bei ihrer Sau angesteckt.“

      Ich sehe Luca mitfühlend an, klopfe ihm auf die Schulter und sage: „Einsamkeit, Luca, Einsamkeit ist schlimmer als Krebs oder die Pocken. Der Mensch ist nicht dafür geboren, allein zu sein. Vor allem aber hindert Einsamkeit einen daran, kreativ erfolgreich zu sein, egal ob man sich nun als Künstler oder Koch durchschlägt.“

      „Oh Mann, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber irgendwie hast du Recht, unser Leben ist echt nicht einfach“, seufzt Luca, während ich ihm nachschenke.

       Nach fünf weiteren Runden Wodka auf Lucas Rechnung fühle ich plötzlich, wie meine Energie zurückkehrt.

      Ich nehme das Zweithandy meines Mitbewohners zur Hand, wähle die Nummer unseres Dealers und gebe meine Koordinaten durch. Luca fallen sofort die Gesichtszüge ein. Er ist für den nächsten Tag für die Frühschicht eingeteilt und hat ganz offensichtlich keine Ambitionen, sich noch im Zoo die Kante zu geben.

      „Ach komm schon, was willst du denn allein daheim, an einem Samstagabend? Du bist doch keine alte Frau“, versuche ich, den Italiener zum Mitfeiern zu überreden.

       Noch während Luca mir seine vertrackte Situation darlegt, fährt draußen der bestellte Lieferservice vor.

      Ich steige zu unserem Mann ins Auto, lasse mich auf den üblichen Plausch ein und bezahle den bestellten ‚Proviant‘. Freudig kehre ich in die Bar zurück.

      „Und, bist du bereit, mein Freund?“, frage ich und sehe Luca herausfordernd an.

      „Ehrlich gesagt, habe ich kein gutes Gefühl. Ich dachte, wir wollten nicht mehr so viel feiern, auch wegen deiner Installation und der vielen Arbeit, die damit verbunden ist. Außerdem hattest du mir versprochen, meine Steuer fertigzumachen.“

      „Mach dir mal keine Sorgen, deine Steuer mache ich dir kommende Woche fertig.“

      Luca rollt mit den Augen und sieht mich kopfschüttelnd an.

      „Wir sind zu alt für so was. Glaub mir, wir sind definitiv zu alt.“

      „Komm schon, Luca. Bist du müde oder Rüde? Oder hast du kein frisches T-Shirt dabei?“

      „Ein frisches T-Shirt habe ich immer dabei“, antwortet Luca und grinst breit.

      „Also, ja oder ja?“, frage ich und schenke Luca nach.

      „Na gut, was soll’s“, gibt Luca sich geschlagen, wohl wissend, wie der Abend jetzt weitergeht und dass er sich den so dringend benötigen Schlaf in die Haare schmieren kann.

       Wir stehen auf, durchqueren den hinteren Gästeraum und betreten unsere persönliche VIP-Lounge, den von Lale stets 1a gewienerten Vorraum der Damentoilette.

      Aus den von mir an der Decke installierten Boxen hört man einen experimentellen Mix aus O-Tönen, die ich in der altaischen Hochebene eingefangen habe. Ich schließe die Tür hinter mir ab, hole den erstandenen Stoff hervor und bastle uns binnen weniger Sekunden zwei riesige Lines. Luca reicht mir einen gerollten Schein.

      Ich beuge mich über den nach Katzenpisse duftenden Stoff, sehe mit einem schelmischen Grinsen zu Luca hoch und flüstere: „So lange ich mir nicht wie meine russische Tante in die Tasche lüge, ist es mir egal, mit wem ich am Ende glücklich werde.“

      Kurz darauf auf der unteren Tanzfläche des Zoo. Basslastiger Sound durchdringt Hirn und Magen, das Stroboskoplicht durchschneidet die Dunkelheit.

      Luca wippt wie ein Tanzbär hin und her und tut sich schwer, den richtigen Rhythmus zu finden. Auch ich rudere mit den Armen herum, trete unbeholfen Löcher in die Luft und schaue vergeblich nach mir bekannten Gesichtern. Dabei gab es eine Zeit, da kannte ich fast jeden hier. Nicht nur die Stammgäste, auch das Barpersonal, die Putzbrigade und natürlich das Türsteherkollektiv. Doch über die Jahre haben sich Belegschaft und Publikum stetig verändert. Mittlerweile habe ich an manchen Tagen den Eindruck, überhaupt niemanden mehr zu kennen. Entweder weil keiner meiner Bekannten da ist oder weil ich zu betrunken bin, um die wenigen, die da sind, zu erkennen.

      Einen Monat später ist dann plötzlich wieder alles wie früher. Man trifft auf alte Freunde, erfährt, wer jetzt mit wem ein Kind hat und wieso und wie lange Dealer XY im Knast sitzt. Anschließend geht man zusammen auf Toilette, zieht sich gegenseitig den guten Stoff weg und kramt die alten Geschichten hervor. Am Ende gibt man sich noch mehr die Kante als sonst und tut so, als sei die Zeit stehen geblieben – clubtypischer Anachronismus eben. Und dennoch ergreift mich jedes Mal ein seltsam erhebendes Gefühl, wenn ich die heiligen Hallen des Zoo betrete. Dieser erste, stets aufwühlende Gang durch die untere Säulenhalle, das anschließende Erklimmen der Stahltreppe hinauf zur minimalistisch ausgeleuchteten Tanzfläche, wo einem der Sound der besten Berliner Musikanlage gnadenlos in die Fresse kracht. All das ist bombastisch. Ich zumindest kenne keinen anderen Club, der mit einer solch eigenen Mischung aus Düsternis und Erhabenheit überzeugt. Der mich, kaum dass ich einen Fuß hineingesetzt habe, gleich einem urzeitlichen Organismus verschlingt.

      Das viele Nachdenken macht mich durstig. Ich sehe zu Luca, deute mit der Hand zur seitlich der Tanzfläche liegenden Bar hinüber und brülle: „Trinken?“

      Luca nickt, dreht sich um und bahnt sich einem Bulldozer gleich den Weg durch das zappelnde Feiervolk.

       Ich nutze den entstehenden Korridor und folge meinem Freund an die Bar.

      „Mann, ist das eine Hitze hier“, keucht Luca, drückt mir einen Wodka-Bull in die Hand und flirtet ansatzlos zwei spanischsprechende Mädels an.

      Lucas Augen fangen an zu lachen, sein Becken schwingt im Rhythmus der Musik mit. Es sieht aus, als wollte er im wahrsten Sinne des Wortes beim weiblichen Geschlecht andocken.

      „Ich dachte, du stehst nicht auf Spanierinnen“, sage ich und mache einen erstaunten Gesichtsausdruck.

      Luca zuckt mit den Schultern.

      „Ich stehe nicht auf spanischen Fußball. Alles andere ist mir egal. Iberisch, baskisch, katalonisch, Hauptsache, die Post geht ab!“

      „Aber sind das nicht alles verklemmte Katholiken?“

      Luca lacht auf.

      „Glaube mir, je gestörter der Kopf, desto besser der Sex!“

      Ich nippe an meinem Wodka-Bull und überlasse Luca den beiden Spanierinnen. Nach fünf Minuten Gekicher


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