Affentanz. André Bergelt
dass du dich verlierst und gar kein Land mehr siehst.“
„Aber du bist doch auch nicht in der Lage, dich einer spirituellen Kraft unterzuordnen. In die Synagoge gehst du doch nur an Feiertagen, und den Talmud, der da so demonstrativ in deinem Bücherregal steht, hast du den etwa gelesen?“
„Es geht doch nicht darum, irgendwelchen religiösen Mustern oder Traditionen zu folgen“, antwortet Mischa.
„Um was geht es denn?“, frage ich.
„Es geht darum, zu wissen, wer man ist und wo man hingehört.“
„Ach, und du weißt, wo du hingehörst?“
„Na logisch weiß ich das. Ich hintergehe zwar gelegentlich meine Frau, und ja, sie hat mich gerade aus unserer gemeinsamen Wohnung rausgeschmissen. Aber prinzipiell weiß ich, wo ich hingehöre und welchen Prioritäten ich mich unterzuordnen habe. Ich bin verheiratet, habe eine kleine Tochter, lebe für meine Familie und glaube an die Selbstverwirklichung innerhalb der kapitalistischen Konsumgesellschaft.“
„Gerade noch wolltest du zum Islam wechseln, um tausendundeine Frau zu knallen, und nun erklärst du mir, dass dir deine Familie am wichtigsten ist?“
Mischa breitet die Arme aus und lächelt mich zufrieden an.
„So ist es, mein Freund.“
Ich schüttle genervt den Kopf und versuche, das Gesagte nicht an mich heranzulassen. Zu spät, gnadenlos wechselt mein Hirn in seinen Frage-Terror-Modus: ‚War mein Lebenswandel tatsächlich derart unstet? Neigte ich in Bezug auf meine Arbeit deshalb zu chronischen Neustarts? Stand ich mir am Ende gar selbst im Weg?‘
Da mein Kopf mich regelmäßig auf diese Weise ins Kreuzverhör nahm, wusste ich, was in solchen Momenten zu tun war. Es galt, die unangenehmen Fragen mit Alkohol und niederer Unterhaltung zu torpedieren, so lange, bis diese sich verpisst hatten.
Nach einer Viertelstunde konzentrierten Fußballschauens und zwei doppelten Single Malt habe ich meine Gedanken endlich wieder im Griff.
Mein Kopf ist befriedet und ich der Überzeugung, dass alles nur eine Frage der Zeit und des sich verändernden Energieflusses ist und es sich definitiv nicht lohnt, sich von Mischas kruden Hypothesen den Abend versauen zu lassen. Schon in wenigen Tagen würden sich meine Endorphin-Depots regeneriert haben. Dann würde sich alles wie von selbst finden. Es gab also keinerlei Grund, sich derart verunsichern zu lassen.
Entspannt sehe ich zu Mischa, deute auf die vor dem Bücherregal stehende schwarze Reisetasche und frage: „Dein neues Mikrofonset ist aber auch dabei, oder hast du das vorsorglich rausgenommen?“
Mischa überlegt einen Moment lang.
„Nein, mein neues Set ist nicht dabei.“
„Aber ein einheitliches Mikrofonset würde mir meine Arbeit deutlich erleichtern.“
„Du wolltest mit vier herkömmlichen Mikrofonen eine Flächenatmosphäre nachstellen. Deshalb habe ich dir vier Mikrofone besorgt. Von meinem neuen Set war nie die Rede. Außerdem kannst du dir so ein hochwertiges Mikroset gar nicht leisten.“
„Wie viel muss ich denn abdrücken, wenn das neue Set nicht dabei ist?“
„Dreihundertfünfzig.“
„Aber so viel habe ich gar nicht.“
„Du kannst mir die Miete in Raten zu je fünfzig Euro abstottern, vorausgesetzt, du zahlst einen Hunderter an.“
Ich hole mein Portemonnaie hervor und versuche, mir einen Überblick über meine Barbestände zu machen.
„Wenn ich dir einen Hunderter anzahle, bin ich faktisch pleite.“
„Keine Hände, keine Kekse“, antwortet Mischa und dreht den Ton des Fernsehers lauter.
„Und ich dachte, wir sind Freunde. Oder hat der Mann, der an die Selbstverwirklichung innerhalb der Konsumgesellschaft glaubt und sich weigert, weiter Geld in meine Installation zu investieren, keine Freunde?“
„Natürlich sind wir Freunde, mein Lieber. Deshalb mache ich dir ja auch einen Freundschaftspreis“, erwidert Mischa.
