Affentanz. André Bergelt

Affentanz - André Bergelt


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Pullover.

      „Zieh dich doch aus, wenn dir zu warm ist!“

      Auch seine Stimme hallt merkwürdig nach. Ich versuche, mich meines Oberteils zu entledigen. Aus irgendeinem Grund schaffe ich es jedoch nicht mehr, beide Arme gleichzeitig anzuheben. Erst als er mir hilft, gelingt es mir, den Pullover auszuziehen. Ich fühle mich seltsam erschöpft und lehne mich zurück. Meine Gastgeber sehen mich prüfend an. Ihre Gesichter haben sonderbar farbige Flecken. Es kommt mir vor, als wären die beiden ganz nah und weit weg zugleich. Auch das, was sie sagen, ist sonderbar verzerrt.

      „Der Kaffee war ganz schön stark …“, versuche ich meinen Ausfall zu erklären.

      „Schon gut … das lässt wieder … nach …“, ruft er mir aus der Ferne zu. Sie fasst mich an den Schultern und setzt sich unvermittelt auf mich.

      Ihre Haare fallen auf meinen Bauchnabel. Ich spüre ihre warmen Hände auf meinem Körper. Er nimmt hinter ihr Platz und zieht dem Mädchen das T-Shirt aus. Seine Lippen liebkosen ihren Hals. Seine Hände lassen ihre kleinen, weißen Brüste über mir auf und ab tanzen. Ich fühle eine starke Erregung in mir aufkommen. Mein ganzer Körper mutiert zu einer erogenen Zone. Die Haut kribbelt. Die Hose fühlt sich an, als hätte sie jemand mit Beton ausgegossen. Ich taste nach meinem Reißverschluss. Sie lässt von mir ab. Er zieht sich das Hemd aus. Ich zerre, fummle und hebele, lasse mir erst von ihr, dann auch von ihm helfen. Vergeblich, der Reißverschluss meiner Hose lässt sich nicht öffnen.

      Verzweifelt sehe ich zu ihr auf und stottere: „Habt ihr … vielleicht … eine Zange?“

      Sie deutet kichernd zur Küche hinüber.

      „Unter der Spüle … da müsste … ein roter Werkzeugkasten sein.“

      Ich drehe mich in die angezeigte Richtung um und falle kopfüber von der Couch. Über mir geht es derweil ohne mich weiter.

      Er hält sie von hinten am Becken fest, flüstert ihr Formeln und Beschwörungen ins Ohr und dringt langsam ihn sie ein. Dass ich ihnen dabei zusehe, scheint die beiden nicht zu stören. Im Gegenteil, es kommt mir vor, als würde es sie antörnen. Doch noch habe ich die sich mir bietende Chance auf einen Dreier nicht aufgeben.

      Ich rappele mich hoch, halte mich an der mir entgegenkommenden Stehlampe fest, verliere das Gleichgewicht und krache mit der Schulter gegen den Türrahmen. Diesmal gelingt es mir jedoch, auf den Beinen zu bleiben, was ich als kleinen, aber wichtigen Zwischenerfolg werte.

      „Ich bin … gleich … wieder da“, erkläre ich feierlich, reiße mich vom Anblick der sich Liebenden los und stürze wankend in den mit Punktstrahlern erleuchteten Korridor. Auch hier schreien mir selbstgemachte Holzdrucke und farbenfrohe Aquarelle von den Wänden entgegen. Mit halbgeschlossenen Augen kämpfe ich mich bis zur Küche durch. Buntbemalte Kacheln und hochkopierte Fotocollagen springen mich ohne Vorwarnung an. Ich richte meinen Blick zum Boden und taste mich bis zur Spüle vor. Hektisch wühle ich mich durch den Hausrat der Franzosen.

      Noch immer bin ich fest entschlossen, den Hebel Richtung Orgie umzulegen. Doch weder unter der Spüle noch in einem der zahlreichen Regale ist so etwas wie ein Werkzeugkasten zu finden. Mein Magen zieht sich zusammen. Mir wird übel. Ich setze mich auf einen der Hocker. Um nicht vornüberzukippen, halte ich mich an der Tischkante fest.

      Wieso in aller Welt war mir nur derart schlecht? Hatte ich zu viel genommen? Oder war es die Gesamtsituation, die mir derart zu schaffen machte?

      Unter mir schnurrt es. Der Kater bewegt sich zwischen meinen Beinen hindurch und sieht mich verführerisch an. Ich atme ein paarmal kontrolliert aus und versuche erneut aufzustehen. Doch diesmal versagen meine Beine. Henri ist es recht. Er reibt sich weiter an meinen Waden. Dann macht er einen Buckel, streckt sich zweimal und scharwenzelt zum Balkon hinüber. Plötzlich erfasst mich ein unwiderstehlicher Drang, dem Tier zu folgen. Ich lasse mich auf den klebrigen Fußboden plumpsen, ziehe meine Socken aus und krieche dem Kater auf allen Vieren hinterher.

