Ketzerhaus. Ivonne Hübner

Ketzerhaus - Ivonne Hübner


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kam, aber es beruhigte sie und brachte sie in ruhigen, traumlosen Schlaf.

      „Wie viel weißt du über das Handwerk deines Vaters?“, fragte Meister Hinterthur sie am folgenden Tag. Fest und entschlossen. Elsa spürte aller Augen auf sich ruhen. Das Duckmäuserchen in ihr wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen, und wie unendlich langsam sich Haferbrei kauen ließ! „Zum Brauen soll man nicht mehr nehmen als so viel Malz, als man zu den drei Gebräuen von dreizehn Maltern und ein Viertel Gerstenmalz braucht“, sagte sie aus der Statuta thaberna, die sie von ihrem Vater gelernt hatte. „Es sollen auch nicht in die Briu weder Hafer noch keinerlei andere Ungeferck. Dazu soll man nichts anderes geben als Hopfen, Malz und Wasser. Das verbietet man bei zwei Mark und derjenige, der muss die Gemeinde für vier Wochen räumen.“

      Mit jedem weiteren Wort wurde Meister Hinterthurs Lächeln breiter, die runden Augen, die er Jost vermacht hatte, strahlender. „Bist doch nicht so dämlich, wie dein Vater aussieht. Siehst du, sie kann es. Du nicht.“

      Jost kreuzte die Arme vor der Brust. Auf der anderen Seite von Elsas Gesicht, dort, innen, wo es niemand sah, strahlte sie und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, etwas gut gemacht zu haben und zu etwas nütze zu sein.

      „Warum aber hält sich dann dein Vater nicht dran?“, fragte Meister Hinterthur und Elsas innerliches Strahlen verglomm. „Was soll das Gepansch mit dem Tollkraut?“

      „Weiß ich nicht.“ Elsa mied den Blick in die Gesichter der ehrbaren Hinterthurs und der alte Hass war wieder da. Auf diesem Thema wurde nicht beharrt, doch der Meister verstand es, mit solch kleinen Spitzen Elsa klarzumachen, dass ihr Vater ein Beflecker der Zunft war. So dachten alle.

      Den restlichen Tag hingen Elsa und Jost kopfüber in den Maischekübeln und Sudbottichen und lösten mit den Schweineborstenbürsten die Überreste des Würzekochens. Nur die Malzdarre musste nicht geschrubbt werden. Damit das Aroma haften blieb, erklärte Jost. Elsa staunte, was er alles wusste. Auch, dass beim Schroten des Malzes die Spelzen, die kleinen Vorblättchen, erhalten blieben, erklärte er. Die waren brauchbar. Beim Kochen sanken sie auf den Grund des Bottichs. Malzkuchen nannte man das. Jost zeigte ihr die keimende Gerste. Sie sah viel praller und dicker aus als die, die ihr Vater erzielte. Und Jost erklärte, wie man das Feuer unterhalb des Sudes so anschürte, dass die Würze nicht zu heftig aufkochte. Die Erschwernisse ihrer Aufgaben und der Groll, den Elsa gegen Orwid Hinterthur hegte, verbaten ihr jedes Wort, aber sie merkte sich jeden Handgriff, den sie tat, um ihrem Vater davon zu berichten. Sie wollte sich nicht länger ihrer Herkunft schämen.

      Am Abend sangen die Hinterthurs fromme Lieder. Reinhilde hielt strenge Gebetsstunden ab. Missa canonica. Andres konnte alles auswendig und Jost langweilte sich. Dessen Fuß suchte unter dem Tisch Elsas, was das Mädchen sehr vom Beten abhielt. Ab und an machte sich Orwid über Reinhildes stundenlanges Beten und Singen lustig. Manchmal folgte Streit und Geschrei und darauf wiederum die Weise in der fremden Sprache.

      Schon nach wenigen Tagen verheilten die Blasen an Elsas Füßen. Von bleischwerer Müdigkeit war nichts zu spüren. Elsa schwor sich, der Mutter davon nichts zu berichten, auch nicht, dass sie der Reinhildin geholfen hatte, die Kleider zu richten, dass sie am Abend am offenen Fenster gesessen und bis zum Sonnenuntergang beobachtet hatte, wie Andres Hinterthur, vor dem Haus kauernd, Rinnen in die nasse Erde zog und bunte Glasmurmeln dort entlanggleiten ließ. Und sie wollte nicht erzählen, wie Jost an Andres vorbeischlenderte, wie zufällig in die gezogenen Spurrinnen trat, sich übertrieben dafür entschuldigte und Elsa etwas Lustiges daran fand, wie Andres mit zerknitterter Miene von vorn beginnen musste. Und das tat er. Elsa musste wieder an das Gleichnis der Geduld denken, das Andres im Frühjahr erzählt hatte. „Gott lehrt uns Geduld und Genügsamkeit.“ Beim dritten Mal fanden es weder Elsa noch Jost unterhaltsam, dem anderen das Spiel zu zerstören und suchten sich eine andere Beschäftigung.

