Dr. Daniel Staffel 9 – Arztroman. Marie Francoise
blickte in sein Gesicht und war gerührt von der Besorgnis, die sie darin entdecken konnte.
Sie nickte ergeben und sagte durch ihre Hände: »Na schön, wenn du meinst.«
Mit einer fürsorglichen Geste begleitete Kai seine Verlobte zum Auto und hielt ihr zuvorkommend die Tür auf, bis sie eingestiegen war, dann setzte er sich hinter das Steuer und fuhr los. Die gedämpfte Schlagermusik, die aus dem Autoradio klang, wurde zur vollen Stunde ausgeblendet, dann erzählte der Nachrichtensprecher von geplanten Maßnahmen im Bundeshaushalt und von einer neuerlichen brutalen Vergewaltigung, bei der das Opfer schwer verletzt überlebt hatte. Kai schaltete das Radio aus und warf Nikola einen kurzen Blick zu, doch sie sah unverwandt durch die Windschutzscheibe in den trüben, naßkalten Tag hinaus.
Kai mußte nicht lange nach der Frauenarztpraxis suchen. Obwohl Nikola erst vor kurzem die Hektik der Stadt mit der Ruhe des idyllisch gelegenen Steinhausen vertauscht hatte und Kai nach wie vor in München lebte, hatte er sich hier in diesem Vorgebirgsort schon über die gängigen Einrichtungen informiert, und so lenkte er seinen Wagen nun langsam die steile Auffahrt hinauf, die zur Praxis von Dr. Daniel führte. Auf dem großen Patientenparkplatz hielt er an, war Nikola wiederum beim Aussteigen behilflich und begleitete sie zu der schweren, eichenen Eingangstür.
Dr. Robert Daniel, Arzt für Gynäkologie, stand auf einem großen Messingschild, darunter: Dr. Manon Daniel, Ärztin für Allgemeinmedizin. Auch die Sprechzeiten waren verzeichnet, und genau darauf wies Nikola nun.
»Ich bin nicht angemeldet«, gab sie zu bedenken, doch Kai zuckte ungerührt die Schultern.
»Na und?« bedeuteten seine Hände. »Du hast Schmerzen, somit bist du ein Notfall.« Er lächelte sie an, während seine Hände fortfuhren: »Laß mich nur machen.«
Er drückte auf den Klingelknopf neben dem Schildchen ›Praxis‹, und mit einem dezenten Summen sprang die Tür auf. Nikola und Kai gelangten in ein modern eingerichtetes Vorzimmer. Die junge Empfangsdame Gabi Meindl lächelte ihnen unverbindlich entgegen.
»Guten Tag, mein Name ist Horstmann«, stellte sich Kai vor, dann wies er auf seine Begleiterin. »Meine Verlobte hat starke Unterleibsschmerzen. Da es sich also um einen Notfall handelt, gehe ich davon aus, daß sie gleich drankommt.«
Gabi ärgerte sich über das anmaßende Verhalten des jungen Mannes, ließ es sich aber zumindest vorerst noch nicht anmerken. demonstrativ wandte sie sich der jungen Frau zu.
»Wie ist Ihr Name?« wollte sie wissen.
»Meine Verlobte kann Ihre Frage zwar sehr gut von den Lippen ablesen, aber zu einer Antwort wird sie leider nicht fähig sein«, mischte sich Kai ein. »Sie ist nämlich seit ihrer Geburt taubstumm.«
Gabi war sichtlich betroffen.
»Das tut mir leid«, murmelte sie und vergaß über ihrer Erschütterung sogar ihren Ärger auf den jungen Mann. »Sagen Sie mit bitte den Namen Ihrer Verlobten. Ich werde sie dann bei Dr. Daniel anmelden.« Sie zögerte kurz. »Ein bißchen werden Sie sich aber noch gedulden müssen, da vor Ihnen noch zwei Damen sind, die einen Termin haben.«
»Es ist ein Notfall«, betonte Kai erneut. »Meine Verlobte hat Schmerzen, deshalb verlange ich…«
»Gibt es irgendwelche Probleme?«
Gabi atmete unwillkürlich auf, als in diesem Moment die Stimme ihres Chefs erklang. Kai drehte sich um und musterte den großen, athletisch wirkenden Mann Anfang Fünfzig, der jetzt auf ihn zukam. Dichtes, blondes Haar umrahmte ein markantes, äußerst attraktives Gesicht, in dem die gütigen blauen Augen dominierten.