      „Nur eine kurze Auszeit, eine ganz, ganz kurze Auszeit“, beruhige ich mich selbst.

      Tatsächlich, die kühle Luft tut mir gut. Alle Anspannung fällt von mir ab. Ich lege mich neben Henri, umfasse seinen warmen, gleichmäßig atmenden Körper, schließe für ein paar Sekunden die Augen und schlafe zufrieden ein.

       In Mischas Neuköllner Einraumwohnung. Ich liege auf Mischas Diwan und kühle mir die schmerzenden Nebenhöhlen mit einem Eisbeutel. Im Fernsehen läuft Fußball, Milan gegen Manchester.

      Mischa schenkt uns beiden Whisky nach. Er sieht mich interessiert an und fragt: „Und, hast du den Toulouser noch flachgelegt? Oder bist du mit dem Kater auf dem Balkon geblieben?“

       Mischa ist gebürtiger Moskauer und hat seit kurzem einen deutschen Pass. Nachts verdingt sich der Vater einer sechsjährigen Tochter als Sportkommentator, tagsüber dealt er mit gebrauchter Film- und Tontechnik.

      Ich sehe zu Mischa auf und antworte: „So weit ich mich erinnern kann, habe ich niemanden mehr flachgelegt. Stattdessen träumte ich, wie ich als Junge mit meiner Mutter am See baden war. Meine Mutter saß auf einer blaugrün karierten Wolldecke. Sie trug ihren gelben Bikini und sonnte sich. Ich kletterte auf dem alten Sprungturm herum und sprang ein ums andere Mal in den See. Meine Mutter sah mir vom Strand aus zu. Das Klatschen der Wellen, das Lachen der anderen Kinder, alles wirkte so friedlich. Ich kam aus dem Wasser und lief auf meine Mutter zu. Da fing ein Kind an zu weinen. Mehrere Erwachsene versuchten es zu beruhigen. Das Kind aber weinte immer mehr. Es tobte und schrie so intensiv, dass alle anderen Kinder verunsichert aufsahen. Einige stimmten in das Weinen ein. Es war ein furchtbares, herzzerreißendes Geheul. Ich erschrak und wachte auf.“

      Mischa fährt sich mit der Rechten über die polierte Glatze.

      „Und was ist dann passiert?“

      „Ich öffnete die Augen und erschrak ein zweites Mal. Um mich herum standen lauter Kinder. Sie sahen mich von oben herab an und rümpften ihre kleinen Nasen. Als wäre ich Abfall.“

      „Aber du sagtest doch, dass du dich auf den Balkon gelegt hattest? Wie können da plötzlich Kinder um dich herum stehen?“

      „Es stellte sich heraus, dass der Balkon gar kein Balkon, sondern eine Terrasse war. Diese wiederum grenzte an den Spielplatz des benachbarten Kindergartens.“

      „Verstehe“, antwortet Mischa und fragt: „Und bist du wieder zu den beiden in die Wohnung, oder haben die Kindergärtnerinnen deinetwegen die Polizei gerufen?“

      „Die Terrassentür war seltsamerweise abgeschlossen. Zum Glück hatte ich noch immer meine Hose an, du weißt ja, der Reißverschluss hatte sich nicht öffnen lassen. Also lief ich ums Haus und klingelte ein paarmal. Da mir jedoch niemand öffnete, entschied ich mich, mit der Straßenbahn nach Hause zu fahren. Und weil ich kein Geld für eine Fahrkarte hatte, durfte ich barfuß von Weißensee bis nach Stralau laufen.“

      Ich deute auf meine Füße.

      „Hier, willst du meine Schwielen sehen?“

      Mischa verzieht seinen Mund.

      „Deine Schwielen interessieren mich nicht. Sag mir lieber, was dein Erlebnis auf der Terrasse mit der Entscheidung, deine Installation zu überarbeiten, zu tun hat.“

      Ich nippe an meinem Whisky und sehe meinen russischen Freund einen Moment lang an.

      „Dieser Ausdruck in den Gesichtern der Kinder war unglaublich, eine Mischung aus Neugier, Entsetzen und Verachtung. Als wären sie Götter, die auf ihre Schöpfung hinabschauen, teils ungläubig, teils angewidert.“

      „Meine Güte, meine Tochter sieht mich auch manchmal an, als könnte sie mir direkt in den Kopf gucken. So etwas kommt immer ein wenig schräg rüber und hat vielleicht sogar einen eigenen Reiz. Aber nochmal, wieso willst du schon wieder alles über den Haufen werfen?“

      „Ich bin einfach davon überzeugt, dass meine Installation noch sehr viel besser werden könnte. Ich würde gern noch


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