Dien Bien Phu. Harry Thürk

Dien Bien Phu - Harry Thürk


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den alten, ebenso klugen wie fatalistischen Commandant mit dem amputierten Bein.

      Drinnen im Gouverneurspalast, der diesen hochtrabenden Namen gar nicht verdiente, denn das Haus war nicht viel mehr als ein mit geringem Aufwand geschaffenes Verwaltungsgebäude im Kolonialstil, standen die Gäste mit ihren Champagnergläsern in Grüppchen beisammen und tratschten. Niemand hatte bei einer Zusammenkunft dieser Art jemals etwas anderes erlebt: man ließ sich sehen und klatschte mit ebenfalls Gesehenen über jene die nicht zu sehen waren.

      General Navarre, der zukünftige Oberkommandierende, bekam von Salan, den er ablöste, die höheren Offiziere vorgestellt, die er noch nicht kannte. Sie würden fast ausnahmslos in einigen Wochen ebenfalls ihre Koffer packen. Navarre wußte das, und er begrüßte sie mit jener höflich-zurückhaltenden Freundlichkeit, die überall auf der Welt benützt wird, um Desinteresse zu verschleiern. Die Mannschaft Salans, die schon zur Zeit von dessen gescheitertem Vorgänger De Lattre de Tassigny nach Indochina gekommen war, hatte ihre dreißig Monate Kolonialdienst abgeleistet, und damit war die wichtigste Voraussetzung für spätere Beförderungen, aber auch für die Pension erfüllt. Außerdem hatte Salan es geschickt verstanden, die Tatsache bekanntzumachen, daß Navarre nie in Übersee gedient hatte. Was konnte ein kolonialerfahrener Offizier schon unter einem so unbedarften Mann an Meriten erwerben?

      Cogny, der Brigadegeneral mit der Herkulesfigur, war der einzige höhere Offizier, der bleiben würde. Er tat es nicht wegen Navarre; er kannte ihn kaum. Aber er liebte die Art, in der er hier Dienst machen konnte. Dies war ein Krieg, bei dem zwar nichts weiter herauskam, aber er erhob einen Offizier in die Position eines Paschas, dessen Macht am Stationierungsort so gut wie unbegrenzt war. Alles stand ihm zur Verfügung, von den besten, in Korea erprobten US-amerikanischen Waffen, über reichlichen Sold, bequeme Lebensbedingungen bis zu den Weibern, die man sich hier buchstäblich kaufen konnte: Was man in Paris fürs tägliche Schuheputzen bezahlte, reichte in Vietnam aus, um eine Gespielin einen ganzen Monat zu unterhalten.

      Cogny ahnte nicht, daß Navarre sich bereits in Saigon bei Vertrauten sehr genau über die personellen Veränderungen in seinem Kommando informiert hatte, die für die nächste Zeit anstanden. Er hatte nicht nur einen Ersatzmann für Linarès parat, auch die Anwärter auf den Posten des Stabschefs in Saigon und des Chefs der Luftstreitkräfte standen bereits fest.

      Für Cogny hatte Navarre den Oberbefehl über die Truppen in Tongking vorgesehen. Er hielt ihn für einen erfahrenen Mann, der ihm zur Hand gehen würde, vorausgesetzt, man ermunterte ihn. Navarre war klug genug, auf einen erfahrenen Mann wie Cogny nicht zu verzichten. Er kannte die Grenzen seiner eigenen Erfahrungen über diesen Kriegsschauplatz, der aus unermeßlichen Dschungeln, rauhen Gebirgen, Sümpfen und schlammigen Reisebenen bestand, aus wenigen Städten und einer Unzahl von winzigen, stets feindlichen Dörfern, aus brütender Hitze und sintflutartigem Monsunregen, aus Moskitos und Schlangen, Handgranaten werfenden Bäuerinnen und exakt schießenden Kindern.

      In Paris war er durch Ministerpräsident Mayer von seinem Posten beim Oberkommando der alliierten Streitkräfte in Westeuropa zurückberufen worden. Der Zivilist Mayer war dem General ziemlich ratlos erschienen, als er ihm die Lage in Indochina schilderte: Rote, von den Truppen der Vietminh beherrschte Gebiete, die einen großen Teil Vietnams ausmachten, Unruhe in Kambodscha und die Gefährdung des gesamten nördlichen Laos durch die Pathet-Lao-Truppen, mit denen die des vietnamesischen Kommunistenführers Ho Chi Minh verbündet seien. Sie handelten koordiniert, mit dem Ziel, die von Frankreich erneut angestrebte Herrschaft über die Länder Indochinas zu vereiteln. Beinahe ein Jahrzehnt schlug man sich damit herum. Ein Erfolg Frankreichs wurde nicht einmal mehr von Optimisten für möglich gehalten.

