Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Jahre gefühlt, aber nicht zu sagen gewagt hatte.
»Ich werde zur Straße gehen«, sagte er. »Ich nehme die Stalllaterne mit. Jetzt muss sie bald kommen.«
Wie sehnsüchtig er wartete! Er zog den Wettermantel an und setzte den Südwester auf. Wind und Wetter waren sie gewöhnt hier droben und abgehärtet dagegen.
Kaum war er gegangen, kam Krischan. »Wo will er denn hin, der Doktor?«, fragte er.
»Zur Straße. Seine zukünftige Frau kommt.«
Krischan machte ein mürrisches Gesicht. »Eine Städtische«, brummte er. »Das hätte ich nicht von ihm gedacht.«
»Lass das Denken, iss lieber«, sagte Mintje. »Lange wirst du mein Essen nicht mehr bekommen.«
»Du sollst mit dem Unsinn aufhören, Mintje. Du bleibst hier, wohin du gehörst.«
»Ich gehöre zu meinem Jungen«, sagte sie. »Die Mutter vom neuen Doktor wird dich nicht verhungern lassen. Es ist abgemacht. Was sein muss, muss sein, Krischan, das hast du selber immer gesagt.«
»Woll, woll«, meinte er. »Lange werde ich auch nicht mehr da sein.«
Mintje zeigte ihre Gefühle nicht. Das hatte Hinnerk nicht gewollt, das wollte auch Krischan nicht. Sie schluckte, wenn was weh tat.
»Ist ein ganz netter Mann, der Dr. Hagedorn«, sagte Krischan. »Hätte ich auch nicht gedacht, dass so gut auszukommen ist mit ihm.«
»Bei unserm Doktor hast du es auch nicht gedacht«, sagte Mintje.
»Und mit der Gesine ist der Dr. Hagedorn auch schon recht gut«, fuhr Krischan fort. »Wird dann ja wohl bald eine Hochzeit geben.«
»Da feiert man tüchtig«, meinte Mintje.
»Denkst auch mal an uns, Mintje?«, fragte er.
»Wenn ich dann Zeit habe«, sagte sie.
Julias Scheinwerfer erfassten den Mann auf der Straße, der seine Lampe schwenkte. Unwillkürlich hatte sie den Unfall im Gedächtnis, und sie hielt an und rief laut zum Fenster hinaus: »Was soll das?« Doch dann erkannte sie ihn schon und sprang aus dem Wagen, direkt an seine klatschnasse Brust.
»Harald«, flüsterte sie, und ihre Lippen fanden sich zu einem endlosen Kuss, den auch ein Wolkenbruch nicht stören konnte.
»Du wirst dich erkältet haben«, sagte sie besorgt.
»Keine Angst, Liebste. Ich halte schon etwas aus. So empfindlich sind wir hier nicht.«
Nur verletzlich in der Seele, dachte sie, als er ihre Hände an seine Lippen legte und sagte: »Dass du gekommen bist, Julia!«
Die Haustür tat sich schon auf, bevor der Wagen noch hielt, und Mintje stand darin mit ausgestreckten Händen.
»Was bin ich froh, was bin ich froh«, stammelte sie. »Nun aber erst heraus aus den nassen Sachen.«
Es war wohlig warm im Zimmer. Mintje brachte die dampfende Suppe und einen steifen Grog.
Aber mehr noch wurde Julia erwärmt von den zärtlichen Blicken, mit denen Harald sie einhüllte. Mintje sah es mit Rührung und wollte sich schnell zurückziehen.
»Bleiben Sie doch, Mintje«, bat Julia.
»Krischan ist in der Küche«, sagte Mintje.
»Ich möchte ihm guten Tag sagen.«
»Das läuft nicht davon. Er hockt noch lange da«, sagte Mintje. »Er nützt es noch aus.«
»Wir freuen uns so sehr, dass Sie mitkommen, Mintje«, sagte Julia, »aber ich hätte Sie schon überredet, wenn Sie nicht gewollt hätten.«
Als Mintje durch die Diele ging, läutete das Telefon. Sie stand fast daneben und nahm schnell den Hörer ab. »Ich mache das schon«, rief sie Harald zu. »Lasst euch nicht stören. – Dr. Gottschalk ist nicht da«, sagte sie in die Muschel. »Ja, ich werde es ihm ausrichten«, schloss sie nach einer langen Pause. Dann lehnte sie an der Wand und atmete schwer.
