Dien Bien Phu. Harry Thürk

Dien Bien Phu - Harry Thürk


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gab.

      Die beiden waren sich in Algerien zum ersten Mal begegnet, dann hatte der beginnende Indochinakrieg sie zunächst nach Saigon verschlagen. Zu jener Zeit war Gaston Janville noch dem Commandant unterstellt gewesen, und damals war es auch zu dem Gefecht gekommen, in dessen Verlauf der Commandant erstmals verwundet worden war, durch einen Schuß in die Schulter. Die Wunde hatte sehr stark geblutet. Janville, selbst leicht angekratzt, hatte ihn aus der Feuerzone gebracht und verbunden, hatte aufgepaßt, daß die Sanitäter ihn so schnell wie möglich zum Verbandplatz transportierten. Der Commandant betrachtete ihn seitdem als seinen Lebensretter, und er hatte es sehr bedauert, als Gaston damals auf den Posten in Laos versetzt wurde. Wiedergesehen hatten sich die beiden hier in Hanoi, im Lazarett, als man Gaston Janville neben den Commandant in das noch freie Bett legte und den älteren Offizier bat, er möge etwas aufpassen. Der Mann sei völlig durcheinander, eigentlich müßte man ihn anbinden, aber man wolle das gern vermeiden.

      Der Commandant, der den Vorzug genoß, in einem Zweibettzimmer zu liegen, weil der Chefarzt gelegentlich mit ihm Karten zu spielen pflegte, erkannte Gaston sofort, aber der Capitaine war bewußtlos, von einer halbwegs überstandenen Gelbsucht geschwächt, psychisch offenbar angeschlagen. So dauerte es einige Tage, bis die vietnamesische Schwester eines Morgens an sein Bett trat, um ihm den Puls zu fühlen. Da sprach Janville zum ersten Mal. Er forderte das Mädchen auf: »Zeig mir deinen Arsch, du, damit ich erkenne, ob du Dung bist!«

      Der Commandant fuhr hoch und sah das ausdruckslose Gesicht Janvilles. War der Bursche übergeschnappt? Die Schwester floh erschrocken. Nach einer Weile sprach der Commandant seinen Bettnachbarn an: »He, Gaston, warum erschreckst du das Mädchen so? Hast du was an der Klingel?«

      Es war das erste, wohl auch das einzige Mal, daß Janville die Beherrschung verlor. Er besah sich den Nebenmann, erkannte ihn und flüsterte betroffen: »Paul, du! Haben sie dich wieder erwischt? Wo diesmal?« Der Commandant schlug wortlos die Decke zurück, und Janville konnte sehen, daß ihm ein Bein fehlte. Und dann staunte der Commandant darüber, daß Janville, den er als einen mutigen Soldaten kennengelernt hatte, plötzlich weinte.

      »Was ist?« erkundigte er sich mißtrauisch. »Bist du nun wirklich gaga, oder?«

      »Sie hat aber … den Affenbiß in der Arschbacke!« versuchte es Janville nochmals. Doch der Commandant ließ sich nicht so leicht von seinem Mißtrauen abbringen. Er sagte gedämpft, obwohl niemand sonst im Zimmer war: »Spar dir den Zirkus, mein Junge. Kein Übergeschnappter flennt, wenn er neben sich einen Freund entdeckt, dem ein Bein abgeschossen wurde. Also – was ist? Schnauze voll?«

      Nach einer langen Pause antwortete Janville endlich: »Paul, ich bin am Ende. Ich kann nicht mehr.«

      »Laos?«

      »Nicht nur. Alles.«

      Nun erfuhr der einbeinige Commandant, daß Gaston auf seinem langen, einsamen Marsch, als er sich bereits kurz vor der ehemaligen Befestigungslinie der Franzosen um Hoa Binh, am Schwarzen Fluß, befand, vom Fieber gepackt worden war. Er verkroch sich im Unterholz, zwischen Trümmern von Panzern und Geschützen, die hier ein Jahr zuvor bei den Kämpfen zerstört worden waren, und wollte sterben. Als er wieder zu sich kam, lag er auf einer Bambusmatte, in einem Pfahlhaus. Nach einiger Zeit erschien eine uralte Frau vom Stamme der Muong, die hier lebten, und brachte ihm einen Sud, der bitter schmeckte. Er sei in Sicherheit, sagte sie, er solle trinken, und die Krankheit werde vergehen. Ein Menschenleben, so vertraute sie ihm an, sei kostbar, und aus einem Feind könne ein Freund werden. Seltsam.

