Affentanz. André Bergelt
zu und ziehe entschuldigend die Schultern hoch.
„Ja schon. Aber der Mann, auf den es ankam, ist gar nicht erst erschienen.“
„Der Zoo-Booker ist nicht dagewesen? Und wieso erfahre ich das erst jetzt?“
„Habe ich dir alles gemailt, letzte Woche schon.“
„Ich habe nichts bekommen“, erwidert Mischa und sieht mich verwundert an.
„Ich habe ihn eingeladen, und er ist nicht gekommen. Außerdem hat mir ein befreundeter DJ gesteckt, dass der Zoo-Booker großen Wert auf Exklusivität legt. Mein Installations-Konzept ist aber strenggenommen zwei Jahre alt. Wenn ich also wirklich sichergehen will, dass der Zoo-Booker auf meine Arbeit abfährt, muss ich nochmal gründlich Hand anlegen.“
„Und wo wirst du deine neue Installation präsentieren? Im Hinterhof eures Mietshauses oder auf dem Kinderspielplatz in Weißensee?“
„Auf dem Schwarzlicht-Festival, auf deren Talent-Floor. Da präsentiert sich dieses Jahr der musikalische Nachwuchs Berlins. Zwar gibt es nur eine begrenzte Zahl an Startplätzen, mein Mitbewohner kennt aber die rechte Hand des Veranstalters. Der wird mich entsprechend empfehlen.“
Mischa nickt stumm vor sich hin. Er überlegt einen Moment lang, sieht zu mir und sagt: „Nimm es mir bitte nicht übel, aber meine Entscheidung steht fest. Ich bin nicht mehr in der Lage, dein Projekt weiter zu sponsern.“
Ich trinke einen Schluck Whisky und genieße das kurze, aber intensive Brennen im Rachen.
„Weißt du, Mischa, mein Anspruch an mich selbst ist irgendwie gewachsen. Meine Musik ist viel klarer geworden. Ich spiele jetzt nicht mehr so viel herum, verliere mich nicht im Klein-Klein. Alles folgt einer Linie, auch das Licht und die Videosequenzen ordnen sich einer leitenden Idee unter. Die Leute verstehen das oft nicht sofort, aber sie spüren es irgendwie, also instinktiv. Sie steigen dann unbewusst auf die von mir kreierten Welten ein und lassen sich davontreiben. Dieser Austausch zwischen Zuhörer und Künstler schafft eine unglaubliche Nähe. Deshalb habe ich auch so viele Fans, im Netz.“
„Fans zu haben ist toll. Aber mit Gefällt-mir-Buttons kann man keine Miete zahlen. Oder gibt es eine neue Tauschbörse im Netz, von der ich noch nicht weiß?“
Ich überlege, was ich meinem russischen Freund auf dessen Einwände hin entgegnen könnte.
Mischa aber kommt mir zuvor: „Wie es aussieht, produzierst du mal wieder ins Blaue hinein. Natürlich hoffst du, dass sich der Aufwand am Ende lohnt. Was aber, wenn du keinen Startplatz für dieses Festival zugelost bekommst? Was, wenn der Zoo-Booker wieder nicht kommt? Was, wenn du wie letztes Jahr abstürzt und wieder wochenlang ausfällst?“
„Ich bin gar nicht mehr so unstet. Ich arbeite sehr viel konzentrierter und fühle eine neue Kraft in mir. Eine Kraft, die mich antreibt und mich voranschreiten lässt. Früher wusste ich oft nicht, warum ich eine Entscheidung treffe. Mir fehlte die Selbstsicherheit und die Ruhe. Doch das alles hat sich mit der Perspektive Zoo grundlegend verändert. Jetzt bin ich in der Lage zu sagen, was ich will und wohin es mit meiner Musik und meinen Bildern geht.“
Mischa beugt sich zu mir, schenkt uns Whisky nach und fragt mit süffisantem Lächeln: „Du bist also reif für die ganz große Bühne? Klingt großartig. Ich steige trotzdem aus. Einen Künstler wie dich kann ich mir im Moment einfach nicht leisten.“
„Kein Problem, dich zwingt ja keiner, dabeizubleiben. Obwohl ich es sehr schade finde, dass du mich in so einer wichtigen Situation im Stich lässt. Und ja, ich denke schon, dass ich für den nächsten großen Schritt bereit bin.“
Mischa hebt sein Glas an und prostet mir zu: „Na dann, auf deine neue Kraft und darauf, dass dir das Projekt nicht irgendwann über den Kopf wächst.“
„Was meinst du damit?“, frage ich und sehe Mischa mit schmalen Augen an.
