BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder. Robert Mccammon

BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder - Robert Mccammon


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an den Fenstern, brachte den Duft von Geißblatt und erster Liebe herein, und gezackte blaue Blitze krachten auf die Erde nieder und rüttelten den Hass wach. Wir haben Wirbelstürme und Dürren mitgemacht, und der Fluss, an dem meine Stadt lag, hatte die schlechte Angewohnheit, über die Ufer zu treten. In dem Frühling, in dem ich sechs war, trieb das Hochwasser Schlangen auf die Straßen. Hunderte von Falken stürzten in dunklem Sturm herab und packten die Schlangen mit ihren tödlichen Schnäbeln und der Fluss schlich sich an seine Ufer zurück wie ein geprügelter Hund. Wie ein Trompetenstoß kam danach die Sonne heraus und von den blutbespritzten Dächern meiner Heimatstadt stieg Dampf auf.

      Wir hatten eine böse Königin, die hundertundsechs Jahre alt war. Wir hatten einen Revolverhelden, der Wyatt Earp am O.K. Corral das Leben gerettet hatte. Wir hatten ein Monster im Fluss und ein Geheimnis im See. Wir hatten ein Gespenst, das am Steuer eines schwarzen Dragsters mit Flammen auf der Kühlerhaube die Straße unsicher machte. Wir hatten einen Gabriel und einen Luzifer und einen Rebellen, der von den Toten auferstand. Wir hatten einen Außerirdischen, einen Jungen, der perfekt werfen konnte, und auf der Merchants Street einen frei herumlaufenden Dinosaurier.

      Es war ein magischer Ort.

      In mir stecken die Erinnerungen an ein in diesem verzauberten Reich verbrachtes Jungenleben.

      Ich erinnere mich.

      Das hier ist, was ich euch erzählen will.

      Vor Sonnenaufgang

      »Cory? Wach auf, mein Sohn. Zeit, aufzustehen.«

      Ich ließ mich von ihm aus der dunklen Höhle des Schlafes hochziehen. Ich schlug die Augen auf und sah zu ihm hoch. Er war schon angezogen, trug seine dunkelbraune Uniform mit seinem weiß auf die Brusttasche gestickten Namen, Tom. Ich roch Eier und Speck, und in der Küche spielte leise das Radio. Eine Pfanne klapperte und Glas klirrte; Mom war ganz in ihrem Element, so unbeirrt, wie eine Forelle in der Strömung steht. »Zeit zum Aufstehen«, sagte mein Vater, knipste die Lampe neben meinem Bett an und ließ mich mit den letzten Bildern eines verblassenden Traums im Kopf blinzelnd allein.

      Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Es war Mitte März und durch die Bäume vor meinem Fenster blies ein kalter Wind. Als ich meine Hand an die Scheibe legte, konnte ich den Wind fühlen. Mom, die wusste, dass ich wach war, als mein Vater zu seiner Tasse Kaffee in die Küche kam, drehte das Radio etwas lauter, um die Wettervorhersage zu hören. Vor zwei Tagen war Frühlingsanfang gewesen, aber in diesem Jahr besaß der Winter scharfe Krallen und Zähne und er hielt die Südstaaten in seinen Klauen wie eine weiße Katze. Schnee hatten wir nicht gehabt – wir hatten nie Schnee –, aber der Wind war kalt und blies aus den Lungen des Nordpols.

      »Einen warmen Pullover!«, rief Mom. »Hörst du?«

      »Ich höre!«, antwortete ich und holte meinen dicken grünen Pulli aus meiner Kommode. Das hier ist mein Zimmer, in gelbes Lampenlicht getaucht, während der Raumheizkörper brummt: Ein Indianerteppich so rot wie Cochises Blut, ein Schreibtisch mit sieben geheimen Schubladen, ein Stuhl, der mit einem samtig blauschwarzen Material wie Batmans Umhang bezogen ist, ein Aquarium mit winzigen Fischen, die so durchsichtig sind, dass man ihre Herzen schlagen sieht. Die bereits erwähnte Kommode ist voller Aufkleber aus Revell-Modellflugzeugbausätzen, es gibt ein Bett, dessen Steppdecke eine Verwandte von Jefferson Davis genäht hatte, einen Schrank und die Regale. Ach ja, die Regale. Schatzkisten von Regalen. Auf den Brettern stehen Stapel von mir; hunderte von Comic-Heften – Justice League, Flash, Green Lantern, Batman, The Spirit, Blackhawk, Sgt. Rock and Easy Company, Aquaman und Die Fantastischen Vier. Da sind Boy’s-Life-Zeitschriften, dutzendweise Berühmte Monster der Filmgeschichte, Screen Thrills und Popular Mechanics. Es gibt eine gelbe Wand aus National Geographics, und ich werde rot und gestehe, dass ich weiß, in welchen jedes Bild von Afrika ist.

