Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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      Hinter den beiden ging Sascha. Er trug Manuelas Gepäck. »Du wirst staunen, Manuela«, rief er dem kleinen Mädchen zu. »In Sophienlust gibt es nämlich sogar einen Papagei, der sprechen kann.«

      »Was ist das, ein Papagei?«

      »Ein großer bunter Vogel.«

      »Gibt es das, Tante Isi? Oder macht er bloß Spaß?«

      »Wenn wir da sind, kannst du dir Habakuk anschauen, Manuela. Er redet wie ein Mensch, und er ist ziemlich frech.«

      Als sie ins Auto stiegen, spähten aus einigen Fenstern neugierige Gesichter. Maria Cortez aber ließ sich nicht mehr blicken. Denise dachte voller Mitleid an sie. Was würde die tapfere fleißige Frau am Ziel erwarten?

      *

      Es war ein warmer, strahlend schöner Frühsommersonntag. Denise und Alexander von Schoenecker saßen auf der Terrasse in Schoeneich und genossen dankbar den Frieden, der sie umgab. Nick und Henrik waren mit den Rädern nach Sophienlust gefahren, Sascha hatte sich mit seinen Lehrbüchern in einen stillen Winkel des Parks zurückgezogen, um sich auf eine wichtige Klausurarbeit vorzubereiten.

      »Vielleicht sollten wir für ein Stündchen nach Bachenau zu Andrea fahren«, schlug der Gutsherr vor. »Während der Woche hat Hans-Joachim ja doch nie Zeit.«

      Andrea hatte von der Schulbank weg den jungen Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn geheiratet und war nun schon stolze Mutter eines Buben. Die junge Familie lebte im unweit gelegenen Städtchen Bachenau.

      »Wenn du meinst …« Denise zögerte ein wenig, denn es kam selten genug vor, dass sie mit ihrem Mann wirklich allein und ungestört blieb. Zwar liebte sie ihre Stieftochter innig und vergötterte den kleinen Peterle, doch sie hatte sich auf diesen Nachmittag mit Alexander nun einmal gefreut.

      Alexander hob jetzt lauschend den Kopf.

      »Da kommt ein Wagen, Isi. Möglich, dass Andrea und Hans-Joachim die gleiche Idee hatten wie wir.«

      Doch es war weder der schwere Wagen des Tierarztes noch das kleine Auto seiner jungen Frau. Viel zu schnell bog ein fremder Wagen auf die Einfahrt ein und hielt mit schleifenden Rädern vor dem Haus. Hinter dem Steuer saß eine junge Frau, der das schwarze Haar wirr in die Stirn hing. Sie stieg nicht etwa aus, sondern ließ den Kopf schwer vornüberfallen, wobei sie mit der Stirn hart auf das Lenkrad aufschlug. Doch das schien sie gar nicht zu spüren.

      Alexander und Denise sprangen gleichzeitig auf und eilten zu dem Auto, dessen Motor noch lief.

      »Reni«, rief Denise bestürzt aus. »Was hast du?«

      Nun erkannte auch Alexander die Fahrerin. Sie wirkte so fremd und verändert, dass er zutiefst erschrak. Reni und Bodo von Hellendorf lebten nicht allzu weit von Schoeneich entfernt auf dem Gut Hellendorf, das sich seit Generationen im Besitz der Familie befand.

      Reni antwortete nicht, sondern verharrte regungslos auf dem Fahrersitz. Denise und Alexander tauschten besorgte Blicke. Was war hier geschehen?

      Alexander öffnete schließlich die Wagentür, um Reni beim Aussteigen behilflich zu sein und den Motor abzustellen. Die schlanke junge Frau trug nur ein leichtes Gartenkleid und an den nackten Füßen ein Paar offene Sandalen. Es passte durchaus nicht zu ihr, so unkorrekt gekleidet wegzufahren, noch dazu an einem Sonntagnachmittag. Immerhin stieg sie nun aus, bewegte sich aber wie eine Marionette. Ihr Gesicht war blass und verkrampft.

      »Komm«, sagte Denise herzlich. »Wir trinken gerade Tee.«

      Willenlos ließ Reni von Hellendorf sich zum Tisch führen. Dort sank sie in einen Sessel. Als Denise ihr eine gefüllte Tasse reichte, entglitt diese den Händen des verstörten jungen Gastes und zerbrach auf dem Steinboden. Doch Reni schien gar nicht zu bemerken, dass ihr ein Missgeschick passiert war. Sie starrte vor sich hin und schwieg.

