Ketzerhaus. Ivonne Hübner
so gottlos, Geschäfte mit dem Tod zu machen?“, rief sie über den Hof. Elsa steckte die freie Hand in die Tasche ihres Kittels, damit niemand sah, wie sie sie zur Faust ballte. „Ist es nicht genug, dass ihr über alle Meister herzieht, müsst ihr sie nun auch behelligen?“
Elsas Schlagfertigkeit reichte nicht weiter als sie spucken konnte. Die Brauleute verschwanden im Haus.
„Mutter hat recht. Wir sind kein Stück besser als Mälzer“, sagte Andres, kaum, dass sie in die Richtung unterwegs waren, wo der Schöps am tiefsten war. „Wir bereichern uns am Unglück der Unholdin und der Gaffsucht der Leute, wenn wir am Schafott unsere Ware feilbieten.“
Sein Bruder Jost winkte ab und schenkte Elsa ein neckisches Grinsen. Es gefiel ihr.
„Mal im Ernst, Jost“, beharrte Andres, „Die arme Seele! Unser Herr würde das nicht wollen.“
Jost blieb abrupt stehen und schaute seinen älteren Bruder teils genervt, teils ungeduldig an. „Dann lauf doch zurück, Andres, geh zu Mutter und bete, oder spiele mit deinen Glasmurmeln.“ Wieder dieses Lächeln, und Elsa kicherte.
Andres aber tat nichts dergleichen. Nur ließ er sich hinter sie zurückfallen.
„Meinen Bruder interessiert sein Seelenheil mehr, als sein Geldbeutel“, spöttelte Jost.
„Richtig, Dummkopf“, kam es von hinten. „Wir haben mit der Riegerin nichts zu schaffen. Unser Herrgott weiß das. Der Herr hat es gefügt, dass Elsa ihren Krug verschüttet hat, damit sie keine Geschäfte am Schafott macht.“ Elsa protestierte. So war der Hergang nicht gewesen.
Der Herr wolle gern, dass die Wartenden am Schöps eine Erfrischung bekämen, erwiderte Jost. Ein Zwinkern für Elsa, das wohl tat wie ein Löffel voll Honig. Jost trug die bauchige Kanne mit Leichtigkeit, denn er war stark.
Während von Elsa die Sorge des Groschens und die Angst vor Vaters Schlägen verblassten, sie gewillt war, dem sonnigen Tag im Ostermond endlich das Wärmende abzugewinnen, kam Andres so schnell nicht mit seinen Gewissensbissen zurecht. „Aber, wenn es Gottes Wille ist, dass die Zuschauer mit dem Gebräu aufgemuntert werden, dann verfehlt die Hinrichtung doch ihre Anschaulichkeit.“
„Halt endlich die Klappe“, blaffte Jost. „Genieß die Sonne, das Vogelzwitschern, die arbeitsfreie Stunde, oder willst du lieber beim Vater Pfannen schrubben oder Maische rühren bei der Mutter?“ Andres antwortete nichts. „Na also.“
Elsa wollte es so halten wie Jost: Sie wollte den nichtsnutzigen Moment genießen, obwohl Müßiggang eine Todsünde war.
„Wenn du so sehr haderst, Andres, dann kannst du dich an den Wegrand setzen und mit deinen Glasmurmeln spielen. Wir erledigen dann schon den Rest, was Mälzerin?“ Jost knuffte Elsa freundschaftlich in den Oberarm. „Das wär doch gelacht, uns von so einer Mörderin das Geschäft verderben zu lassen!“
Zu Josts Worten nickte Elsa entschlossen: „Ja, das hat mein Vater auch gesagt.“
„Na also!“ Jost wiederholte die verschwörerische Geste.
„Sie hat unter Folter gestanden, Jost“, sagte Andres jetzt mit einer klaren, reifen Stimme. „Ihr Geständnis soll gekauft worden sein.“
Jost war des Themas überdrüssig. Doch Andres zog ihn jetzt rüde am Arm zu sich herum, sodass alle drei im Kreis standen. „Ist dir nicht der Gedanke gekommen, dass die Riegerin unschuldig ist?“
Jost machte sich los. „Sie hat ihm keine Kinder geschenkt. Das spricht für die Buhlschaft mit dem Teufel. Fertig.“
„Fertig“, äffte Andres seinen jüngeren Bruder nach, „Fertig! Gott sei auf Knien gedankt, dass du Briuwer wirst und nicht Jurist!“ Er schubste den Jüngeren von sich und ging weiter voraus. Jost versicherte Elsa, sein Bruder sei nicht ganz normal im Oberstübchen, was er mit einer Geste untermalte, über die Elsa kichern musste. Andres drehte sich nicht zu ihnen um.