»Was war denn, Mintje?«, fragte Harald von drinnen.
»Nichts weiter. Falsch verbunden«, erwiderte sie und musste erst begreifen, was man ihr da gesagt hatte. Violet war aus der Klinik geflohen.
*
»Ist dir ein Gespenst über den Weg gelaufen oder ist sie so grässlich?«, fragte Krischan, als Mintje kalkweiß in die Küche taumelte.
»Wer soll grässlich sein?«, fragte sie geistesabwesend.
»Die Zukünftige, wer denn sonst?«
»Sie ist schön wie ein Engel«, sagte Mintje, »und sie ist gut. Halt deinen Schnabel, Krischan.« Wie bringe ich es ihm nur bei, dachte sie, wie bringe ich es dem Jungen nur bei. Soll er denn niemals ganz glücklich sein?
Wenn doch nur Franco und Felicia da wären, mit denen sie sprechen konnte, die alles wussten und denen es doch nicht so nahegehen würde. Aber Julia? Das zum Empfang?
»Ja, und dann passierte noch ein Unfall«, erzählte Julia drinnen Harald. »Ich bin zurückgelaufen und deshalb so nass geworden. Geschüttet hat es, was vom Himmel herunterwollte.«
»Wenn nur dir nichts passiert ist, mein Liebes«, sagte Harald verhalten.
»Jemand ist überfahren worden. Ein scheußliches Gefühl ist das schon. Ich bin froh, dass ich die Strecke nicht allein zurückfahren muss. Ihr werdet doch gleich mitkommen, Harald?« Ängstlich hing ihr Blick an seinem Gesicht.
»Ja, wir werden mitkommen. Dr. Hagedorn holt seine Mutter. Sie werden übermorgen kommen. Meine Sachen habe ich schon zusammengepackt. Die Kisten mit den Sachen von Wilm Brodersen werden morgen verladen. Weißt du eigentlich, dass Dodo ein reiches Kind ist?«
»Sie wird sich später einmal daran freuen können. Ich weiß nur, dass sie unendlich viel Liebe braucht, und die wollen wir ihr geben.«
»Ich bete dich an«, sagte er innig. »Durch dich wird alles einfach.«
Er ahnte nicht, welche Ängste indessen Mintje ausstand. Als das Telefon wieder läutete, war sie auch diesmal schneller als er. Wie sie nur flitzen konnte!
Sie dachte gar nicht daran, den Hörer aus der Hand zu geben, und als Harald ihr Mienenspiel sah, wusste er, dass etwas passiert war.
»So ist das«, sagte Mintje heiser. »Ja, ich werde es dem Doktor ausrichten. Er wird zurückrufen. Oder er wird morgen kommen.«
Hart legte sie den Hörer auf. »Warum verleugnest du mich, Mintje?«, fragte Harald mit einem flüchtigen Lächeln. »Ein paar Tage muss ich noch meinen Pflichten nachkommen.«
»Es sind keine Pflichten«, sagte sie. »Sie ist tot. Sie ist überfahren worden, als sie aus der Klinik geflohen ist. Vorhin haben sie schon angerufen, dass sie verschwunden ist, aber ich wollte es nicht sagen. Ich hatte solche Angst, mein Junge. Sie ist tot, sie ist tot.«
Sie flüsterte es immer wieder. Sie ist überfahren worden, dachte Harald, und es wurde ihm ganz schwarz vor den Augen, weil ihm Julias Worte in den Ohren klangen. Der grauenvolle Gedanke, dass sie in Julias Wagen hätte laufen können, raubte ihm fast das Bewusstsein.
*
Krischan bekam Julia nur kurz zu Gesicht, als sie in die Küche kam, um noch einen Grog für Harald zu holen. Mintjes Augen hingen an ihrem Gesicht.
»Keine Sorge, Mintje«, flüsterte Julia ihr zu. »Ich bin doch bei ihm.« Sie wusste es schon, und nutzlosen Überlegungen wollte sie sich jetzt nicht hingeben. Sie hatte diese Frau nicht gekannt und sie wusste, dass ihr Tod vieles auslöschen würde. Nicht gleich, aber mit der Zeit.
Mintje erlebte das erstaunliche Wunder, das Krischan sich von seinem Stuhl erhob und eine Verbeugung machte, als Julia ihm die Hand reichte. Ihr blieb gleich der Mund offenstehen.
»Sie ist schön wie ein Engel«, sagte er. »Das hast du gesagt, Mintje. Ich sage, sie ist