      Zu Hause war kein Platz für Müßiggang. Zu Hause half Elsa der Mutter bis zum Umfallen mit der Ernte von Kräutern und dem Binden von Amuletten, die unter den Frauen verschenkt wurden. Jedes Amulett hatte seinen Zweck. Kranke und Schwangere waren Mutters häufigste Besucher. Manchmal kamen auch Frauen mit Liebeskummer, die hartnäckigste, wenn auch harmloseste aller Krankheiten, wie Mutter es nannte.

      Elsa rollte sich auf dem Lehnstuhl zusammen und lauschte lange dem Klacken Glas auf Glas, das Andres’ Perlen von sich gaben, wenn sie in der Rinne aneinanderstießen.

       Der Papst will und kann keine Strafe erlassen,

       außer denjenigen, die er nach seinen eigenen oder

       nach den Satzungen Ermessen auferlegt hat.

      Das Dach der Mälzers war so weit in Schuss gebracht, dass die Kinder zu ihren Eltern zurückkehren konnten.

      Die Finger der Mutter flochten behände eine Strähne von Siegtrauts Jungfrauenhaar zu einem Faden und um einen Mondstein herum, den eine Kundin mit anhaltenden Frauenleiden und Kopfschmerzen bestellt hatte. Für derlei Bestellungen musste das Haar der Töchter herangezogen werden. Katharina verstand, den Preis zu staffeln: Elsas Haar war am billigsten. Wegen der Farbe. Katharina Mälzers Finger hielten nur inne, wenn Johannes im schroffen Tonfall seine Tochter im Berichten unterbrach. Er wollte jede Einzelheit der Hinterthurschen Brauweise erfahren, musste aber feststellen, dass seine vom Vater und Vatervater erlernte Kunst sich gar nicht von der des Konkurrenten unterschied. Was war also Orwids Geheimnis? Vielleicht, so überlegte Elsa, waren die kleinen Details, über die ihr Vater die Nase rümpfte, der Schlüssel zu Orwids Erfolg? Sie würde sich hüten, ihre Beobachtung laut auszusprechen.

      „Mich soll die Blindheit schlagen, wenn dein Herr Vater eines Tages seinen Jähzorn überwindet“, murmelte Katharina Mälzer, als Johannes nicht in Hörweite war, und schickte die Kinder zu Bett.

      Elsas Vater schrubbte die Kessel und Sudpfannen nicht. Wie es seine Ungeduld nun einmal gebot, streckte er weiterhin den Sud mit zu kurz gekeimter Gerste und dem Tollkraut, da konnte die Hölle zufrieren, bevor er davon abkam, weil er nicht ahnen konnte, dass zweitägiges Mälzen dem Gebräu sein bitterherbes Aroma vermachte. Eintägiges Mälzen jedoch das Ganze wie Pisse schmecken ließ. Sein Produkt blieb billig, die Familie kam über die Runden.

      Wochen strichen belanglos an ihr vorbei, bis Elsa all ihren Mut zusammennahm und die Wanderung auf die andere Seite des Rittergutes antrat, um der Familie Hinterthur einen Besuch abzustatten. Sie hatte gut anderthalb Stunden Fußmarsch Zeit, sich ein Gespräch zu überlegen und hatte zu diesem Zwecke der Mutter ein Körbchen roter, saftiger Äpfel aus der Ernte abgeluchst, die sie der Reinhildin überbringen wollte. Für die Bewirtung im Spätsommer.

      Elsas Dank wurde von Reinhilde Hinterthur formell angenommen. Vom Meister Orwid wurde sie über das Befinden der Eltern ausgefragt, von Andres kaum eines Blickes gewürdigt, aber von Jost beäugt, als wäge er einen Schabernack ab, den sie beide treiben konnten. Elsa wollte nicht länger als nötig verweilen, und obschon es sich nicht schickte, dass Mädchen und Buben Zeit miteinander verbrachten, es sei denn, sie waren Geschwister und gingen einer nutzbringenden Arbeit nach, erlaubte Meister Orwid Jost und ihr, sich ins Wäldchen hinter dem Hof zu verdrücken, um zu spielen. Spielen hatte es in Elsas Wortschatz bislang nicht gegeben. Höchstens heimlich, vor dem Zubettgehen und in den wenigen Augenblicken, die ihr manchmal blieben, wenn sie eine Aufgabe erledigt hatte und die Mutter noch keine neue für sie ersonnen hatte. Dann spielte sie mit Stöckchen und was man eben so fand. Jungen durften spielen. Nicht aber Mädchen. Deshalb genoss Elsa die Stunde, die sie gemeinsam mit Jost verbrachte, obschon ihr Anteil daran im Eigentlichen darin bestand, Jost beim Spielen zuzusehen.

      Sie bewunderte, wie behände er über den Bachlauf sprang: hin und wieder zurück. Mehrmals. Sie liefen die Weide hinauf bis zur Baumgruppe. Elsa konnte kaum Schritt halten. Jost zeigte ihr einen Kletterbaum und wie man in die Krone kam. Elsa suchte eine Ranke oder eine Winde, mit der sie den Rock zwischen ihren Beinen hätte zusammenbinden können, wurde aber nicht fündig und sah sich auf das Vergnügen, im Wipfel


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