„Nun, wenn man dir so zuhört, könnte man meinen, du seist Christo und Copperfield in einer Person und hättest vor, den Vatikan mit Hilfe eines überdimensionalen Kondoms verschwinden zu lassen.“
Trotzdem wir gut befreundet sind, fühle ich mich ob Mischas unqualifizierter Kritik angegriffen. Auch sein spontaner Rückzug als mein Hauptsponsor schlägt mir gehörig auf den Magen. Ich fixiere den Russen und knurre: „Das ist ja drollig, dass ausgerechnet du findest, dass ich mich zu wichtig nehme?“
Mischa sieht mich überrascht an und fragt zurück: „Wieso, was ist denn mit mir?“
„Na, überleg mal! Erst hintergehst du deine Frau mit ihrer besten Freundin, und kaum, dass Gras über die Sache gewachsen ist, knallst du euer neues Kindermädchen.“
Mischa zieht die Schultern hoch.
„Ja und?“
„Dein Vergnügen ist dir das Wichtigste. Platz eins für Mischa und seinen unermüdlich ackernden Freudenstab. Alles andere kommt an zweiter Stelle. So weit du beim Ficken überhaupt bis zwei zählst. Wer nimmt sich hier also zu wichtig, du oder ich?“
Mischa winkt ab und antwortet: „Jetzt übertreibst du aber gehörig. Die Affäre mit der Freundin meiner Frau ist gar nicht mehr aktuell. Und unser neues Kindermädchen habe ich bisher nur einmal vernascht. Abgesehen davon bin ich nicht immer uneingeschränkt glücklich mit dem, was ich tue.“
„Nicht uneingeschränkt glücklich? Was genau soll das heißen?“
„Na ja, manchmal frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich als Mormone oder Moslem geboren wäre. Muslime leben nach wie vor polygam und dürfen so viele Frauen haben, wie sie wollen. Als Jude musst du dich inzwischen für eine Einzige entscheiden und dann auch noch bei ihr bleiben. Das wiederum widerspricht meinem Naturell.“
Ich stelle mir Mischa in einem weißen Kaftan und Sandalen vor und muss lachen. Meine innerliche Aggression verpufft.
„Du wärst also lieber Moslem? Du müsstest dann während deines Urlaubs nach Mekka pilgern. Keine besonders leichte Aufgabe, bei deinem Übergewicht.“
„Moslem oder was auch immer. Ich wäre auf jeden Fall gern jemand, der sich und sein Begehren in Bezug auf Frauen nicht ständig moralisch hinterfragen muss.“
Ich schüttle belustigt den Kopf und antworte: „Aber du liebst es doch, moralische Grenzen zu überschreiten, und noch mehr liebst du deinen Genuss.“
„Nun, eigenartigerweise habe ich in letzter Zeit immer mal wieder ein schlechtes Gewissen, vielleicht wäre ich deswegen gern religiöser“, erwidert Mischa.
Ich lehne mich zurück und frage: „Du würdest also freiwillig deine Freiheit und deinen Verstand opfern, nur um im Gegenzug ein klein wenig mehr zur Ruhe zu kommen?“
Mischa rückt ein Stück näher an mich heran.
„Ja, das würde ich. Grenzenlose Freiheit bringt doch auf Dauer eh nur Ärger. Übrigens glaube ich, dass auch dir etwas mehr Spiritualität gut zu Gesicht stehen würde. Sie würde dir Halt geben.“
Ich wende mich kopfschüttelnd ab und sehe zum Fernseher rüber. Der Schiedsrichter hat den Italienern einen Elfmeter zugesprochen. Der Gefoulte schießt selbst – daneben.
„Ich sollte also lieber mit dir in die Synagoge gehen, statt am Wochenende im Club abzuhängen? Glaubst du wirklich, dass mich so ein Schnickschnack weiterbringt?“
Mischa lässt seine linke Hand eine unsichtbare Linie in der Luft nachzeichnen und antwortet: „Na ja, womöglich existiert zwischen deinen exzessiven Abstürzen und deiner unendlichen Sehnsucht nach Anerkennung ja ein Zusammenhang? Ich zumindest habe manchmal den Eindruck, dass du nicht in der Lage bist, dich als Teil von etwas Übergeordnetem zu begreifen. Deshalb fehlt dir auch die nötige Entspanntheit beim Lösen von Problemen.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so ein Fan von Hausfrauen-Psychologie geworden bist. Außerdem, was bitte ist so schlimm an meinen exzessiven Abstürzen?“
„Eigentlich