BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder. Robert Mccammon

BOY'S LIFE - Die Suche nach einem Mörder - Robert Mccammon


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und mit diesem Licht konnte ich weit über Zephyr hinausschauen.

      An jenem Morgen vor Sonnenaufgang, als ich mit meinem Dad und meiner Mom am Frühstückstisch in unserem Haus in der Hilltop Street saß, schrieben wir das Jahr 1964. Große Veränderungen lagen im Wind, der um die Erde wehte, Dinge, derer ich mir nicht bewusst war. In jenem Moment wusste ich nur, dass ich noch ein Glas Orangensaft wollte und dass ich meinem Vater auf seiner Route helfen würde, bevor er mich zur Schule brachte. Nachdem wir gefrühstückt hatten und der Tisch abgeräumt war, ging ich nach draußen in die Kälte, wünschte unserem Hund Rebel einen guten Morgen und gab ihm sein Gravy Train zu fressen. Mom gab Dad und mir einen Kuss, ich zog mir meine gefütterte Jacke an, holte meine Schulbücher, und wir fuhren in dem alten stotternden Pick-up los. Rebel, aus seinem Zwinger hinten im Garten befreit, folgte uns eine Weile, bis er an der Kreuzung von Hilltop und Shawson Street das Herrschaftsgebiet von Bodog betrat, dem Dobermann der Ramseys. Auf den Trommelwirbel aus Gebell hin trat er seinen strategischen Rückzug an.

      Und nun lag Zephyr vor uns, die noch still träumende Stadt, der Mond eine weiße Sichel am Himmel.

      Hier und da brannte Licht. Aber nur in wenigen Häusern. Es war noch nicht fünf Uhr. Die Mondsichel glitzerte in der langsamen Biegung des Tecumseh River, und falls Old Moses dort schwamm, dann küsste sein ledriger Bauch den Schlamm beim Schwimmen. Die Bäume entlang Zephyrs Straßen hatten noch keine Blätter und ihre Äste bewegten sich im Wind. Die Ampeln – alle vier an den sogenannten Hauptkreuzungen – blinkten gelb in regelmäßigem Takt. Im Osten überspannte eine Steinbrücke mit schaurigen Steinfiguren die breite Mulde, durch die der Fluss rann. Manche Leute sagten, dass die Gesichter der in den 1920er Jahren gemeißelten Figuren verschiedene Generäle der Südstaatenarmee darstellten – gefallene Engel, sozusagen. Gen Westen wand sich der Highway durch die bewaldeten Hügel auf andere Städte zu. Eisenbahngleise durchschnitten Zephyr im Norden, mitten im Bruton-Viertel, wo die Schwarzen lebten. Im Süden war der Stadtpark, in dem eine Orchesterbühne stand und wo ein paar Baseballplätze in den Boden geschnitten worden waren. Der Park war nach Clifford Gray Haines benannt, Zephyrs Gründer, und es gab eine Statue von ihm, wie er mit dem Kinn in die Hand gestützt auf einem Felsbrocken saß. Mein Vater fand, dass es aussah, als hätte Clifford ständig unter Verstopfung gelitten und weder sein Geschäft erledigen noch vom Klo aufstehen konnte. Weiter südlich verließ die Route Ten Zephyrs Stadtgrenze und schlängelte sich wie eine schwarze Schlange an sumpfigen Wäldern, einem Mobilheimpark und Saxon’s Lake vorbei, der in unbekannte Tiefen abfiel.

      Dad bog auf die Merchants Street ab und wir fuhren durch Zephyrs Stadtzentrum, wo die Geschäfte waren. Entlang der Straße, die hier Gehwege hatte, gab es den Dollar’s Barbershop, den Stagg Shop for Men, Zephyrs Futtermittel- und Baumarkt, den Piggly-Wiggly Lebensmittelladen, Woolworths, das Lyric-Kino und andere Attraktionen. Viel zu sehen gab es allerdings nicht; wenn man ein paarmal blinzelte, war man schon an allem vorbei. Dann lenkte Dad uns über die Schienen, danach noch zwei Meilen weiter und durch ein Tor, über dem stand: GREEN MEADOWS DAIRY. Die Milchwagen standen am Verladungsdock und wurden beladen. Hier war viel los, denn Green Meadows Dairy machte früh auf und die Milchmänner hatten ihre vorbestimmten Strecken zu fahren.

      Manchmal, wenn mein Vater besonders viel zu tun hatte, bat er mich, ihm beim Ausliefern zu helfen. Mir gefielen die Stille und Ruhe dieser Morgen. Ich mochte die Welt vor der Sonne. Mir gefiel es herauszufinden, welche Leute von der Molkerei Milch bestellten. Warum, weiß ich nicht; vielleicht war es Granddaddy Jaybirds Neugierde in mir.

      Mein Dad ging die Liste mit dem Vorarbeiter durch, einem großen Mann mit kurzrasierten Haaren namens Mr. Bowers, und dann fingen Dad und ich an, unseren Pick-up zu beladen. Hier kamen die Milchflaschen, die Kartons mit frischen Eiern, Becher mit Hüttenkäse und Green Meadows‘ besonderen Kartoffel- und Bohnensalaten.

