Affentanz. André Bergelt

Affentanz - André Bergelt


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      Menschen, die nicht reden, werden von ihrer Umwelt ja oft als Bedrohung wahrgenommen und das, obwohl Stille gern mit Harmonie gleichgesetzt wird.

      „Ja, der Club ist ganz ordentlich. Gute Musik, kreative Künstler. Ich überlege selbst, hier zu spielen. Hatte ich dir meiner neuen Klanginstallation erzählt?“

      Er nickt interessiert, während sie weiter meinen Stoff auf ihrem Flyer zerkleinert.

      „Das Untergeschoss ist eigentlich zu verbaut, als dass man einen wirklich guten Sound kreieren könnte“, erkläre ich und wackle wichtigtuerisch mit dem Kopf.

      „Bei uns in Toulouse gibt’s nichts Vergleichbares. Also zumindest nicht so was.“

      Er breitet ehrfürchtig die Arme aus und deutet auf das imposante Gebäude des Zoo.

      „Stimmt“, pflichtet sie ihm bei und reicht mir Flyer und Ziehröhrchen.

      „Südfrankreich hat aber auch was für sich“, antworte ich, taxiere die drei aufgebauten Lines und ziehe die größte.

      „Warst du schon mal in Toulouse?“, fragt er und sieht mich erwartungsvoll an.

      Ich gebe ihr den Flyer zurück und lächle ihn an. Seine mandelförmigen Augen sind in der Mitte dunkelbraun, umfasst von einem bernsteinfarbenen Kranz. Ich muss an einen altaischen Esel denken. Altaische Esel haben riesige, melancholische Augen.

      „Ich mag Esel“, blubbere ich.

      Er sieht mich irritiert an. Die von mir unbedacht vorgetragene Sympathiebekundung scheint ihm vor seiner Freundin unangenehm zu sein.

      „Nun, ich wollte sagen, ich meine …“, mein Hirn schaltet einen Gang höher, „… also der Punkt ist, ich hatte mal einen Studienkollegen, der kam aus einem Dorf in der Nähe von Toulouse, und dessen Vater … der hatte eine altaische Eselzucht.“

      Das Mädchen sieht erstaunt zu mir.

      „Echt? Altaische Esel?“

      „Ja, bemerkenswert, oder? Aber jetzt wohnt der Typ in München. Berlin war, glaube ich, nicht so sein Fall, jobtechnisch jedenfalls nicht.“

      „Dafür sind die Partys besser“, mischt er sich ein und lächelt versöhnlich.

      Sie zieht ihre Line, wischt sich die Nase ab und gibt ihm den Rest, sie sieht zu mir und fragt: „Und was ist mit den Eseln passiert?“

      Ich zucke mit den Schultern.

      „Keine Ahnung, der alte Mann wird sie wohl geschlachtet haben.“

      „Oha“, entfährt es ihr.

      Ich nicke zufrieden und freue mich, dass das Gespräch wieder in geordneten Bahnen verläuft. Er legt sich den Flyer auf die Knie und zieht sich den Stoff bis in die Stirnhöhlen hoch. Langsam richtet er sich auf und streckt sich ein paar Mal. Eine seltsam erotische Spannung legt sich über unseren Teil der Wiese.

      „Im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Spanien, da gibt es noch immer Bauern, die Esel als Lastentiere halten“, erklärt er und leckt sich über die taub gewordenen Lippen.

      „Das wusste ich gar nicht“, antworte ich und versuche, interessiert zu gucken.

      Sie bietet mir eine Zigarette an. Ich greife zu. Wir geben uns gegenseitig Feuer. Er legt sich auf die Seite und schließt die Augen. Ich kreise mit dem Kopf hin und her und starre Löcher in die Luft. Sie spielt an ihrem Nasen-Piercing herum. Das Gespräch droht zu versiegen.

      Erneut gibt er sich einen Ruck und sagt: „Wir wohnen übrigens in Weißensee.“

      „Also faktisch um die Ecke“, witzele ich und sehe zu ihr.

      „Mit der Straßenbahn ist es ein Katzensprung“, antwortet sie und lächelt einladend.

