Ketzerhaus. Ivonne Hübner

Ketzerhaus - Ivonne Hübner


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      Sie gab sich Mühe an diesem Abend. Das musste ihr Christian lassen. Sie war erpicht auf das Stück Papier, das auf dem Tischchen neben dem Bett lag. Sie ging nicht bis zum Äußersten, aber das hatte Christian auch nicht erwartet. Sie war keine Dirne. Sie war ein junges Ding, das noch nie zuvor mit einem Mann zusammen gewesen war. Sie verwöhnte ihn aufs Trefflichste, das keinen Wunsch offen ließ. Noch vor der Sperrstunde verließ sie mitsamt dem Papier sein Haus.

      Es brauchte seine liebe Zeit, bis sie aus der Stadt heraus war. Die Wächter würdigten das kostbare Papier nur eines flüchtigen Blickes, worüber sich das Mädchen ein bisschen ärgerte, nach all der Mühe.

      Als die junge Frau vor einiger Zeit von Christian Vollhardt angesprochen worden war, hatte sie geglaubt in einen tiefen Abgrund gestoßen zu werden, aus dem sie nie wieder herauskommen würde. Nach so kurzer Zeit schon, eine Bürgschaft in der Hand, zahlte sich das sündhafte Arrangement aus. Und so lange er sich mit ihren Lippen und ihren Händen zufriedengab, würde sie vom Sündenpfuhl nicht verschluckt werden. Wie lange sie ihn noch hinhalten würde können, wusste sie allerdings nicht.

       Deshalb versteht der Papst unter dem vollkommenen Erlass aller Strafen nicht alle überhaupt, sondern nur den Erlass der von ihm selbst auferlegten Strafen.

      Reinhilde verlangte einen starken Eintopf und wünschte denselben auf zweierlei Weise zu kochen: eine Hälfte wie üblich in der Fastenzeit mit ein bisschen Fisch darin, die andere Hälfte mit Fleisch. Während sie das anwies, schlürfte sie den Kräutersud gegen das Kopfdrücken, den ihr Katharina mitgegeben hatte. „Unser Herr wird das verzeihen“, pustete die Brauerin in ihren Becher. Sie meinte die Fleischeinlage. „Eine ordentliche Suppe vom Federvieh. Hörst du Mädchen?“ Elsa nickte. „Und dass du dich nicht erwischen lässt!“ Reinhilde wedelte den Dampf über dem Becher fort, gab das heiße Gebräu auf und verschwand nach oben in die Dachkammer.

      Später, zum Mittagsmahl, als Elsa die Fischsuppe in die Wohnhalle zur Tafel brachte, war Reinhilde immer noch nicht zurück. Der Brauer, der der guten Speise wohlgesonnen war, rümpfte angewidert die Nase, als Elsa den Topfdeckel lüpfte und ihm der säuerliche Dampf entgegenschlug. „Draußen riecht es nach Hühnersuppe und drinnen stinkt es nach Fisch?“ Die Faust mit dem Zinnlöffel darin prallte auf den Tisch. Elsas Herz sprang ihr fast aus dem Hals. Peternelle, die eben noch das Brot geschnitten hatte, ließ das Messer sinken und schaute zwischen Elsa und dem Brauer hin und her.

      Gunnar, der seinem Vater ergeben war, erhob sich von der Tafel und stapfte geradewegs nach nebenan in die Küche. Er kam mit dem Zeugnis des Verbotenen zurück. Ein paar der Hühnerknochen, die Elsa im Schweinekübel hatte verschwinden lassen, schwenkte er siegessicher wie eine Fahne hoch erhoben und merkte nicht, wie kleine Fitzelchen davon auf sein Barett fielen.

      Der Tylike starrte die abgeschälte Hühnerkeule an. Als Nächstes Elsa und zum Schluss schenkte er dem Hausaltar mit dem bronzenen Kruzifix und dem hölzernen Laurentius, Schutzpatron der Briuwer, und den flackernden Kerzen in den vergoldeten Kandelabern einen leidenden Blick. Die Empörung und die Wut, von der Tylike beseelt war, mündeten in dem Hieb, den er Elsa gegen die Wange verpasste. Sie verlor das Gleichgewicht. „Spottest du unserem Herrn und unseren Geboten?“

      Elsa schüttelte den Kopf. Sie versuchte sich aufzurappeln, aber ihr war ganz schwindelig. Sie blieb auf dem kalten harten Steinboden liegen.

      „Es scheint ganz so!“ Mit einem Satz war der Mann über Elsa, zerrte sie auf die Beine und erhob abermals die Hand. „Willst du den Zorn des Herrn über uns bringen?“ Er holte aus, seine Handbewegung aber fror ein, weil metallenes Klirren in den Raum brach, gefolgt von der Stimme seiner Frau: „Lass uns Essen, Mann.“

      Tylike senkte die Hand neben die Naht seiner Beinlinge.