      Alles war noch kalt vom Kühlraum und unter den Scheinwerfern des Verladungsdocks glitzerte Frost an den Milchflaschen. Die Papierdeckel waren mit dem Gesicht eines lächelnden Milchmanns und den Worten Gut für dich! bedruckt. Während wir arbeiteten, kam Mr. Bowers zu uns herüber und sah uns mit dem Klemmbrett in der Hand und dem Stift hinterm Ohr zu. »Na, was denkst du, Cory? Willst du auch ein Milchmann werden?«, fragte er mich, und ich antwortete: »Vielleicht.«

      »Milchmänner wird die Welt immer brauchen«, fuhr Mr. Bowers fort. »Stimmt’s, Tom?«

      »Aber sicher doch«, sagte mein Dad; eine Floskel, die er benutzte, wenn er nur halb hinhörte.

      »Bewirb dich, wenn du achtzehn bist«, sagte Mr. Bowers zu mir. »Wir finden etwas für dich zu tun.« Er schlug mir auf die Schulter, dass mir fast die Zähne klapperten. Doch das Klappern übernahmen die Flaschen, die ich auf einem Tablett trug.

      Dann stieg Dad hinter das große Lenkrad, ich setzte mich neben ihn, er drehte den Schlüssel in der Zündung, der Motor sprang an und wir fuhren mit unserer milchig-sahnigen Ladung vom Verladungsdock weg. Vor uns versank der Mond. Am Rand der Nacht funkelten die letzten Sterne.

      »Was hältst du davon?«, fragte Dad. »Milchmann zu werden, meine ich. Interessiert dich das?«

      »Es würde Spaß machen«, sagte ich.

      »Nicht wirklich. Na ja, es ist okay, aber kein Beruf macht einem jeden Tag Spaß. Ich glaube, wir haben noch nie darüber gesprochen, was du mal werden willst, oder?«

      »Nein, Sir.«

      »Also, ich finde, du solltest nicht Milchmann werden, nur weil ich einer bin. Ich hatte übrigens nicht vor, Milchmann zu werden. Granddaddy Jaybird wollte, dass ich ein Farmer werde, wie er. Grandmomma Sarah wollte, dass ich Arzt werde. Kannst du dir das vorstellen?« Er warf mir einen Blick zu und grinste. »Ich, ein Arzt! Doktor Tom! Nein, danke. Das war nichts für mich.«

      »Was wolltest du denn zuerst werden?«, fragte ich.

      Mein Dad schwieg für einen Augenblick. Er schien über die Frage nachzugrübeln. Mir kam der Gedanke, dass ihn das vielleicht noch nie jemand gefragt hatte. Er umklammerte das Lenkrad mit seinen Männerhänden und steuerte die Straße hinunter, die sich vor unseren Scheinwerfern abspulte, und sagte dann: »Ich wollte der erste Mensch auf der Venus sein. Oder ein Rodeoreiter. Oder ein Mann, der ein leeres Grundstück begutachtet und in Gedanken das Haus sehen kann, das er da bauen will, bis hin zum letzten Nagel und zur letzten Dachschindel. Oder ein Detektiv.« Mein Dad machte ein leises Lachgeräusch in seiner Kehle. »Aber die Molkerei brauchte noch einen Milchmann, und da bin ich nun.«

      »Ich hätte nichts dagegen, Rennfahrer zu werden«, sagte ich. Mein Dad nahm mich manchmal zu den Stockcarrennen auf der Rennbahn bei Barnesboro mit, wo wir Hot Dogs aßen und zuschauten, wie beim Zusammenkrachen von verbogenem Metall die Funken flogen. »Oder ein Detektiv zu sein wäre auch okay. Dann könnte ich Rätsel und so was lösen, wie die Hardy Boys.«

      »Ja, das wäre gut«, stimmte mein Vater zu. »Allerdings weiß man nie, was es am Ende wird, und das ist die Wahrheit. Man zielt so genau wie ein Pfeil auf etwas ab, aber bevor man das Ziel erreicht, erwischt dich der Wind. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der das geworden ist, was er in deinem Alter werden wollte.«

      »Ich würde gern jeder Mensch auf dieser Welt sein«, sagte ich. »Ich möchte eine Million Mal leben.«

      »Na« – und hier nickte mein Vater auf seine weise Art – »das wäre ein toller Zaubertrick, was?« Er zeigte nach vorn. »Hier ist unser erster Halt.«

      In diesem ersten Haushalt musste es Kinder geben, denn sie bekamen neben ihren zwei Litern normaler Milch auch zwei Liter Schokomilch. Dann fuhren wir wieder los, durch Straßen, in denen der Wind und das Bellen früh erwachter Hunde die einzigen Geräusche waren. Wir hielten in der Shantuck Street an, um jemandem, der wohl alles gern sauer mochte, Buttermilch und Hüttenkäse zu bringen. Wir stellten glänzende Flaschen auf die meisten Treppenstufen der Häuser in der Bevard Lane, und mein Dad arbeitete schnell, während ich die Bestellungen von der Liste strich und die nächsten auf der kalten Ladefläche des Pick-ups heraussuchte. Wir waren ein gutes Team.

      Dad sagte, dass er ein paar Kunden weiter südlich in der Nähe von Saxon’s Lake hatte. Danach würden wir wieder in den Ort fahren, damit wir die restlichen Lieferungen


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