      »Reni«, bat Denise und nahm die Hand der Freundin. »Sag uns, was los ist. Du bist doch sicher hierhergefahren, weil wir dir helfen sollen.«

      Reni war eine rassige Schönheit von vierundzwanzig Jahren. Man sah ihr an, dass ihre Mutter Spanierin gewesen war. Jetzt aber war sie ein Zerrbild ihrer selbst. Teilnahmslos saß sie da. Ihre dunklen Augen waren blicklos und ohne Glanz, das Gesicht von unnatürlicher Starrheit. Sie hielt die Schultern nach vorn gebeugt wie eine uralte Frau, und um ihren Mund grub sich eine Linie bitteren Grams.

      Volle fünf Minuten verstrichen. Alexander und Denise warteten und schwiegen, weil sie nicht wussten, was sie tun sollten. Endlich schöpfte Reni tief Atem. Ohne den Kopf zu heben, begann sie zu sprechen:

      »Gitti ist ertrunken. Es war Bodos Schuld. Kann ich bei euch bleiben? Ich will Bodo nie mehr sehen.«

      Gitti war das entzückende dunkelhaarige Töchterchen des glücklichen Paares. Die Mitteilung über den Tod der Kleinen erschütterte Alexander und Denise zutiefst.

      »Ich hasse ihn«, fuhr Reni mit tonloser, rauer Stimme fort. »Wie kann ein Vater tatenlos zusehen, wenn das eigene Kind ertrinkt?«

      Alexander ging ins Haus und kam mit einem gefüllten Glas zurück. Er hatte sich mit seiner Frau ohne Worte verständigt. In dem süßen kühlen Fruchtsaft war ein starkes Beruhigungsmittel aufgelöst.

      »Hier, Reni, das wird dir gut tun.«

      »Kann ich hierbleiben?«, fragte Reni und trank wie eine Verdurstende.

      »Natürlich bleibst du bei uns«, antwortete Denise und streichelte ihr über das verwirrte Haar. »Es ist gut, dass du gleich zu uns gekommen bist.«

      »Hätten wir doch das Schwimmbad nicht gebaut«, stöhnte Reni. »Gitte könnte noch leben …« Sie schlug die Hände vors Gesicht, doch sie weinte nicht.

      So verging etwa eine halbe Stunde, in der kaum ein Wort gesprochen wurde. Dann begann das Medikament zu wirken. Auf Alexander und Denise gestützt, ließ Reni sich ins Gastzimmer bringen, wo Denise ihr Kleid und Schuhe abstreifte und ihr eines ihrer eigenen Nachthemden überzog. Dann lag Reni wie eine Tote im Bett.

      Wieder hatte ein Blick von Denise genügt, um Alexander dazu zu bringen, nunmehr in Hellendorf anzurufen.

      Bodo von Hellendorf konnte die entsetzliche Nachricht nur bestätigen. Die kleine Gitti lebte nicht mehr.

      Denise verließ Reni, die unter der Wirkung des Medikaments eingeschlafen war.

      Alexander hatte schon auf sie gewartet. »Bodo ist unterwegs. Ob wir für Reni einen Arzt rufen sollten?«

      »Sie steht unter einem schweren Schock«, versetzte Denise ernst. »Ich denke, wir müssen ihr jetzt Ruhe gönnen. Ein Arzt würde sie nur erneut erschrecken und aufregen. Solange sie schläft, kann sie das Schreckliche vielleicht für ein paar Stunden vergessen. Sie tut mir wahnsinnig leid. Kannst du dir vorstellen, dass Bodo achtlos oder leichtsinnig gewesen ist? Gitti war doch sein ein und alles.«

      »Es gibt tragische Unglücksfälle, Isi. Wir müssen abwarten, was Bodo uns zu sagen hat.«

      Jetzt fuhr ein Auto vor. Bodo von Hellendorf, baumlang, blond und sonst stets von mitreißender Fröhlichkeit, stieg mit müden, schwerfälligen Bewegungen aus. Stumm reichte man einander die Hände.

      Denise und Alexander führten den Gast auf die Terrasse, wo er in Renis Sessel Platz nahm. Zu seinen Füßen lagen die Scherben der zerschlagenen Tasse. Doch niemand achtete darauf. Wie unwichtig wurde ein Stück Porzellan in solchen Stunden.

      »Ich wusste nicht, wohin sie gefahren war«, erklärte Bodo matt. »Sie war gar nicht fähig, einen Wagen zu steuern. Ein Wunder, dass sie ohne Unfall bei euch angekommen ist.«

      »Sie schläft jetzt«, warf Denise ein. »Vielleicht geht es ihr morgen schon besser. Es war zu viel für sie.«

      »Renie war wie von Sinnen.« Das Grauen zitterte noch in der heiseren Stimme des Mannes nach. »Es sei meine Schuld gewesen, schrie sie immer wieder. Gitti ist nicht ertrunken. Das beschwöre ich. Ihr Gesicht veränderte sich plötzlich. Ich hielt sie ja ganz fest. Zuerst dachte ich, dass sie über etwas erschrocken sei. Dann merkte ich,


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