      »Die Gelbsucht verging«, berichtete Janville. »Ich kam auf die Beine. Die Leute in der Siedlung waren zu gut zu mir. Sie sagten, ich könnte bei ihnen bleiben. Ich solle nicht mehr zu den fremden Kriegern zurückgehen. Ich half ihnen bei verschiedenen Arbeiten, denn es gab kaum noch Männer im Dorf. Die Großmutter, die mich gepflegt hatte, wollte mich mit ihrer Enkeltochter verheiraten, das spürte ich. Sie war naiv, aber gutmütig, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Die Enkeltochter gehörte zur Miliz der Vietminh. Sie dachte, ich wäre desertiert und bot mir an, im Dorf zu bleiben. Ich bin dann lange dort gewesen. Es sind friedliche Leute, und sie haben mich behandelt wie den eigenen Sohn. Aber als ich wieder ganz bei Kräften war, bin ich gegangen. Sie haben mich nicht einmal aufgehalten, sie sagten mir nur, wenn ich Frieden halten wollte, könnte ich jederzeit zurückkommen. Ein Leben wie aus einer anderen Welt, Paul …«

      »Und das Mädchen? Hübsch?«

      »Gefallen hat sie mir schon. Ich glaube, es war eher ihr Charakter. Sie war nicht freundlich zu mir, wie man es zu Gästen ist, sie war einfach gut.«

      »Warum bist du dann abgehauen? Dieser Krieg hier läuft aus, das kann man riechen. Auch daß wir ihn verlieren, riecht ein kluger Mann. Wenn sie dich in dem Dorf behalten, bis der Tod nicht mehr nach dir greift, Junge, dann hättest du gut daran getan, dort zu bleiben. Ich wäre geblieben an deiner Stelle. Wie heißt das Nest?«

      »Xom Dong.«

      »Nie gehört. Und was willst du jetzt hier?«

      Janville überlegte lange, bevor er antwortete. Es kam ihm vor, als müsse er während eines laufenden Spiels die Karten aufdecken. Aber der Commandant war ein Freund.

      »Ich will ordnungsgemäß entlassen werden«, erklärte er. »Das Verfahren läuft bereits. Der Chefarzt hat mich untersucht; er hat nicht vermutet, daß ich alles verstand, was er zu seiner Assistentin sagte. Er wies sie an, für mich einen Antrag auf ehrenhafte Entlassung aus der Armee zu stellen. Pensionsanspruch und Schiffskarte nach Hause.«

      »Deshalb also ziehst du die Nummer mit dem Affenbiß ab?«

      »Ich kann nicht mehr weitermachen wie vorher«, gestand ihm Janville ernst. »Wir haben immer gewußt, daß es ein gemeiner Krieg ist. Der gemeinste, den man führen kann: Technik gegen Hungerleider. Nur weil Frankreich nicht genug kriegt. Du mußt verstehen, Paul, es ist ein Unglück, wenn man auf diese Weise wie ich seine Gegner erlebt …«

      »Oder ein Glück«, murmelte der Commandant.

      »Ich habe geglaubt, ich müßte hier die Ehre der Trikolore verteidigen. Statt dessen mußte ich Hilfsdienste bei einem überdimensionalen Diebstahl leisten. Alles vorbei. Von Xom Dong an würde ich bei jedem Schuß, den ich abgebe, das Gesicht der Großmutter aus dem Pfahlhaus vor mir sehen. Mit einem Loch in der Stirn. Könntest du das ertragen?«

      Der Commandant dachte lange nach, bevor er antwortete: »Ich sehe kein solches Gesicht vor mir, Junge. Aber ich verstehe schon. Wenn die Sache so ist, wird es am besten sein, du läßt dich demobilisieren. Gedanken von der Art, wie du sie hast, lähmen einen Soldaten im entscheidenden Augenblick. Das Resultat ist dann meist ein toter Soldat. Zieh deine Nummer weiter ab, du hast mein Wort, daß ich dich nicht verrate. Ich werde nämlich auch bald zu Hause sein, und dann kann ich lange überlegen, ob das alles hier mein Bein wert war …«

      Ein Arzt erschien. Im Hintergrund war die verschreckte Krankenschwester zu sehen. Janville schloß die Augen.

      »Er hat getobt, höre ich?«

      »Quatsch«, knurrte der Commandant. »Er hat die Gedanken nicht beieinander. Ausgehakt eben. Ich habe viele von seiner Art gesehen. Unbrauchbar geworden. Aber nicht gefährlich. Er würde niemandem etwas tun.«

      »Es ist, weil wir ihn sonst sichern müßten«, meinte der Arzt.

      Aber der Commandant schüttelte den Kopf. »Harmloser Narr. Ich passe schon auf, daß er nicht aus dem Fenster springt. Die Schwester soll sich beruhigen.«

      Wenig später war Janville wieder auf den Beinen gewesen. Gaston der Narr, wie ihn bald jeder im Lazarett nannte. Er strich in der Stadt umher, wurde auch bei den Posten bekannt. Gaston le Fou war eine der tausend Erscheinungen des Vietnamkrieges; man begann, sich an ihn zu gewöhnen.

      Der Commandant deckte ein As und eine Zehn auf und schrieb einen Strich auf seine Liste. Dann sagte er gedehnt: »Der Chefarzt will dich sehen. Entlassung. Die Schwester hat es mir verraten. Die Papiere sind schon da. Der Dampfer geht von Haiphong ab.«

      Als Janville ihn freudig überrascht ansah, fügte der andere hinzu: »Ich werde dich vermissen,


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