       Zweieinhalb Stunden später sitze ich mit einem Kater namens Henri auf dem Schoß auf einer dreiteiligen Couch in Weißensee.

      Sie wirtschaftet in der Küche herum, kocht Kaffee. Er sitzt neben mir und präsentiert stolz seine Bewerbungsmappe für die hiesige Kunsthochschule.

      „Die habe ich selbstgemacht. Erst im Park gesammelt, dann getrocknet und anschließend mit Acryl und Öl aufgearbeitet.“

      Ich sehe nur ein paar bunte Laubblätter, deren Ränder in unterschiedlichen Farben schillern.

      „Das Projekt ist in mehreren Phasen entstanden, von denen jede an eine kunstgeschichtliche Epoche angelehnt ist“, erklärt er und blättert weiter.

      Ich halte mir eine kalte Flasche Wasser an den Kopf und versuche, mich an meine Schulzeit und das Fach Kunst zu erinnern.

      „Kommt gut, irgendwie expressiv“, quäle ich mir eine Stellungnahme heraus.

      „Findest du? Aber eigentlich ist das Projekt als Post-Impressionisten-Zitat angelegt.“

      „Ach so? Nun, der einzige Post-Impressionist, den ich kenne, ist Toulouse-Lautrec.“

      „Du kennst Henri de Toulouse-Lautrec?“

      Ich nicke. Er sieht mich fasziniert an. Unsere Ellenbogen berühren sich leicht.

      „Der Kaffee ist fertig!“, brüllt es aus der Küche.

      Ich zucke vor Schreck zusammen, schubse versehentlich den Kater von der Couch und greife mir eine der herumliegenden Zigaretten. Henri huscht fauchend unter den Tisch.

      „Mit Milch und Zucker?“, fragt sie und sieht mich an, als hätte sie vor, mich zu vernaschen.

      „Ich nehme ohne alles“, antworte ich.

      Die beiden prusten los.

      „Was ist denn?“, frage ich verunsichert.

      „Wenn man den Satz eins zu eins ins Französische übersetzt, klingt er etwas …“

      Das Mädchen stockt.

      „Anzüglich?“, frage ich.

      „Ja, genau“, antwortet sie und reicht mir eine große Tasse.

      „Die Unterhaltung über Toulouse-Lautrec hat meine Gedanken in die Welt des Unmoralischen gelenkt“, versuche ich mich zu rechtfertigen.

      Sie setzt sich neben mich und sieht mich forschend an. Ich nippe verlegen an meinem Getränk. Er beugt sich nach vorne, sieht an mir vorbei und sagt: „Er spielt sicher auf dessen wilde Zeit in Paris an.“

      „Nun, eigentlich auf die inzestuöse Beziehung seiner Eltern“, verbessere ich altklug.

      „Stimmt, die Mütter seiner Eltern sollen angeblich Schwestern gewesen sein“, springt er mir wieder mal bei und grinst spitzbübisch.

      „Nur gut, dass wir keine Geschwister sind“, ergänzt sie und lacht hell auf.

      „Was seid ihr denn?“, frage ich unsicher.

      „Spielt das denn eine Rolle für dich?“, fragt sie und streicht mir mit der Hand über die Innenseite meines Oberschenkels.

      Ich spucke den Kaffee in hohem Bogen über den Tisch. Die bunten Laubblätter der Collage färben sich braun. Er nimmt ein Taschentuch zur Hand und wischt das entstellte Kunstwerk sauber. Er sieht mich gespielt vorwurfsvoll an und fragt: „Kann es sein, dass du meine Arbeiten nicht magst?“

      „Mann, das war ein Versehen. Nein wirklich, ich finde deine Arbeiten sehr spannend“, antworte ich und wundere mich, wieso mir plötzlich heiß wird.

      „Willst du noch eine Mappe von mir sehen?“, fragt er und sieht mich erwartungsvoll an.

      Ich wedle mir Luft zu. Vergeblich, ein eigenartiger Druck legt sich auf meinen Kopf.

      „Na ja, wenn du noch etwas Interessantes von dir zeigen magst …“

      „Trink deinen Kaffee aus!“, herrscht mich das Mädchen unvermittelt an.

      Ihre Stimme


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