»Das kann man wohl sagen«, antwortete Kai auf Dr. Daniels Frage. »Ihre Empfangsdame weigert sich, meine Verlobte sofort bei Ihnen anzumelden, obwohl ich ihr nun schon zweimal in aller Deutlichkeit gesagt habe, daß meine Verlobte starke Schmerzen hat.«
Dr. Daniel sah von Kai zu Nikola und wieder zurück. »Betrachten Sie sich immer als Sprachrohr Ihrer Verlobten?«
»Das muß ich wohl«, entgegnete Kai sehr von oben herab. »Meine Verlobte ist taubstumm.«
»Entschuldigen Sie, das wußte ich nicht«, entgegnete Dr. Daniel, und auch er war von dem Schicksal der hübschen jungen Frau merklich betroffen. »Trotzdem würde ich gern mit Ihrer Verlobten persönlich sprechen. Auf schriftlicher Basis wird das ja wohl möglich sein, oder?«
Man konnte Kai ansehen, wie wütend er war.
»Hören Sie zu«, begann er aggressiv. »Wenn ich sage, daß meine Verlobte starke Schmerzen hat, dann stimmt das auch!«
»Natürlich glaube ich Ihnen das«, erwiderte Dr. Daniel ruhig, dann wandte er sich Nikola zu. »Können Sie von meinen Lippen ablesen, was ich sage?«
Die junge Frau nickte.
»Sehr schön«, meinte Dr. Daniel und reichte ihr die Hand. »Mein Name ist Robert Daniel.«
Automatisch wollte Nikola ihm in ihrer Zeichensprache antworten, doch dann fiel ihr ein, daß es ganz unwahrscheinlich war, daß Dr. Daniel sie verstehen würde, und lächelte ihn entschuldigend an. Gabi reichte ihr gleich Block und Stift.
Ich heiße Nikola Forster, schrieb sie. Es tut mir leid, daß ich ohne Termin komme, aber ich habe seit einiger Zeit immer wieder Unterleibsschmerzen, und letzte Nacht waren sie besonders schlimm. Sie zögerte kurz, dann schrieb sie dazu: Es macht mir auch nichts aus, wenn ich noch warten muß.
Dr. Daniel nahm den Block entgegen und las das Geschriebene, dabei spürte er, wie Kai, der ihm über die Schulter geblickt hatte, vor Wut kochte.
»Sie werden bestimmt nicht lange warten müssen«, versprach Dr. Daniel. »Vor Ihnen sind nur zwei Patientinnen. In spätestens einer halben Stunde werde ich für Sie Zeit haben.«
Dankbar lächelte Nikola ihn an.
»Meine Empfangsdame wird in der Zwischenzeit schon die Formalitäten erledigen«, fuhr Dr. Daniel fort. »Sie sind ja zum ersten Mal bei mir.«
Mit einer fast schüchternen Geste forderte Nikola den Block zurück und schrieb: Bis vor zwei Wochen habe ich in München gelebt, aber hier in Steinhausen gefällt es mir sehr viel besser.
Dr. Daniel las, dann lächelte er. »Da haben Sie recht. Steinhausen ist ein idyllisches Fleckchen Erde, und ich bin sicher, daß Sie sich hier auch weiterhin wohl fühlen werden.«
Er nickte Kai knapp zu, dann kehrte er in sein Sprechzimmer zurück. Der junge Mann wollte zumindest vor seiner Verlobten nicht zeigen, wie wütend er darüber war, daß sie ihm dermaßen in den Rücken gefallen war – ohne es zu wissen, natürlich.
»Du hättest nicht so ehrlich sein dürfen«, bedeuteten ihr seine Hände, und sein Blick signalisierte Mitleid und Besorgnis. »Wenn du mir die Verhandlungen überlassen hättest, hätte
man dich jetzt nicht warten lassen.«
»Tut mir leid, Kai, aber ich
will mich nicht vordrängeln«, gab Nikola zurück, dann nahm sie von Gabi ein Formular entgegen und füllte es gewissenhaft aus.
»Sie dürfen noch im Wartezimmer Platz nehmen«, meinte Gabi danach. »Die Sprechstundenhilfe wird Sie holen, sobald Dr. Daniel frei ist.«
Es dauerte wirklich nicht lange, bis Nikola ins Sprechzimmer gerufen wurde. Wie selbstverständlich folgte ihr Kai, was Dr. Daniel überhaupt nicht gefiel. Der arrogante, ziemlich anmaßende junge Mann war ihm rechtschaffen unsympathisch, und Dr. Daniel hatte das untrügliche Gefühl, als würde er das der Untersuchung vorangehende Gespräch nur behindern.
»Seit wann haben Sie diese Unterleibsschmerzen?« wollte Dr. Daniel wissen und reichte Nikola Block und Stift, doch Kai wehrte sofort ab.
»Das brauchen wir nicht«, behauptete er. »Ich kann Ihnen übersetzen, was Nikola in Zeichensprache sagt.« Er informierte seine Verlobte, und Dr. Daniel merkte ihr an, daß ihr diese Art der Kommunikation auch nicht so gut gefiel.
»Viele Frauen sprechen über derartige