„Im ersten Buch Mose steht“, sprach er über die Schulter zu ihnen, wodurch Jost laut aufseufzte, „dass Rahel ebenfalls unfruchtbar war. Sie konnte Jakob keine Kinder schenken. Lea aber, Rahels Schwester, schenkte Jakob sechs Kinder. Rahel wurde auch nicht zum Tode verurteilt.“
„Weil sie von Jakob geliebt wurde“, leierte Jost die Worte herunter.
„Nein, weil sie von Gott geliebt wurde. Gott hat aus übergroßer Liebe Rahel keine Kinder geschenkt?“, rief Andres gereizt nach hinten.
Wie gut die beiden sich auskannten! Elsa selbst brachte meist alle biblischen Namen durcheinander. Die Hinterthurs waren nicht nur reich. Sie waren auch so fromm, dass sie eine eigene Kirchenbank besaßen.
„Das ist ein Gleichnis, du Idiot!“, schimpfte Andres jetzt. „Gott wollte, dass Jakob beide Frauen liebte und deshalb hat er derjenigen, die er nicht mochte, den Kindersegen geschenkt. Gott wollte nicht, dass Rahel neidisch auf ihre Schwester war und daher …“
„Jakob hat es mit allen getrieben, Andres, sei nicht so dumm. Jakob hat sogar bei den Mägden seiner Frauen gelegen, um Gott milde zu stimmen und Rahel den Kindersegen zu bringen.“
„Nein, so darfst du nicht reden.“ Während Andres schulmeisterte, Lea habe nichts als Intrigen und Rahel den Neid gehabt, beobachtete Elsa Jost. Der lächelte müde über den Schlauberger. „Gott lehrt uns Geduld“, schloss Andres, „und Genügsamkeit. Das, was der Rieger mit seinem Weibe damals nicht konnte, und deshalb muss sie heut sterben und das ist furchtbar! Sie stirbt wie unser Herr für die Sünden, die andere begangen haben.“
„Er schläft mit der Heiligen Schrift unterm Kopfkissen“, flüsterte Jost und grinste in Elsas Richtung. Sie, seiner Anziehung verfallen, erwiderte das Lächeln. Das Buch der Bücher hatte sie noch nie von Nahem gesehen. Zu Hause besaß ihre Mutter eine Bilderbibel. Aber das war nicht dasselbe wie die dicke Heilige Schrift mit dem ganzen lateinischen Text.
Sie erreichten den Fluss. Wie eine überreife Traube hingen die Menschen am Schaugerüst, drängelten um die besten Plätze, schoben sich dichter ans Wasser. Elsa konnte ihre Mutter nicht sehen und vollzog gemeinsam mit Jost den Betrug. Andres weigerte sich, Zeuge des Spektakels am Fluss zu werden. Er blieb an einem sacht ansteigenden Hügel unter einer Birkengruppe zurück und wachte über den gedemütigten Krug der Mälzers.
Die Leute streckten Jost ihre Becher entgegen. Sie wussten, das Produkt seines Vaters war das beste, was man kriegen konnte. Man beäugte Elsa, als befürchte man, sie könnte einen Krug vom Mälzer-Gepansch zücken, das man dann umständlich ablehnen müsste. Beim Mälzer schmeckte es eben nicht. Es gab neuerdings Reinheitsauflagen. Die konnte man leicht umschiffen, wenn man Bilsenkraut oder Tollkirsche beimischte, so wie es schon Johannes’ Vater getan hatte. Es gab dem Gebräu zwar etwas Säuerliches, intensivierte jedoch die Wirkung, und ließ sich gerade deshalb um ein paar Kannen strecken. Der Rausch, den man sich mit Johannes’ Gesöff antrank, war ein anderer. Johannes’ wenige Stammkunden wussten das.
Natürlich bekam Jost Hinterthur doppelt so viel für seines, als es Elsa mit dem ihren je erzielt hätte. Natürlich hielt er sich ans Wort seines Vaters, gab ihr einen halben Schock, was mehr war, als ihr Vater für einen ganzen Krug bekommen hätte.
Katharina Mälzer, als sich Elsa mit barer Münze zu ihr durch die Menschen durcharbeitete, war höchst zufrieden.
3
Doch bedeutet es nicht nur die innerliche Buße:
ja, die innerliche Buße ist nichtig, wenn sie nicht nach außen mehrfache Abtötung des Fleisches bewirkt.
Elsa hatte nicht hingesehen. Sie hatte wohl den einen oder anderen Kommentar gehört, aber zugesehen, wie man Margarete Rieger mit Steinen beschwerte und ins Wasser führte, hatte sie nicht.
Spät kamen sie heim. Die Urteilsvollstreckung hatte sich hingezogen. Der Kaplan war nicht