„Dreihundertfünfzig, das ist doch kein Freundschaftspreis. Dafür könnte ich den Schrott ja schon fast kaufen“, antworte ich.
„Dann kaufe ihn dir doch, den Schrott. Dann musst du auch kein Geld mehr für Technikmiete ausgeben“, erwidert Mischa gereizt.
„Schon gut. Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen. Ich bin nur gerade etwas knapp bei Kasse. Es wäre daher schön, wenn du mir den Gesamtbetrag stunden könntest?“
Mischa tut so, als er hätte er meine letzte Frage nicht gehört. Er kneift die Augen zusammen und versucht, den Spielstand abzulesen. Ich packe mein letztes Geld auf den Tisch, trinke meinen Whisky aus und stehe auf. Mischa sieht verdutzt zu mir.
„Wie denn, du willst schon los? Ich dachte, wir schauen noch das Spiel bis zu Ende?“
Ich nehme mich der Tasche an und checke die Technik.
„Ich verpasse sonst die letzte Bahn. Keine Angst, meine Sonne, du bekommst deine erste Rate spätestens Ende des Monats, versprochen.“
Mischa zählt mein Geld, steckt es sich in die Hose und steht ebenfalls auf.
„Ich weiß, dass du ein ehrenwerter Geschäftsmann bist. Ach, und manchmal ist es gut, wenn man jemanden an seiner Seite hat, der einem nicht nur nach dem Mund redet. Jemand, der einem ein Stück weit die organisatorische Verantwortung abnimmt. Jemand, der musikalisch kompetent ist und eine unabhängige Meinung einbringt.“
Ich wuchte die Tasche hoch und drehe mich zu Mischa um.
„Nun, ich hatte gerade versucht, dich zu überzeugen, nicht aus dem Projekt auszusteigen. Um das finanzielle Risiko überschaubar zu halten. Aber eher geht wohl ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass du ein Underground-Musik-Projekt bis zu dessen Vollendung sponserst.“
Mischa schenkt mir ein breites Lächeln und umarmt mich zum Abschied.
„Vergiss nicht, wenn man allein arbeitet und auch alle Entscheidungen selbst trifft, besteht die Gefahr, dass man vor lauter Arbeit den Blick fürs Wesentliche verliert.“
„Ich bin nicht allein, Mischa. Meine Gedanken, meine Bilder und Ideen sind stets bei mir.“
„Na, dann hoffe ich für dich, dass dir deine Gedanken weiter beistehen“, sagt Mischa und geleitet mich zur Tür.
„Du wirst sehen, diese Klanginstallation wird mein Durchbruch werden. Ein Auftritt im Zoo ist wie eine Aufführung am Broadway. Allein der Fakt, dass man sich auf dieser Bühne präsentiert, katapultiert einen in die Top 20 der Berliner Kunstszene. Danach werde ich mir eine ganze Schar an Mitarbeitern und Assistenten leisten können. Du darfst dann gern als Buchhalter bei mir anfangen und mein Geld zählen“, erwidere ich.
KAPITEL 3
Zwei Tage später um acht Uhr morgens auf dem Flughafen Tegel. Ich stehe vor der Anzeigetafel. Die Maschine meines Mitbewohners hat Verspätung. Zerknirscht setze ich mich in die Cafeteria und bestelle einen Kaffee.
Trotzdem ich die letzten beiden Nächte durchgearbeitet habe, bin ich noch immer keinen Schritt weiter. Die Bilder aus meinen Archiven sagen mir nicht mehr zu. Auch mein Versuch, meinem musikalischen Konzept mittels weniger Umstellungen neues Leben einzuhauchen, ist nicht aufgegangen.
„Das macht vier fünfundneunzig!“
Ich sehe zu der Serviererin auf. Das dicke Mädchen sieht mich gelangweilt an und wartet auf eine Reaktion meinerseits. Ich fummle einen Schein hervor.
„Mach fünf und kauf dir was Schönes!“
Das dicke Mädchen nimmt mir das Geld aus der Hand und watschelt Flüche murmelnd davon. Ich nehme mir die aktuelle Ausgabe des „Star-Magazin“ zur Hand. Im Leitartikel