      Nicht er, wie es üblich war, sondern Reinhilde hob zum Tischgebet an. Sie vermengte das Gegrüßet seist du Maria mit dem Tischgebet. Elsa stutzte und obwohl ihre Wange brannte, der Stoff ihres Ärmels, den sie dagegen presste, kratzte und die Tränen hinter ihren Augen bissen, fasste sie klare Gedanken und wusste, Reinhilde schloss den heimlich Einquartierten in ihr Gebet ein. „Bitte für uns, heilige Maria, Muttergottes, tritt als Mutter vor den Herrn und …“

      „Das reicht, Weib!“ Tylike schob sein „Amen“ hinterher und bekreuzigte sich. Er brach ein Stück vom Fladen. Die Fischsuppe rührte er aus Protest nicht an. Die Briu soff der Baron vom Bierfass, sodass ihm ein Rinnsal aus dem Mundwinkel über die beiden Kinne perlte.

      Elsa, die, wie es üblich war, neben Peternelle am hinteren Ende der Tafel, nahe der Tür zur Küche saß und als Letzte, aber immerhin noch vor den Schweinen in die Schüsseln langen durfte, beobachtete die Hausherrin, die das Kreuzzeichen ganz langsam über Stirn, Herz und Schultern strich und die Hände dann wieder im Schoß faltete. Seit sie sich die Bürde auf den Dachboden geladen hatte, rührte sie die Speisen kaum mehr an.

      „Dein Fasten läutert ihn auch nicht“, gab der Brauer missmutig zu verstehen. Verhuschte Blicke hin zu Peternelle. Die aber fügte Tylikes Worte nicht zusammen, sondern titschte das Brot in die Suppe, dass es schmatzende Geräusche von sich gab. Die Anspannung zwischen den Brauersleuten war für Elsa Genugtuung. Sie mochte nicht abwägen, was besser tat: die Abscheu gegen den Mann oder die Schadenfreude gegen die Frau, die, wer weiß wie lange noch, verheimlichen konnte, dass sie ihren geächteten Sohn unter dem Dach versteckte.

      Tylike ließ sich von der Hühnersuppe auftischen. „Das Fastengebot hast du gebrochen, nicht ich! Du hast die Suppe kochen lassen.“ Sein Löffelzeig wanderte weiter zu Elsa. „Und du hast sie zubereitet!“

      Elsa nickte. „Verzeiht.“

      Etwas Unverständliches murrte Reinhilde und hob die Tafel auf. Peternelle war die Erste, die mit ein paar Scherben aus der Wohnhalle verschwand.

      Die Stimmung besserte sich nicht.

      Tage, nachdem Doktor Ismael da gewesen war, bemerkte Tylike, dass eine beträchtliche Summe Geld nicht mehr im Kästchen war. Elsa und Peternelle hörten bis in die Küche, bis ans offene Feuer, wo sie eben das Frühmahl für den nächsten Morgen vorbereiteten, den bösen Streit zwischen dem Brauer und seiner Frau. Während Reinhilde mit fester, beinahe abfälliger Stimme behauptete, es sei sowieso ihr Geld und der Brauer könne froh sein, dass er an ihrem Wohlstand teilhaben dürfe, wurde der Alte immer lauter und tobte, er sei immerhin der Einzige, der dafür sorge, dass überhaupt noch Geld in die Kasse komme.

      „Was für Geld?“, spottete die Reinhilde. „Deine Briu wird immer schlechter, sodass uns ein Kunde nach dem anderen davonläuft und der Ruf meines lieben Verflossenen bald aufgebraucht ist.“

      „Dein lieber Verflossener!“, bellte der Tylike. „Ein Schandfleck im Zunftverzeichnis!“

      Elsa stutzte. Der Schandfleck im Zunftverzeichnis war doch allgemeinhin der Beiname ihres Vaters gewesen – mochte er in Frieden ruhen. Wenn über einen Brauer schlecht gesprochen wurde, war nie der Name Orwid Hinterthur gefallen!

      „Wenn dein lieber Verflossener mehr christlichen Anstand gehabt hätte“, hörte man Tylike weiter donnern, „dann würde er noch leben und ich hätte nicht meine Not mit dir und der verlotterten Wirtschaft!

      „Dann hättest du gar keine Wirtschaft mehr, du versoffener Sack!“, konterte Reinhilde. „Zeig Dankbarkeit, dass dir von der Zunft vergeben wurde und du mit dem Rezept meines lieben Gatten noch einmal von vorn anfangen konntest!“

      Das brachte den Tylike in unsachliche Raserei. „Dankbarkeit?“, brüllte der jetzt. „Dankbarkeit! Aufgepflanzt hat man dich mir, vergiss das nicht, meine liebe Reinhilde. Die Witwe eines Ketzers …“

      Das, was Elsa da hörte, glitt ihr bis tief ins Herz. Witwe eines Ketzers? Orwid Hinterthur ein Ketzer? Elsa war verwirrt. Orwid Hinterthur war einer Krankheit erlegen. Tylike musste sich irren! Er hatte solch Abscheuliches gewiss nur gesagt, weil es eine


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