      Die Regale erstrecken sich meilenweit. Meine Murmelkollektion im Einmachglas. Meine getrocknete Zikade wartete darauf, nächsten Sommer wieder zu singen. Mein Duncan-Jo-Jo, das pfeift; bloß ist die Schnur gerissen und Dad muss es reparieren. Mein kleines Album mit Stoffmustern für Anzüge, das mir Mr. Parlowe vom Stagg Shop for Men geschenkt hat. Die Stoffstücke verwende ich in meinen Flugzeugmodellen neben den Sitzen, die ich aus Pappe ausschneide, als Teppich. Meine Silberkugel, vom Lone Ranger für einen Werwolfjäger gegossen. Mein Knopf aus dem Sezessionskrieg, der von der Uniform eines Südstaatlers abriss, als Shiloh gestürmt wurde. Mein Gummimesser, mit dem ich in der Badewanne Killerkrokodilen nachspüre. Meine kanadischen Münzen, glatt und eben wie die nördlichen Prärien. Ich bin unermesslich reich.

      »Frühstück ist fertig!«, rief Mom. Ich zog den Reißverschluss meines Pullis zu, der von der gleichen Farbe wie Sgt. Rocks zerrissenes Hemd war. Meine Bluejeans hatten Flicken an den Knien wie Ehrenabzeichen für Auseinandersetzungen mit Stacheldraht und Kies. Mein hochrotes Flanellhemd hätte einem Stier Einhalt geboten. Meine Socken waren weiß wie Taubenflügel und meine Keds schwarz wie Mitternacht. Meine Mutter war farbenblind und mein Vater fand, dass kariert und kariert gut zueinander passte. Es war okay.

      Es ist lustig, wenn man manchmal die Menschen betrachtet, die einen auf die Welt gebracht haben, und sich so eindeutig in ihnen wiederfindet. Man erkennt, dass die Natur bei jedem Menschen auf der Welt einen Kompromiss eingegangen ist. Ich war schmal wie meine Mutter gebaut und hatte ihre welligen, dunkelbraunen Haare, aber mein Vater hatte mir seine blauen Augen und seine scharf gemeißelte Nase vererbt. Ich hatte die langfingrigen Hände meiner Mom – Künstlerhände, sagte sie immer, wenn ich mich beklagte, dass meine Finger so lang und dünn waren – und die buschigen Augenbrauen und das kleine Grübchen im Kinn meines Dads. In manchen Nächten wünschte ich mir, einzuschlafen und als ein Mann wie Stuart Whitman aus Cimarron Strip oder Clint Walker aus Cheyenne wieder aufzuwachen, aber Tatsache war nun mal, dass ich ein dünner, unbeholfener Junge durchschnittlicher Größe und durchschnittlichen Aussehens war. Wenn ich die Augen zumachte und den Atem anhielt, konnte ich mit der Tapete verschmelzen. In meiner Fantasie dagegen war ich mit den Cowboys und Detektiven, die jeden Abend über unseren Fernsehschirm flimmerten, hinter Gesetzesbrechern her. Und draußen im Wald, der bis an unser Haus heranreichte, half ich Tarzan, die Löwen zu rufen und erschoss Nazis in einem einsamen Krieg. Ich hatte eine kleine Gruppe Freunde, Jungs wie Johnny Wilson, Davy Ray Callan und Ben Sears, aber ich war nicht das, was man beliebt nennen würde. Manchmal wurde ich nervös, wenn ich mit anderen sprach, und meine Zunge kam ins Stolpern. Daher blieb ich lieber still. Meine Freunde und ich waren ungefähr gleichgroß, gleichen Alters und Temperaments; wir gingen allem aus dem Weg, gegen das wir nicht ankämpfen konnten, und wir waren allesamt erbärmliche Kämpfer.

      Ich glaube, das ist, wo das Schreiben seinen Ursprung hatte. Das Zurechtschreiben könnte man auch sagen. Das Zurechtschreiben der äußeren Umstände, das Umformen der Welt in das, was sie hätte sein sollen, wenn Gott nicht schielen würde und keine Hasenzähne hätte. In der echten Welt besaß ich keine Macht; in meiner eigenen Welt war ich Herkules ohne Ketten.

      Ich weiß, dass ich etwas von meinem Granddaddy Jaybird, dem Vater meines Dads, geerbt habe: seine Neugierde über die Welt. Er war sechsundsiebzig und so zäh wie Beef Jerky, und er fluchte ständig und hatte ein noch verfluchteres Temperament, aber er war ständig im Wald um seine Farm herum unterwegs. Er brachte Dinge nach Hause, bei denen Grandmomma Sarah ohnmächtig wurde: Schlangenhäute, leere Wespennester, selbst tote Tiere, die er fand. Er schnitt so etwas gern mit seinem Taschenmesser auf und sah sich an, wie es von innen aussah, breitete die blutigen Innereien auf Zeitungspapier aus. Einmal hängte er eine tote Kröte an einen Baum und lud mich ein, mit ihm dabei zuzusehen, wie die Fliegen die Kröte fraßen. Er brachte einen Jutesack voller Laub ins Haus, leerte ihn im Wohnzimmer aus und untersuchte jedes einzelne der Blätter mit einer Lupe, wobei er die Unterschiede in eines seiner Hunderter Notizbücher schrieb. Er sammelte Zigarrenstummel und trocknete ausgespuckten Kautabak, den er in Glasfläschchen aufbewahrte. Er konnte stundenlang im Dunkeln sitzen und den Mond betrachten.

      Vielleicht war er verrückt. Vielleicht nennt man all diejenigen verrückt, in denen noch Magie steckt, wenn sie längst kein Kind mehr sind. Aber Granddaddy Jaybird las mir die Sonntagscomics aus der Zeitung vor und erzählte


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