      »Es ist ein harter Auftrag, mon Général«, sagte Mayer. »Die Front ist keine Linie, wie man es in St. Cyr lehrt oder auf anderen Kriegsschulen. Jedes Gebüsch ist Front, jede Straße, jede Hotelterrasse. Und jeder zerlumpte Kuli ist ein potentieller Feind. Schweiß und Blut, das ist es, was ich Ihnen biete. Wir werden diese Kerle dort nicht ausrotten können. Es wird nie mehr so werden, wie es einmal war. Aber wir brauchen einen Erfolg. Der muß so aussehen, daß Ho Chi Minh gezwungen wird, unsere Bedingungen für die Bindung Vietnams an Frankreich anzunehmen. Damit wäre eine Integration Vietnams in die Französische Union möglich, und wir hätten wenigstens etwas gewonnen, wenngleich nicht viel. Mehr ist aber nicht möglich, mon Général, deshalb sollen Sie das Wenige erkämpfen. Und – es darf nicht mehr lange dauern. Wir sind am Ende unserer Mittel angelangt. Schon heute stützen wir uns in einer Weise auf die USA, die nicht nur bei mir persönlich Bedenken hervorruft …«

      Wie wahr das alles war und wie ernst, hatte General Navarre schnell begriffen, nachdem er sich zunächst in Saigon allgemein orientiert hatte: Zwei Milliarden alter Francs kostete das Abenteuer täglich, das von den meisten Franzosen inzwischen zornig als »schmutziger Krieg« bezeichnet wurde. 125 000 Mann regulärer französischer Truppen bestritten ihn, abgesehen von den Legionärseinheiten, zusammen mit etwa 300 000 einheimischen Söldnern und Zwangsrekrutierten. 25 000 Franzosen und Angehörige der Fremdenlegion waren seit 1945 in Indochina gefallen, weitere 20 000 vermißte man. Die Ausfallziffern der einheimischen Hilfstruppen erreichten etwa die gleiche Höhe. Zu Hause gab es Massenproteste gegen die Verlegung von Truppen nach Indochina; Streiks rissen nicht ab; in regelmäßigen Abständen waren die Straßen der Städte angefüllt mit Demonstranten, die ein Ende forderten. Verlaß, so schien es jedenfalls, war vorläufig noch auf die USA. Sie hatten sich von 1950 an immer stärker engagiert, um, wie sie es darstellten, Frankreich zu helfen, seinen antikommunistischen Feldzug in Indochina zu gewinnen.

      General Navarre wußte, daß seine Chancen hier hochgradig von amerikanischer Hilfe abhingen. Aber er hatte wie viele andere Franzosen längst erkannt, daß die USA im Grunde versuchten, Frankreich vermittels ihrer »Hilfe« Indochina auf mehr oder weniger sanfte Art abzunehmen und es sich selbst anzueignen. Das war der eigentliche Hintergrund des »Vertrages über die gemeinsame Verteidigung Indochinas«, den sie 1950 mit dem finanzschwachen Frankreich abgeschlossen hatten. Seitdem residierte eine sogenannte US-Beraterkommission in Saigon, die eifrig ihre eigene Politik mit einheimischen Kollaborateuren machte. Immerhin aber trafen monatlich mindestens 6 000 Tonnen amerikanisches Kriegsmaterial in Vietnam ein; bisher waren das mehr als dreihundert Flugzeuge gewesen, über tausend Panzer und andere Fahrzeuge sowie dringend benötigte Munition und Schnellfeuerwaffen. Genaue Zahlen waren nicht zu erfahren, aber hinter vorgehaltener Hand hörte man, daß die USA bislang etwa 2 Milliarden Dollar investiert hatten und bereits zwei Drittel der Gesamtkosten des Krieges trugen. Die Rechnung, so befürchtete Navarre, würde Frankreich zu gegebener Zeit präsentiert werden.

      »Verteidigung der freien Welt« war das Schlagwort der Amerikaner. Die weitreichende Spekulation, die sich hinter dieser Phrase verbarg, erwähnte anstandshalber niemand öffentlich, und doch gab es keinen französischen Kommandeur in Indochina, der sie nicht kannte.

      Navarre hatte ein gutes Maß Ehrgeiz auf seinen neuen Posten mitgebracht. Schließlich konnte er hier beweisen, daß er an taktischem Geschick seine in der Militärhierarchie Frankreichs nicht gerade unbedeutenden Vorgänger zu übertreffen imstande war.

      Er blickte auf, als Hochkommissar Letourneau ihm ein soeben aus Paris eingetroffenes Fernschreiben überreichte. Der Inhalt überraschte den General nicht. Was da bestätigt wurde, hatte er selbst von Saigon aus, wo er noch vor Tagen gewesen war, veranlaßt.

      »Rufen Sie Cogny!« trug er einem Adjutanten auf.

      Der Brigadier baute sich vor ihm auf, eine eindrucksvolle Figur, sichtlich um militärische Straffheit bemüht. Sein Tarnanzug hob ihn um einiges von den festlich aufgeputzten Gästen ab, deren Hemden durchgeschwitzt waren, unter deren Achseln sich dunkle, feuchte Flecken bildeten. Navarre lächelte. Er besann sich aber sogleich, daß jedes Lächeln sein Gesicht zur Visage eines Fauns werden ließ, und wurde wieder ernst, als er ihn ansprach: »Brigadier Cogny, ich ernenne Sie im Auftrag der Regierung der Republik zum Général de Division!«

      Er übergab ihm das Fernschreiben, weil die für den Beförderungsakt fällige Urkunde noch nicht eingetroffen war. Dann nahm er aus der Hand des Adjutanten mehrere Exemplare des dritten Sterns und gab sie dem Beförderten.

      Cogny bedauerte es, daß er sein Képi abgenommen hatte und deshalb nicht die Hand zum militärischen Gruß heben konnte.


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